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Radiolexikon Stillen

Eine Zeit lang war das Stillen dennoch aus der Mode gekommen. Das hat sich heute wieder geändert. Vorteile des Stillens: In den ersten Monaten bekommt das Baby jene Antikörper von der Mutter, die es selbst erst später durch Kontakt mit Erregern aufbauen kann. Auch langfristig wirkt sich Muttermilch positiv auf die Gesundheit aus.

Von Justin Westhoff | 16.11.2010
    "Stillen bedeutet für Mutter und Kind Vertrauen, Bindung, Nähe. Es wächst das Urvertrauen des Kindes zur Mutter, das Stillen ist im ersten Moment anstrengend, aber bedeutet für die Mutter auch Ruhe, Nähe und Geborgenheit genauso wie für das Kind."

    Die stillende Frau – ein rührender Anblick, ein Sinnbild von Natur, nahezu heilig, wie bei "Maria lactans", dem berühmten Bild der Madonna mit Jesuskind von Lucas Cranach. Überhaupt hat die Kunstgeschichte zahlreiche Gemälde und Holzschnitte von Frauen mit ihrem Säugling an der entblößten Brust hervorgebracht – nur in besonders prüden Epochen war dies verpönt, wie übrigens heute noch in einigen Teilen der USA.

    "Dabei ist ganz wichtig, zu wissen, dass Muttermilch die beste Ernährung ist, weil sie alle wichtigen Nährstoffe enthält, die Säuglinge zum Wachsen brauchen, auch Immunstoffe, die vor Infektionskrankheiten schützen – es ist wichtig zu wissen, dass das Stillen in jedem Fall besser ist."

    Die Natur richtet alles darauf ein: Bereits während der Schwangerschaft wachsen die Brüste, sofort nach Geburt schüttet der weibliche Organismus vermehrt das Hormon Prolaktin aus, welches die Milchproduktion anregt. Die Hirnsubstanz Oxytocin sorgt ferner dafür, dass die Milchgänge in der Brust auf einen Saugreiz überhaupt reagieren können.

    Eine Zeit lang war das Stillen dennoch aus der Mode gekommen. Inzwischen gibt es eine "Nationalen Stillkommission", die Aufklärung sowohl für Ärzte und Hebammen als auch für Eltern betreibt. Die Koordinatorin der Kommission, Anke Weissenborn, erläutert:

    "Es wird auf jeden Fall empfohlen, dass für die Mehrzahl der Säuglinge im ersten Lebenshalbjahr Muttermilch die beste Ernährung ist und dass mindestens vier Monate ausschließlich gestillt werden sollte, dann nach der Beikost-Einführung sollte auf jeden Fall weiter gestillt werden, und wie lange, das bleibt Mutter und Kind selbst überlassen, also da gibt die Nationale Stillkommission keine Empfehlung."

    In den ersten Monaten jedenfalls bekommt das Baby jene Antikörper von der Mutter, die es selbst erst später durch Kontakt mit Erregern aufbauen kann. Auch langfristig wirkt sich Muttermilch positiv auf die Gesundheit aus: Gestillte Kinder erkranken später seltener an Allergien. Für Frauen nach der Geburt ergeben sich neben den emotionalen auch körperliche Vorteile: Stillen beschleunigt die Rückbildung der Gebärmutter und hilft auch beim Abnehmen nach der Niederkunft. Und nach neuesten Forschungsergebnissen haben Frauen, die stillen, später ein geringeres Risiko, selbst an Diabetes zu erkranken.

    Evelyn Schmidt, Krankenschwester in der Geburtsmedizinischen Abteilung der Berliner Charité, informiert frisch gebackene Mütter in einem "Eltern-Still-Café".

    "Im Grunde genommen kann jede Frau stillen. Einziger Hindernisgrund ist, wenn die Mütter HIV-positiv sind oder wenn die Mutter Chemotherapie hat."

    Die Mehrheit der Frauen möchte heutzutage ihr Baby stillen – aber:

    "Häufig fehlt das Verhältnis zum eigenen Körper, die meisten Frauen kommen sehr gut belesen hierher, und wenn ihre Stillbeziehung ein wenig von der Literatur abweicht, bringt es die Frauen ein bisschen durcheinander."

    Hebammen oder Krankenschwestern in Neugeborenenstationen bieten Stillberatung an. Junge Mütter können sich auch in Stillgruppen austauschen. Zu den immer einmal wieder auftretenden Problemen gehören wunde Brustwarzen, die das Stillen schmerzhaft für die Mutter machen, weiß die erfahrene Stillberaterin:

    "Das einfachste Mittel gegen wunde Brustwarzen ist einfach eine richtige Stillposition. Wenn die Frau gelernt hat, ihr Kind richtig anzulegen, dann kann man auch wunde Brustwarzen vermeiden. Ist es dazu gekommen, kann man auch wunde Brustwarzen behandeln, das geht von Salbenverbänden bis über Lasertechnik, also es kann durchaus geholfen werden."

    Häufig erlebt Evelyn Schmidt auch Mütter, deren Säuglinge unruhig und quengelig sind und sich nicht stillen lassen wollen. Das kann damit zusammen hängen, dass die Mutter selbst unsicher oder nervös ist. Stillen braucht äußere und innere Ruhe. Manchmal werden Kinder auch nicht ihrem Rhythmus gemäß gestillt, werden ihre Signale nicht richtig erkannt:

    "Wenn die Kinder ganz langsam wach werden, die fangen an zu schmatzen, die Kinder fangen an, sich langsam zu bewegen, und dann weiß die Mutter, jetzt geht es gleich los. Wenn ein Kind im Bett liegt und schreit, dann hat's schon ganz, ganz lange auf sein Essen gewartet, deshalb ist sehr zu propagieren, dass die Kinder im ersten halben Jahr im Zimmer der Eltern liegen, dass die Mutter auch schnell reagieren kann, und das Kind an die Brust legen."

    Die Milchmenge wird durch das Stillen reguliert. Dazu muss allerdings regelmäßig gestillt oder abgepumpt werden. Um die Mutterbrust gleichmäßig zu entleeren, wird beim Stillen zwischen beiden Brüsten gewechselt. Das kann während einer Stillmahlzeit geschehen oder im Laufe des Tages.

    Die Kinder saugen circa 30 Minuten an der Brust, an einer Brust, können diese Brust leer trinken, es ist aber nicht gesagt, dass ein Kind so lange braucht, häufig trinken die Kinder nur ganz kurz; gut zu wissen ist es aber, dass Muttermilch nach 90 Minuten circa total verdaut ist, und nach 90 Minuten hat ein Kind wieder Hunger.

    Viele Mütter haben Angst vor der immer wieder diskutierten Schadstoffbelastung von Muttermilch. Darum kümmert sich das Bundesinstitut für Risikobewertung in Berlin, wo auch die Nationale Stillkommission angesiedelt ist. Anke Weissenborn:

    "Die Vorteile des Stillens und der Muttermilch-Zusammensetzung überwiegen die Nachteile, die die Schadstoffe haben können. Es sind eben die Schadstoffe, die schlecht abbaubar und fettlöslich sind, die eben auch in die Muttermilch übergehen; in den früheren Jahren war das häufiger DDT, was wir heutzutage nicht mehr finden oder nur noch in geringen Mengen, PCB, also polychlorierte Kohlenwasserstoffe sind aber nach wie vor ein Thema oder auch Kosmetikzusätze, verschiedenste neue Fremdstoffe, die eben im Austausch zu den zu vermeidenden Stoffe heute verwendet werden und nun eben neue Probleme darstellen. Mütter können trotz alledem natürlich auch selbst etwas dafür tun, Schadstoffe zu meiden, indem sie nicht rauchen und keinen Alkohol trinken während Schwangerschaft und Stillzeit, und ansonsten bewusst sein, dass das Stillen auf jeden Fall besser ist."

    Viele junge Mütter möchten so rasch wie möglich in den Beruf zurückkehren und auch Freizeitaktivitäten nicht ganz aufgeben. Stillberaterin Evelyn Schmidt:

    "Die Frau hat im Mutterschutzgesetz festgelegte Zeiten zum Stillen; wenn die Frau zum Beispiel abends weggehen will, dann kann sie abpumpen und der Babysitter kann die Milch verfüttern, also, kann auch mal kurzzeitig vom Kind weg sein – wichtig ist, die Milch muss rausgepumpt werden oder halt gestillt werden."

    Irgendwann möchte jede Mutter ganz mit dem Stillen ihres Babys aufhören. Sie sollte sich kein schlechtes Gewissen einreden lassen, wenn sie nicht die empfohlenen Stillmonate einhält. Und ob zweijährige Kinder noch an der Brust saugen sollten, ist ohnehin Geschmackssache.

    Das Abstillen sollte langsam über mehrere Wochen erfolgen, damit kein Milchstau entsteht. Auch für das Baby kann die Umstellung schwierig sein: Das Saugen an der Brust erfordert ziemlich viel Kraft, dagegen fließt die Milch aus der Flasche recht schnell. Brustgewöhnte Kinder trinken deshalb oft zu hastig. Die Folgen können Koliken oder Erbrechen sein.

    So kann das Ende des Stillens mitunter auch ein Ende der stillen Tage sein.