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Radiolexikon: Ohnmacht

In Ohnmacht zu fallen gehörte für Frauen einer bestimmten Gesellschaftsschicht im 19. Jahrhundert fast schon zum guten Ton. Doch wer für Sekunden das Bewusstsein verliert, der solle die Sache ernst nehmen. Erkrankungen des Herzens oder vegetative Reflexe können die Ursache sein.

Von Mirko Smiljanic | 12.01.2010
    Bergisch Gladbach im Winter 2005, Plus zwei Grad Celsius, eine dünne Schneeschicht liegt auf Straßen und Häuser.

    "Ich bin die Odenthaler Straße entlanggegangen, abgebogen in die Johannesstraße, es war etwas abschüssig ,..."

    … erzählt diese Mittfünfzigerin.

    "An dem Nachmittag hatte es geschneit, aber es war matschig, ich kann mich eigentlich nicht erinnern, was passiert es, sondern ich lag dann irgendwann neben dem Bordstein im Schmutz, stand auf, das Gesicht schmerzte, weil ich auf mein Gesicht gefallen bin, meine Kniee ebenfalls, vor allen Dingen meine Hände, sie sind auch in Mitleidenschaft gezogen waren, und ich hatte noch Glück im Unglück, weil ich eine dicke Jacke anhatte und den Kragen hochgestellt hab, sonst wäre ich vielleicht auch noch auf die Zähne gefallen, wer weiß."

    Umgefallen ist sie, einfach so, ohne jede Vorwarnung, bewusstlos für ein paar Sekunden. Ohnmacht oder Kreislaufkollaps sagt dazu der Volksmund, von einer Synkope sprechen Mediziner.

    "Ja, als ich mich aufrappelte, wusste ich gar nicht, wie mir geschehen war, es hätte mir genauso jemand etwas über den Kopf geschlagen haben können, theoretisch hätte das sein können, obwohl ich nicht das Gefühl hatte. Und dann habe ich mich aufgerappelt und mich an eine Hauswand gelehnt, einfach um mich zu besinnen, weil, es war schon sehr merkwürdig, die ganze Situation war merkwürdig, und dann muss ich mein Handy eingeschaltet haben, habe die PIN-Nummer eingegeben und habe zuhause angerufen, es möge mich doch bitte mal jemand abholen, mir wäre etwas seltsam."

    Was bei einem solchen Erlebnis durchaus nachzuvollziehen ist, zumal die Frau noch nie in ihrem Leben ohnmächtig war. Dabei sind Ohnmachtsanfälle vergleichsweise häufig: 20 Prozent aller Kinder und Jugendlichen erleiden bis zum 18. Lebensjahr mindestens eine Synkope, bei den Erwachsenen sind es immerhin noch sechs Prozent.

    "Es gibt Zustände von kurzer Bewusstlosigkeit, die von Vorsymptomen angekündigt werden."

    Dr. Hubertus Günther, Kardiologe einer Kölner Gemeinschaftspraxis.

    "Wo der Patient auch beschreiben kann, dass er vorher irgendetwas empfunden hat, und es gibt Patienten, die ohne jede Ankündigung ohnmächtig umfallen. Charakterisiert ist die Ohnmacht durch eine kurze, reversibel Bewusstlosigkeit, das heißt eine kurzer Bewusstlosigkeit, die von selbst wieder aufhört, ohne dass man den Patienten wiederbeleben muss oder mit irgendwelchen medikamentösen Maßnahmen unterstützen muss."

    Wobei der Begriff "kurze Bewusstlosigkeit" wörtlich zu nehmen ist. Eine Ohnmacht …

    " … kann nur wenige Sekunden dauern, denn sonst würde ja ein irreversibler Schaden eintreten. Das ist ja ein Zustand, in dem das Gehirn vorübergehend nicht durchblutet wird, und nach wenigen Sekunden, sagen wir mal maximal zehn Sekunden ohne Hirndurchblutung wird man bewusstlos, und wenn das dann länger anhalten würde, würde es durchaus zu Schäden kommen und der Patient würde nicht von selbst wieder wach werden, das heißt, diese Unterbrechung der Hirndurchblutung darf immer nur sehr kurz sein."

    In vielen Fällen ist der Ohnmachtsanfall harmlos, der Arzt muss und kann nichts machen. Es gibt allerdings auch Ohnmachtsanfälle mit ernstem Hintergrund. Entscheidend ist die Ursache der Synkope.

    "Das eine sind Erkrankungen des Herzens im engeren Sinne, und das andere sind vegetative, autonome Reflexe, wo durch eine Fehlsteuerung ein Anteil des vegetativen Nervensystems, der blutdrucksenkend auf das Herz wirkt, vorübergehend eine Depression des Kreislaufes stattfindet, dass das Herz eine kurze Pause macht und der Blutdruck abgesackt. Die Synkopen, die Ohnmachtsanfälle, die von Herzerkrankungen verursacht werden, sind meistens auf dem Boden von Herzrhythmusstörungen, alternativ auf dem Boden bedeutsamer Herzerkrankungen, wie Herzklappenfehlern oder Herzmuskelerkrankungen und treten plötzlich meist ohne Vorankündigungen auf, sind in der Regel sehr kurz, der Patient ist dann anschließend wieder voll wach, als wäre nichts gewesen, wenn das nicht so wäre, würde er großen Schaden nehmen."

    Als Faustregel gilt: Bei Ohnmachtsanfällen, die ihre Ursachen im vegetativen Nervensystem haben, treten im Vorfeld Symptome wie Blässe, Übelkeit, Schwitzen und Unwohlsein auf. Bei der internistischen Variante, also wenn das Herz in irgendeiner Weise Auslöser der Synkope ist, gibt es keinerlei Anzeichen. Synkopen, die das vegetative Nervensystem als Ursache haben, treten bei Frauen und bei jüngeren Menschen etwas häufiger auf. Je älter die Patienten sind, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit einer Herzerkrankung. Und noch etwas haben Mediziner herausbekommen: Je häufiger ein Ohnmacht auftritt, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit einer schweren Erkrankung. Es gibt Menschen, die mehrere Male im Jahr ohnmächtig werden, sie jedes Mal gründlich zu untersuchen, macht wenig Sinn. Fällt aber jemand das allererste Mal in Ohnmacht, ist eine gründliche Diagnose unumgänglich!
    Dr. Hubertus Günther, Kardiologe aus Köln.

    "Wenn man aufgrund einer Herzerkrankung das Bewusstsein verliert, dann ist die Gefahr, dass man innerhalb des nächsten Jahres verstirbt, verstirbt!, ganz erheblich, dagegen, wenn man ohnmächtig wird wegen solcher vegetativer Reflexe, Fehlsteuerungen, dann ist die Prognose sehr gutartig und das gefährlichste für den Patienten ist eigentlich, dass er sich beim Sturz verletzt, denn ansonsten passiert ihm nichts!"

    Welche Synkope er erlitten hat, ob die vegetativ ausgelöste harmlose Variante oder kardiologisch ausgelöste riskante, das sollte auf jeden Fall ein Arzt klären. Für den Moment nach der Ohnmacht gelten einfache Regeln.

    "Wenn jemand ohnmächtig wird im Sinne einer klassischen Ohnmacht, wo Puls und Blutdruck abfallen und der Patient sich unwohl fühlt, dann ist es wichtig, ihn hinzulegen, es ist wichtig, dass der Kopf möglichst nach unten kommt, und man kann auch die Beine anheben, und dann wird der Patient meistens wieder zu sich kommen, manchmal ist er dann noch nicht in der Lage, wieder aufzustehen, weil die Kreislaufdepression noch anhält, aber im Liegen mit Kopf nach unten, reicht der Blutdruck, um wieder zu Bewusstsein zu kommen. Wenn ein solcher Zustand im Liegen nicht sofort aufhört oder wenn man so etwas noch nicht erlebt hat, dann muss man natürlich sofort prüfen, ob der Patient nicht einen akuten plötzlichen Herztod erleidet und gegebenenfalls Wiederbelebungsmaßnahmen einleiten, also, da soll hier bitte nicht so verstanden werden, dass jeder, der einfach leblos umfällt, bei 'Beine hoch lagern' wieder zu sich kommt, sondern die Notwendigkeit, sofort einzugreifenden, wenn jemand leblos liegen bleibt, ist immens, und jede Minute, die man da verliert, kostet Leben!"

    Und was ist mit den Methoden des 19. Jahrhunderts, als Frauen reihenweise in Ohnmacht fielen und ihre Freundinnen sie ebenso theatralisch wie effizient mit Riechfläschchen ins Bewusstsein zurückholten?

    "Da kann ich mir nur vorstellen, dass man da jemand ärgern will, wahrscheinlich könnte man ihn auch kneifen, aber ansonsten ist mir das nicht klar, was das bringen soll. Ziel ist natürlich, Puls und Blutdruck wieder zu steigern, das kann man vielleicht auch damit erreichen, indem man irgendwelche irritierenden oder reizenden Dämpfe verursacht, ansonsten ist es sicherlich wesentlich zielführende, den Kopf nach unten zu bringen und die Beine hoch."

    Und noch etwas ist wichtig: Wer in Ohnmacht fällt, muss sofort hingelegt werden. Im Stuhl sitzend dauerte eine Ohnmacht wesentlich länger, weil das Blut einfach nicht in den Kopf kommt.

    Für die Patientin, die ohne jede Ankündigung auf der Straße in Ohnmacht viel, ging die Episode glücklicherweise günstig aus. Eine Herzerkrankung konnte rasch ausgeschlossen werden und ihr Hirn war ebenfalls gesund.

    "Ich wurde überwiesen an einen Neurologen, der mich untersucht hat, dann gab es noch ein Computertomogramm, aber auch da ist nicht festgestellt worden, ich hatte weder einen Schlaganfall noch sonst etwas, es war einfach nur ein Sturz."

    Ein paar Schrammen und Verstauchungen vom Sturz, das war’s, na ja, fast zumindest: Ihre Brille war auch kaputt.

    "Das hat die Berufsgenossenschaft bezahlt, (lacht), Glück im Unglück, weil es ein Unfall war auf dem Weg von meiner Arbeitsstätte nach Hause, ja, Gott sei Dank, (lacht), das war teuer, fast 1000 Euro."