
Es fehlte nicht viel und Alberto Contador hätte sein Double-Unternehmen schon im Mai begraben müssen. Auf der vorletzten Etappe des Giro d'Italia blies Team Astana auf der Lehmpiste des Colle delle Finestre zum Angriff. In den aufgewirbelten Staubwolken dieses höchsten Gipfels des Giro strebten die Männer in Blau nicht nur den Tagessieg an. Sie wollten die Gesamtwertung umkrempeln. Das elektrisierte. Und Alberto Contador litt.
"Die sind sehr schnell geklettert. Ich hatte nicht die Kräfte. Astana hat das Rennen immer schwer gemacht, in jedem Moment. Aber jetzt war das sogar für mich zu schnell. Ich habe dann nur auf gleichmäßiges Tempo geachtet. Ich wusste, das ist eine brutale Krise",
gestand er ein. Contador verlor aber nicht die Nerven. Er behauptete von seinen viereinhalb Minuten Vorsprung in der Gesamtwertung noch deren zwei. Sein Rezept:
"Ich kannte die letzten Kilometer. Ich wusste, dass ich ruhig bleiben musste und keinen Hungerast bekommen durfte. Und am Ende habe ich das Trikot zum Glück behalten."
Ursache von Contadors Schwäche war die Schwere des Rennens. Dieser Giro geht als eine der härtesten Rundfahrten überhaupt in die Geschichte ein.
"Es war vom Profil her schon schwierig, die Strecke mit San Remo, wo es hoch und runter ging, was natürlich angriffslustigen Fahrern entgegenkam. Natürlich ist die letzte Woche auch noch einmal richtig, richtig schwer. Und die Rennfahrer haben das Rennen schwer gemacht. Es wurde immer attackiert. Es war sehr interessant für die Zuschauer. Aber natürlich auch sehr hart für die Rennfahrer",
beobachtete Jan Schaffrath vom Begleitwagen des Rennstalls Etixx Quick Step aus.
Routinier Bernhard Eisel von Team Sky ist ebenfalls schwer beeindruckt.
"Sagen wir mal so: das war eine der schwersten Landesrundfahrten, die ich in meinem Leben je gefahren bin.",
meint der Österreicher, der 15 Rundfahrten komplett bestritten hat. Auch er macht das Profil und die immerwährenden Attacken für die außergewöhnlichen Anstrengungen verantwortlich. Für die Folgen wählt er ein drastisches Bild:
"Wenn die Karenzzeit nicht so groß wäre, dann würden da jetzt nur noch 100 Mann rumfahren."
Eine Nummer zu schwer war dieser Giro für den deutschen Rennstall Giant Alpecin. In Abwesenheit von Marcel Kittel und John Degenkolb gelang kein einziger Etappensieg. Der Grund: Der Sprintzug stellte nicht die richtigen Weichen. Kittelersatz Luka Mezgec klagte:
"Wir wollten hier einen guten Sprintzug aufziehen. Ich war auch immer gut dran an den Mannschaftskollegen. Aber am Ende sind wir nicht in eine gute Position gekommen. Wenn man den Sprint von der zehnten Position aus beginnt, kann man kein gutes Resultat erzielen."
Bei der Tour de France will Giant Alpecin dann aber mit Kittel und Degenkolb sowie dem eingespielten Zug an den Start gehen.
Auffällig beim Giro waren in diesem Jahr die zahlreichen Kontrollen von Polizei und UCI auf versteckte Elektromotoren. Zweimal kontrollierte der Weltradsportverband (UCI), gleich drei Mal die italienische Polizei. Marc Reef von Giant Alpecin hält die Betrugsgefahr für real.
"Es gab in der Vergangenheit schon Gerüchte darüber. Es ist gut, dass sie das überprüfen. Es gibt jetzt mehr Dopingkontrollen und die Leute schauen nach anderen Wegen, um zu betrügen und bessere Resultate zu erzielen. Das könnte wirklich ein Weg sein. Und daher ist es gut, dass sie überraschend ein paar Fahrer auswählen, um das zu überprüfen."
Gefunden wurde bislang aber nichts. Einen Schatten warf zuletzt Sieger Contador auf diesen sportlich hochwertigen Giro. Auf dem Podium zeigte er mit drei gespreizten Fingern an, dass er diesen Gesamtsieg als seinen dritten betrachtet. Er zählt den Sieg 2011, der ihm wegen Dopings aberkannt wurde, einfach mit. Neben der neueren Betrugsgefahr mit Motoren gibt es auch noch alte Mentalitäten.