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Radiolexikon: Karpaltunnelsyndrom

Der Mittelnerv verläuft vom Rückenmark über den Arm bis in die Hand und steuert dort die Muskeln, mit denen Hand und Finger bewegt werden. Der sogenannte Karpaltunnel ist bei vielen Menschen anlagebedingt sehr eng. Beschwerden können vorliegen, wenn sich die Finger morgens eingeschlafen anfühlen.

Von Justin Westhoff | 11.01.2011
    "Der Karpaltunnel ist eine Struktur, die röhrenartig ist am Übergang zwischen Unterarm und Handwurzel, und in diesem Tunnel laufen neun Sehnen, die zu den Fingern führen und ein Nerv, der nervus medianus."

    Zu Deutsch: der Mittelnerv, ungefähr so dick wie eine Kugelschreibermine. Dieser Nerv verläuft vom Rückenmark über den Arm bis in die Hand und steuert dort die Muskeln, mit denen Hand und Finger bewegt werden. Und der Medianus – wie sich das halt so für Nerven gehört – leitet auch Empfindungen ans Gehirn. Dass die Sensorik gestört sein kann, haben viele Menschen schon buchstäblich in den Fingerspitzen gespürt: beim Karpaltunnelsyndrom.

    "Die typischen Beschwerden am Anfang des Karpaltunnelsyndroms treten nachts auf, die Leute werden wach und haben das Gefühl, dass einige Finger, meistens die ersten drei Finger der Hand, eingeschlafen sind, und sie schütteln dann die Hand aus und nach einiger Zeit verschwindet das wieder, morgens ist es dann oft so, dass sie das Gefühl haben, die Finger erst in Gang bringen zu müssen, und haben dann oft tagsüber viel weniger Beschwerden als in der Nacht."

    Dr. Walter Raffauf, Sprecher des Berufsverbandes Berliner Nervenärzte, erläutert auch die Ursachen des Karpaltunnelsyndroms:

    "Der Karpaltunnel ist schon bei vielen Menschen anlagebedingt sehr eng, und wenn dann dazu eine mechanische Belastung kommt durch kräftige Arbeit mit der Hand oder eine Entzündung in dieser Region oder häufig hormonelle Veränderungen, dann kommt es zu einer Schwellung in diesem Tunnel und damit zu einem Druck auf den Nerven mit entsprechenden neurologischen Erscheinungen."

    Werden diese Ausfälle im Nervensystem der Hand nicht behandelt, können die Folgen bis zur dauerhaften Lähmung reichen. Dann kommt sogar eine Operation zu spät. Vor der aber scheuen die Betroffenen oft zurück, obwohl die Komplikationsgefahr sehr gering ist.
    "In der Regel ist das ein ambulanter Eingriff, und in der Regel wird auch keine Vollnarkose benötigt, sondern eine Betäubung des Armes, und es ist ein Routineeingriff in der Handchirurgie, vor dem man eigentlich keine Angst haben muss."

    Das sagen nicht nur Chirurgen wie Dr. Matthias Schulz vom Berliner Emil von Behring-Krankenhaus, sondern auch niedergelassene Nervenärzte, die in vielen Fällen allerdings zunächst versuchen, das Karpaltunnelsyndrom ohne Operation zu behandeln. Davor aber hat der Gott der Medizin die mitunter unangenehme Diagnostik gesetzt.

    "Man bestätigt die Diagnose durch Messung des Nerven, indem man ihn elektrisch reizt und die Geschwindigkeit der Nervenleitung im Bereich des Karpaltunnels bestimmt und kann dadurch die Diagnose sehr sicher bestätigen."

    Die hier geschilderte Neurographie ist die am häufigsten eingesetzte Untersuchungsmethode. Die meisten Menschen empfinden dabei die kleinen elektrischen Schläge als etwas unangenehm, aber erträglich. Neurologe Walter Raffauf erzählt schmunzelnd, dass ausgerechnet Elektriker solche Untersuchungen schlechter vertragen als der Nerven-Normalbürger. Woher mag das kommen?

    "Ich weiß es nicht, die haben offenbar bei aller Routine im Umgang mit Strom auch sehr viel Respekt vor Strom, ich hatte einmal einen Patienten, der sehr stromempfindlich war, und ich habe gesagt, sie sind bestimmt Elektriker, er war es nicht, aber er war Lobbyist der Stromindustrie, insofern passte auch das."

    Wenn feststeht, dass es sich um ein Karpaltunnelsyndrom in einem nicht allzu fortgeschrittenen Stadium handelt, kann und sollte man – wie gesagt – zunächst eine konservative Behandlung versuchen.

    "Die gängigste Therapieform des Karpaltunnelsyndroms ist die Lagerungsschiene für die Nacht, die dafür sorgt, dass beim Schlafen das Handgelenk gerade bleibt, die Hand nicht abknicken kann, und dadurch werden – vor allem am Anfang der Erkrankung – häufig die Beschwerden komplett gelindert und es tritt auch, wenn die Schiene regelmäßig getragen wird, eine grundsätzliche Besserung ein und führt dazu, dass die Beschwerden abklingen und man nicht operieren muss."

    Zusätzlich spritzt der Arzt unter Umständen sehr kleine Mengen Kortison in die Nähe des Karpaltunnels.

    "Mit dieser Behandlung bekommt man häufig die Patienten über Wochen und Monate schmerzfrei, man sollte das nicht zu oft wiederholen, wenn nach drei, vier Injektionen kein dauerhafter Erfolg da ist, dann sollte man den Patienten doch zur Operation überweisen, aber es gibt ja viele Patienten, die sich aus rein praktischen Gründen, zum Beispiel, dass sie beruflich eingespannt sind oder dass sie Angehörige pflegen, gar nicht zur Operation bewegen lassen, und für die ist das eine gute Hilfe, einfach mal für ein paar Monate eine schmerzfreie Überbrückung zu haben."

    Wie sieht der chirurgische Eingriff aus, wenn er dann doch unumgänglich wird? Handchirurg Matthias Schulz:

    "Was man bei dieser Operation macht ist letztlich, diesen Kanal eröffnen, damit eine Druckentlastung auf den Nerven erzielt wird, der mit den Beugesehnen durch diesen Kanal läuft. Die klassische Methode ist die offene Operation, verbunden mit einem Schnitt, man hat die aber weitgehend schon so modifiziert, dass nur noch ein sehr kleiner Schnitt notwendig wird, um genau dieses Ziel auch sicher zu erreichen."

    Noch schonender – so mag man denken – ist die minimalinvasive Chirurgie, also die Operation über ein Endoskop. In diesem Fall aber stimmt das nicht.

    "Das gute an der offenen Methode ist, dass man eine sichere Dekompression und auch eine sichere Nervenschonung vornehmen kann, weil man den Nerven ständig vor sich sieht. Es gibt aber auch noch die endoskopische Methode, man schneidet dort diesen Tunnel auf und sieht dabei den Nerven nicht. Und wenn es dort zu Komplikationen kommt, was dann Teilverletzungen oder sogar komplette Verletzungen des Nervens wären, dann sind das sehr, sehr ernste Komplikationen, und deswegen sind wir mit der endoskopischen Methode zurückhaltend, aber auch alle sind es inzwischen geworden nach der Euphorie in den 90er Jahren."

    Bei der "normalen" OP inklusive Hautschnitt also sind Komplikationen äußerst selten. Allenfalls kann die Narbe eine Zeit lang schmerzen, dies geht aber spätestens nach einigen Monaten von alleine weg.

    Zuverlässige Untersuchungen darüber, welche Menschen mehr gefährdet sind, an einem Karpaltunnelsyndrom zu erkranken, gibt es kaum. Man weiß nur, dass Frauen häufiger daran leiden als Männer und dass das Syndrom bei Menschen mit bestimmten Grunderkrankungen wie Diabetes, Schilddrüsenüberfunktion oder einigen Rheuma-Formen öfter vorkommt als bei anderen. Bei den meisten Karpaltunnelsyndromen aber lässt sich gar keine Ursache finden. Die oft geäußerte Vorstellung, die Erkrankung hänge mit Computerarbeit zusammen, hat sich bisher nicht bestätigt. Und so tut sich Nervenarzt Walter Raffauf auch schwer damit, Ratschläge zur Vorbeugung zu geben.

    "Es gibt wohl bestimmte Übungen, die vor allem darin bestehen, das Handgelenk etwas zu überstrecken, die helfen sollen, verlässliche Studien darüber, was prophylaktisch wirken kann, gibt es, so weit ich weiß, nicht; aber es gibt bestimmte Vermeidungsstrategien – also sehr häufiges Zugreifen mit den Fingern, mit gebeugtem Handgelenk fördert das Karpaltunnelsyndrom – und wenn man merkt, dass bestimmte Arbeiten zum Beispiel beim Hausrenovieren, ständiges Benutzen eines Pinsels, zu Beschwerden führen, dann sollte man einfach diese Aktivität vermindern."