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Radiolexikon: Schlangengift

Der australische Inland-Taipan ist eigentlich ein schönes Tier: Grün und schlank schlängelt er sich durchs Gebüsch, weder wirkt das Reptil besonders angriffslustig noch aggressiv. Trotzdem sollten Tier und Mensch Reißaus nehmen, sobald er auftaucht: Der australische Inland-Taipan ist nämlich eine der giftigsten Schlangen der Welt! Wer nicht sofort ein Gegenmittel spritzt, stirbt binnen kürzester Zeit! Weltweit werden jährlich fünf Millionen Menschen von Schlangen gebissen, einige hunderttausend behalten Spätschäden, rund 125.000 sterben daran. Zahlen, die belegen, wie gefährlich Schlangen sein können.

Von Mirko Smiljanic | 04.12.2007
    Köln, Zoologischer Garten, Reptilienhaus. Es ist warm und schwül. Kinder rennen umher, Mütter schieben Kinderwagen durchs Gedränge. An den Wänden Terrarien mit Echsen und Spinnen, Fröschen und Schlangen. Einige Schüler stehen vor einem Glaskasten, in dem es vor allem grün wuchert: von Tieren keine Spur. Doch sie sind da - und sie sind gefährlich!

    "Das ist hier die Giftschlangeabteilung des Terrariums, das kann man auch unschwer erkennen, diese Anlage ist hermetisch abgeriegelt, das heißt, sollte es mal zu dem unwahrscheinlichen Fall kommen, dass ein Tier entkommen kann, dann ist diese Anlage besonders gesichert,"

    was auch gut so ist - fährt Thomas Ziegler vom Kölner Zoo fort - denn keine der hier gehaltenen Schlangen ist harmlos.

    "Hier sehen wir auch gleich eine kapitale Klapperschlange, Crotalus durissus, die Schreckensklapperschlange, die in Zentralamerika beheimatet ist. Diese Klapperschlangen zeichnen sich auch wie die heimische Kreuzotter, wie die Vipern generell dadurch aus, dass sie besonders lange aufstellbare Giftzähne hat, wenn sie das Maul schließt, muss sie Zähne einklappen, sonst würde sie sich durch den Unterkiefer beißen. Diese Klapperschlangen sind dafür bekannt, dass sie ein hämotoxischen Gift haben, ein Blut- oder Gewebe zersetzendes Gift, was man äußerlich recht gut daran erkennen kann, dass es eine dunkle Verfärbung der Bissstelle gibt und man dort Blutblasen hat und dann dort eine Zersetzung des Gewebes stattfindet."

    Wer dieses Geräusch in freier Wildbahn hört, schwebt in höchster Lebensgefahr! Die Schreckensklapperschlange trägt nicht ohne Grund ihren Namen. Einen Biss ohne Gegengift überlebt niemand, manchmal tritt der Tod schon nach wenigen Minuten ein.

    "Alle bekannten Inhaltsstoffe von Schlangengiften sind von der chemischen Natur her Eiweißmoleküle, das heißt große Moleküle, die wir als Proteine bezeichnen, haben letztlich Enzym- oder Fermentaktivität, die zum Beispiel an der Bisswunde das Gewebe auflösen und somit die Verbreitung des Giftes aus der Bissregion in den Körper befördern, sie können auch im Organismus verdauungsartige Prozesse auslösen, zum Beispiel durch Zerstörung von Zellmembranen dazu führen, dass sich die roten Blutkörperchen auflösen und der Mensch so zu Tode kommt,"

    sagt Stefan Herzig, Professor für Pharmakologie an der Universität zu Köln. Lange haben Zoologen spekuliert, warum bestimmte Schlangengifte eine verdauungsfördernde Funktion haben. Ihre Antwort: Häufig sind die Opfer von Schlangen wesentlich größer als sie selbst. Da macht es Sinn, die Verdauung schon außerhalb des Körpers einzuleiten - eine Methode, die übrigens auch einige Spinnenarten anwenden. Interessant ist in diesem Zusammenhang ein weiteres Phänomen: Viele Schlangen verfügen über extrem starke Gifte. Der australische Inland-Taipan etwa, dem wenige Milliliter reichen, um sein Opfer zu töten. In solchen Fällen, vermutet Herzig, kompensiert die Schlange mit dem Supergift nicht vorhandene kämpferische Fähigkeiten: Was die Muskeln nicht schaffen, erledigt das Hightech-Gift!

    Herzig: "Eine Schlange muss möglichst schnell und möglichst effektiv ihr Opfer zum Stillstand bringen, sei es durch Tod oder durch einfache Lähmung, weil, es kommt dem Opfer nicht hinterher, weil sie nicht so schnell ist, und dies sollte möglich sein mit einer geringe Menge des Giftes, und die Evolution hat dafür gesorgt, dass mit der kleinstmöglichen Menge von Gift, die Schlange ihr Opfer zu Tode bringt."

    Die Verdauung fördernden Gifte decken aber nur einen Teil der Klaviatur des Schreckens ab. Als zweite Variante nutzen einige Schlangearten Neurotoxine beziehungsweise Nervengifte.

    Ziegler: "Und da sieht man äußerlich mitunter gar nichts, außer den Einstich- oder Einbissstellen, man kann es beim Gebissenen daran sehen, dass er die Lider nicht mehr bewegen kann, dass er Lähmungserscheinungen aufweist oder auch Zuckungen, dass Speichel ausläuft und eben unkoordinierte Dinge geschehen."

    Kobras nutzen diese Giftgruppe, aber auch die gefürchteten afrikanischen Mambas. Einige Schlangearten - und das ist besonders tückisch - konnten sich im Laufe ihrer Entwicklung allerdings nicht eindeutig für die eine oder andere Giftklasse entscheiden. Ihr Gift greift deshalb sowohl Blut und Gewebe an, wirkt aber gleichzeitig auch auf die Nervenbahnen. Wohl dem, der in solchen Fällen von Trugnattern gebissen wird, da liegen die Überlebenschancen minimal höher.

    Ziegler: "Die Trugnattern haben die Giftzähne nicht im vorderen Bereich, sondern die stehen relativ weit hinten im Kiefer, und damit es da beim Biss zu einer Giftwirkung kommen kann, muss diese Schlange auf der Wunde rumkauen, damit die hinteren Zähne zum Einsatz kommen. Trugnattern haben in aller Regel für den Menschen eine nicht so gefährliche Auswirkung, aber auch da gibt es sehr gefährliche Tiere."

    Zum Beispiel afrikanische Baumschlangen, bei denen der Biss für Menschen in aller Regel tödlich endet - es sei denn er bekommt ein Gegengift beziehungsweise ein Serum. Weil das in den seltensten Fällen sofort verfügbar ist, muss zunächst Erste Hilfe angewandt werden. Stefan Herzig, Pharmakologe an der Universität zu Köln:

    "Eine Erstmaßnahme in den Extremitäten, Beine oder Arme, besteht im Abbinden der dazugehörigen Körperteile soweit, dass der Blutabfluss gestaut wird, aber der Blutzufluss noch nicht vollständig unterbunden ist, also ein Puls sollte noch vorhanden sein. Das verhindert ein zu schnelles Abströmen des Giftes und schafft Zeit für weitergehende Entgiftungsmaßnahmen."

    Die Bisswunde darf auf gar keinen Fall ausgesaugt werden - auch wenn das in vielen Filmen zur Standardtherapie gehört! Über Mikroverletzungen gelangt das Gift sonst in den Kopfbereich. Die Wunde selbst aufzuschneiden - auch eine beliebte Behandlungsmethode - ist ebenfalls nicht ratsam: Die Wunde wird größer und bietet dem Gift nur weitere Wege in den Körper. Ob es tödlich wirkt oder nicht, hängt übrigens von mehreren Faktoren ab.

    Ziegler: "Es kommt auf die Konstitution und auf den Organismus an, ob es ein erwachsener Mensch ist, außerdem kann die Schlange selber entscheiden, wie viel Gift sie injiziert, weil, die Schlange braucht ja auch das Gift, um die Beute von innen zu zersetzen, und insofern ist so ein Giftbiss für Schlange auch ein sehr hoher Kostenaufwand, sie muss das ja wieder neu bilden und kann dann für die nächsten Tage keine Nahrung aufnehmen oder nicht verdauen, und insofern wird sie tunlichst darauf achten, mit ihrem Gift, ihren Ressourcen besonders gut umzugehen."

    Kommt es doch zum Biss, hilft nur eines: Ein Serum muss her und zwar schnell.

    Herzig: "Für Seren brauchen wir die sogenannten Schlangenfarmen, das heißt die für eine bestimmte Region wichtigen weil vorkommenden Schlangen werden gehalten, ihr Gift wird gemolken und dient in kleinen Mengen der Immunisierung von Tieren, in der Regel von Pferden. Diese Pferde erhalten auf diese Art und Weise eine immunologische Abwehr gegen das Schlangegift und aus ihrem Blut wird Serum gewonnen, was dann gegen alle in einer bestimmten Region, sagen wir Mitteleuropa, verbreiteten Schlangearten wirksam ist."

    Schlangenseren sind in der Produktion aufwendig und teuer. Seit Langem schon suchen Wissenschaftler deshalb einfachere Methoden für die Produktion von Gegengiften. Forscher der Liverpool School of Tropical Medicine haben vor einem Jahr ein neues Verfahren vorgeschlagen. Anstelle des Originalgifts einer Schlange, nutzen sie eine Art künstliche DNA. Das Erbgut repräsentiert den Querschnitt der für die Giftproduktion einer bestimmten Schlangenart - in diesem Fall ist es die afrikanische Sandrasselotter - wichtigen Erbinformation. Die Forscher injizierten Mäusen die künstliche DNA, und konnten so aus dem Blut der Tiere ein Schlangenserum herstellen, das sich als sehr viel effektiver erwies als herkömmliche Gegenmittel. In einem Punkt treten die Forscher aber immer noch auf der Stelle: Das Gegengift muss auf jeden Fall gespritzt werden, eine Behandlung per os - also als oral verabreichte Tablette - ist nicht möglich.

    Herzig: "Schlangegift wird parenteral, das heißt also durch eine intramuskuläre Injektion verabfolgt, so kann es sich die Schlange leisten, Stoffe als Gift zu verwenden, die bei Aufnahme durch den Verdauungskanal sofort kaputt gemacht werden, gar nicht erst aufgenommen werden, gar nicht wirken können."

    Immer wieder im Gespräch ist die Möglichkeit, hochgiftiges Schlangengift in winzigen Dosen als Therapeutikum einzusetzen. Offiziell zugelassen ist in Deutschland kein Medikament auf Schlangegiftbasis. Einige Zentren für Naturheilverfahren bieten aber entsprechende Therapien an: Rheumatische Beschwerden werden mit dem Gift der Kobra, Klapperschlange und Sandviper behandelt. Schlangegifte sollen darüber hinaus auch bei chronischen Schmerzen, Migräne, Neuralgien, chronischen Nierenentzündungen, Asthma, Neurodermitis sowie Heuschnupfen und anderen Allergien helfen.

    Von solchen Anwendungen ist der Kölner Zoo weit entfernt. Sein Ziel ist simpler: Die Besucher sollen Freude an den Schlange haben - und auf gar keinen Fall gebissen werden.

    Ziegler: "Der Unfallort ist abzusichern, entsprechende Maßnahmen sind einzuleiten, die Person muss beruhigt und in eine stabile Seitenlage gebracht werden oder in eine Schocklagerung, dann muss das Antiserum, das wir an mehreren Stellen gelagert haben, besorgt werden, während dann auch schon der Einsatzwagen zu Hilfe kommt."