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Radiolexikon Opium

Es gibt nur wenige Pflanzen, die eine so segensreiche wie zerstörerische Wirkung haben wie Papaver somniferum, bekannter unter dem Namen Schlafmohn. Ritzt man seine Samenkapsel an, quillt rosaroter Milchsaft hervor, der getrocknet und geröstet sich zu einer braun-schwarzen Masse verbindet: das Rohopium. Aus ihm lassen sich hochwirksame Medikamente wie Morphium herstellen, aber auch Rauschgifte wie Heroin.

Von Mirko Smiljanic | 18.12.2007
    China, 1839. Seit Jahrzehnten leiden europäische Kaufleute unter den Restriktionen von Kaiser Daoguang. Sie sind seiner Willkür ausgesetzt und seinen Schikanen, er diktiert Preise, bestimmt, wer mit wem Handel treiben darf. Vor allem aber kontrolliert das Kaiserhaus den Opiumhandel. Mit durchaus ehrenwerten Motiven: Immer mehr Chinesen rauchen Opium mit der Folge, dass die Wirtschaft des Riesenreiches Schaden nimmt. Der Konsum von Rauschgift ist deshalb strikt verboten! Genau hier setzt die Politik Großbritannien an: 1839 zwingt es Kaiser Daoguang im Ersten Opiumkrieg den Handel mit der beliebten Droge freizugeben. Die Konsequenzen sind absehbar: In den kommenden Jahren verfallen so viele Chinesen der Opiumsucht, dass die wirtschaftliche Vormachtstellung des Riesenreiches wankt. Großbritannien hat sein Ziel erreicht!

    Dieser Krieg hatte aber noch eine weitere Konsequenz: Europas Mediziner und Pharmazeuten entdeckten, dass Opium weit mehr ist als ein Rauschmittel.

    "Natürlich, da denkt man dran, nur ist es so, dass Opium auch ein Schätzkästchen ist für die Schmerzbehandlung. Sehr viele Substanzen, die aus dem Opium gewonnen werden, sind in der Medizin in der Anwendung und als solche hilfreich für Patienten,..."

    …sagt Johannes Lütz, Leiter der Bundesopiumstelle im Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, Bonn. Die asiatische Volksmedizin kannte Opium seit Jahrtausenden; wissenschaftlich entdeckt wurde es aber erst sehr viel später, unter anderem von Thomas Sydenham, der im 17. Jahrhundert als "englischen Hippokrates" in die Medizingeschichte einging.

    "Unter all den Mitteln, die es dem Allmächtigen gefallen, hat uns zu geben, auf dass wir unsere Leiden lindern, ist keines so umfangreich anwendbar und so effizient in seiner Wirkung wie das Opium."

    " Opium als Extrakt kann zum Beispiel zur Verhinderung von Durchfällen beziehungsweise bei Durchfällen angewandt werden. Es erzielt eine ganz schnelle Wirkung, in dem nämlich eine Verstopfung eintritt und somit die Darmbeweglichkeit eingeschränkt wird und der Patient eben seinen Durchfall los wird. Es gibt Länder, in denen Opiumextrakt als Arzneimittel eingesetzt wird, gerade im vorderasiatischen Bereich, in Deutschland ist das auch als Arzneimittel im Verkehr gewesen, auch heute noch gibt es Opiumtinktur und Opiumextrakte, die in diesem Sinne auch angewandt werden können. "

    Verglichen mit dem Potenzial einzelner Inhaltsstoffe des Opiums, sind das aber eher simple Medikamente. Die Inhaltsstoffe des Schlafmohns, die Alkaloide, verbergen sich in der kugelförmigen Samenkapsel.

    " Opium wird gewonnen aus Mohnkapseln, Mohnkapseln werden aufgeritzt und der Milchsaft, der dort entweicht, der wird getrocknet, zu Klumpen zusammengegeben und bei entsprechender Lagerung entwickeln sich dann diese Alkaloide, und die sind daraus isolierbar für medizinische Zwecke. "

    Rohopium enthält 37 unterschiedliche Alkaloide, die immerhin etwa ein Viertel der Masse ausmachen. Wichtigster Bestandteil ist das Morphin, gefolgt von Codein, Noscapin, Papaverin, Thebain und Xanthalin. Fast alle Alkaloide sind Grundlage für hochwirksame Medikamente: Morphin zählt zum stärksten bekannten Schmerzmittel; Codein nutzen Mediziner als Hustenblocker; Papaverin lindert Krämpfe des Magens, der Gallenblase, des Darms und der Harnwege. Mittlerweile haben Medizinbotaniker drei unterschiedliche Schlafmohnsorten gezüchtet mit unterschiedlichen hohen Alkaloid-Konzentrationen.

    "Einmal das Opium, was besonders viel Morphin beinhaltet, dann Opium, was besonders viel Thebain beinhaltet, das ist ein anderes Alkaloid, was aber auch in Morphin umgewandelt werden kann, und dann eine andere Sorte mit Oripavin, die ebenfalls ein Opiumalkaloid ist, es ist zum Beispiel so, dass in Australien oripavinreiche Opiumsorten angebaut werden, aus denen dann Oripavin und letztlich Morphin und andere Alkaloide hergestellt werden,..."

    …sagt Winfried Kleinert, in der Bundesopiumstelle zuständig für die internationale Kontrolle von Betäubungsmitteln. Das wichtigste Alkaloid des Opiums ist Morphin, aus dem Morphium hergestellt wird. So effizient Morphium als Schmerzmittel auch wirkt, es stand Jahrzehnte in einer kontroversen Diskussion. Unübersehbar ist die Gefahr der Abhängigkeit. Viele Ärzte verabreichten deshalb zu niedrige Dosen – der Patient wurde zwar nicht süchtig, litt aber weiter unter Schmerzen. Das hat sich – sagt Johannes Lütz – geändert.

    "Die Schmerztherapie hat sich gewandelt! In den 90er Jahren hat die Ärzteschaft begriffen, dass Schmerzen, die die Patienten haben, auch gelindert werden müssen, und ich denke, das ist ganz wesentlich, dass ein sorgfältiger und verantwortungsbewusster Umgang gegenüber den Patienten, dem Patienten auch helfen muss!"

    Sprich: Die Dosierung des Morphiums muss so hoch sein, dass der Patient tatsächlich keine Schmerzen mehr erleidet. Das Problem einer möglichen Abhängigkeit spielt schon deshalb keine große Rolle, weil Morphium die Ultima Ratio der Schmertherapie ist, die letzte Möglichkeit.

    "Wenn ich einen Patienten habe, der an Krebs erkrankt ist und nur noch eine geringe Lebenszeit vor sich hat, dann die Diskussion Sucht oder nicht Sucht aufzugreifen, halte ich für ethisch sehr schwer vertretbar."

    In Deutschland unterliegt Opium dem Betäubungsmittelgesetz, bedarf zu dessen Verschreibung eines sogenannten Betäubungsmittelrezeptformulars. Das wird vergleichsweise streng kontrolliert, der Missbrauch von Opium beziehungsweise einigen aus Opium gewonnenen Produkten – Heroin zum Beispiel – lässt sich so aber nicht verhindern. Weltweit stehen riesige Anbauflächen dem Drogenmarkt zur Verfügung, teilweise sogar unter den wachsamen Augen deutscher Soldaten in Afghanistan.

    "Sicher ist das Problem in Afghanistan, dass sehr viel Opiumanbau stattfindet, der illegal ist. Es gibt Regeln von den Vereinten Nationen, eine Konvention von 1961, wo festgelegt ist, dass Opium zur Verfügung stehen soll, dass es aber ganz strenge Regeln gibt für den Anbau, das muss lizenziert sein, das muss kontrolliert werden, alles vor dem Hintergedanken, dass es eine Balance sein muss zwischen dem Angebot und dem tatsächlichen Verbrauch. Was mit dem unkontrollierten Anbau in Afghanistan natürlich nicht in Einklang zu bringen ist."

    Immer wieder fahren ISAF-Angehörige durch Schlafmohnfelder und hören von den Bauern, warum sie illegal Opium anbauen: Der Gewinn ist zehnfach höher als beim Anbau von Weizen. Im Herbst 2006 wurden in Afghanistan 6.100 Tonnen geerntet, 59 Prozent mehr als im Vorjahr! Die Welt braucht die asiatische Wunderpflanze – legal wie illegal! Opium beziehungsweise einzelne Opiate synthetisch herzustellen, um so denn Anbau zurückzudrängen, ist allerdings keine Lösung. Opium aus dem Labor ist einfach zu teuer!

    "Wenn Sie das Opium aufreinigen, dass Sie also reines Morphin haben, oder Thebain oder Codein, ist es häufig zu aufwendig, diese Substanzen synthetisch herzustellen. Das Finden einer guten Synthese ist sehr aufwendig und insofern ist man auch auf diese Opiumgewinnung angewiesen, um diese Alkaloide zu extrahieren, das ist weniger aufwendig und nicht so teuer, als wenn man diese Pflanzen synthetisieren würde. Also, die rein synthetische Aufarbeitung bringt kein anderes Ergebnis als das natürliche Morphin, es ist nur ungeheuer aufwendig so eine Synthese durchzuführen. "

    Auch in Zukunft wird in unwegsamen Bergtälern Opium angebaut – ein Weg aus diesem Dilemma ist nicht in Sicht. Auch in Zukunft muss die Gesellschaft mit den zwei Gesichtern des Opiums leben,…

    #…dass heißt den schmalen Grad von Gesund machen und helfen von dem abzugrenzen, was Gefährlich ist, das ist die hohe Kunst dabei, das ist auch die Janusköpfigkeit einer solchen Mischung, einer solchen Substanz, dass sie ihre guten wie ihre schlechten Seiten hat!

    Kaiser Daoguang konnte seine Ideen eines opiumfreien Chinas nicht durchsetzen. Opiumhöllen schossen wie Pize aus dem Boden, mit der Wirtschaft Chinas ging es bergab! Erst 100 Jahre nach dem Ersten Opiumkrieg wurden die Gesetze gegen Opium wieder verschärft. Endgültig eindämmen konnte den Opiumhandels allerdings erst Mao Zedong – mit Chinas Wirtschaft geht es steil bergauf!