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Radsport-App Strava
Digitales Doping hat begonnen

Manipulierte Daten und Rekorde, die durch Doping zustande gekommen sind: Die Radsport-App Strava steht in der Kritik. Auch Giro d'Italia Fahrer nutzen diese App und sind betrübt über das Ausmaß der Betrügerei. Das Zeitalter des digitalen Dopings hat begonnen.

Von Tom Mustroph | 15.05.2016
    Bei einem Radsport-Straßenrennen stehen mehrere Fahrer mit ihren Rädern nebeneinander.
    Radsport: Doping und Betrug gibt es offenbar schon im Freizeit- und Amateurbereich. (imago)
    Ein Strava-User namens Thorfinn Sassquatch hat in der kalifornischen Radsportgemeinde Ärger ausgelöst. Der Mann hält laut Angaben der Los Angeles Times mehr als 800 Streckenrekorde - eine Superleistung für einen Amateur. Denn seine Daten konkurrieren mit denen von Hunderten anderen Radamateuren, die ihre Trainings- und Wettkampftouren bei Strava hochladen.
    Acht Millionen registrierte User hatte Strava im letzten Jahr, mehr als eine Million Menschen nutzt das Programm eines Dienstleisters aus San Francisco regelmäßig. Auch Profis sind darunter. Klassikerkönig Fabian Cancellara etwa. Deutschlands Klettertalent Emanuel Buchmann stellte sogar ganz frische Trainingsdaten ein. Der Pole Michal Kwiatkowski hat die Eckdaten seiner Weltmeisterfahrt 2014 hochgeladen. Jeder, der jetzt auf dem Parcours in Ponferrada unterwegs ist, kann sich also mit dem Besten der Besten messen.
    "Strava ist schon eine coole Geschichte. Es verbindet die Profis mit den Amateuren und mit Profis aus der Vergangenheit. An sich finde ich Strava eigentlich gut", lobt auch Radprofi Nikias Arndt die Anwendung. Arndt nimmt derzeit für den deutschen Rennstall Giant Alpecin am Giro d'Italia teil.
    Auch bei Radprofis beliebt
    Landsmann André Greipel, ebenfalls bei Giro unterwegs, hat auf Strava sogar die Daten des ersten seiner bislang zwei Etappensiege publiziert.
    "Ja, ich möchte damit zeigen, wie schwer Radsport ist. Ich habe zwar keine SRM-Daten oder Wattdaten dran, aber ich will der Öffentlichkeit zeigen, wie schnell wir bei manchen Abschnitten einfach fahren. Da kann sich jeder ein Bild machen."
    SRM-Daten ist ein Synonym für Leistungsdaten. Dazu gehört auch die erbrachte Leistung auf den Pedalen. Bei Strava werden meist abgespeckte Daten angezeigt: die zurückgelegte Strecke, die Zeit, die Durchschnittsgeschwindigkeit und das Profil.
    Für Vergleiche reicht das durchaus. Das Problem ist nur, dass manche, die sich virtuell mit den Profis messen, zum Betrug greifen, um ihre Bilanz zu schönen. Der kalifornische Rekordesammler ist so ein Fall: Thorfinn Sassquatch, bürgerlicher Name Nicholas Brandt-Sorenson, wurde 2011 bei den US-Amateurmeisterschaften mit dem weniger bekannten Blutdopingmittel Efaproxiral erwischt. In diesem Jahr gestand er vor einem Gericht in Los Angeles, geschäftsmäßig Dopingmittel aus China und Europa importiert und an US-Sportler verkauft zu haben.
    Strava-User in Kalifornien fordern nun, dass Brandt-Sorensons Rekorde getilgt werden. Sie wollen nicht in virtuellem Wettstreit mit Dopern stehen.
    Herkömmliches und digitales Doping
    Strava hat bislang die Rekorde nicht gelöscht. Das Unternehmen, das einen kostenlosen Basiszugang gewährt, steht auch vor einer nicht einfachen Entscheidung. Nach welchen Kriterien sollen Rekorde bewertet werden? Wer macht das? Und muss es Dopingkontrollen geben?
    Ratlosigkeit auch beim Giro d'Italia: "Ich habe keine Ahnung. Vielleicht müssten sie das machen, ja", meint André Greipel auf die Frage nach Dopingkontrollen bei Strava.
    Sein Kollege Arndt ist eher auf Seiten der Skeptiker: "Ich denke, das geht zu weit. Es ist eine Sache, die jeder für sich nutzen kann und jeder für sich einschätzen soll, wo er steht. Und schlimm genug, dass solche Gedanken schon da auch aufkommen. Aber ich denke, wenn jeder für sich weiß, was da passiert und seine Leistung einfach einordnet, dann ist es gut."
    Stravas Daten sind allerdings nicht nur durch herkömmliches Doping bedroht. Die Website "Digital Epo" etwa bietet an, die Leistungen um einen selbst wählbaren Prozentsatz nach oben zu tunen. Aufmerksame Beobachter können diese Manipulation allerdings am ungewöhnlich gezackten Verlauf der Kurven erkennen. Manch einer, der mit Leistungen protzen will, packt sein Rad mitsamt des Messgeräts ins Auto und fährt ein paar Kilometer lang ein oder zwei km/h schneller als er es aus eigener Kraft könnte. Er tunt analog seine Durchschnittswerte. Extrem langsam fahrende Autos mit Rädern oben drauf sind also Betrugsindikatoren im Freizeitsport.
    Die traurige Quintessenz ist: Der Betrug findet sogar unter denen willige Vollstrecker, die nicht um gelbe oder rosafarbene Trikots fahren, auf die weder Fernsehkameras noch großen Werbeverträge warten. Sportwelt - wohin bist du gekommen?