
Die Fernfahrt Paris - Nizza wird zum Hindernislauf. Wer ans Etappenziel gelangen will, wird von Sperren aufgehalten: Betonblöcke, die den Zugang versperren, Autos, die als Hindernisse postiert sind. Und immer wieder Polizisten mit Maschinenpistolen, die Ausweise und Zugangsberechtigungen kontrollieren.
Nicht einmal der Einsatzleiter der Polizei weiß genau, wieviel Sperren es allein im Zielbereich gibt: "Das sind viel, enorm viel. Ich habe keine Zahlen, aber es sind viel.", sagte der Uniformierte mit den drei Querbalken auf der Brust, die ihn als Hauptmann kennzeichneten.
Frankreich befindet sich weiter im Ausnahmezustand. Seit den Anschlägen in Paris im November 2015 ist das so. Der Anschlag mit einem Lastwagen in Nizza im Juli 2016 hat die Aufmerksamkeit noch gestiegen. Die Fernfahrt Paris – Nizza, das erste große Etappenrennen im Frühling verbindet also zwei Anschlagsorte.
Mehr Polizisten, bedrückende Atmosphäre
Das hat Konsequenzen. Nach Auskunft des Rennorganisators ASO hat sich die Anzahl der Polizisten verdoppelt. Die Sicherheitskosten insgesamt sind um 30% erhöht.
Das sorgt für eine bedrückende Atmosphäre.
"Ich mag es nicht, Polizisten mit Gewehren zu sehen. Es fühlt sich nicht gut an. Aber sie sind natürlich da, um uns zu schützen. Es ist allerdings nicht das Leben, das ich mir wünsche, so von Waffen umgeben zu sein.",sagt freimütig Patrick Lefevere, Rennstallchef von Quick Step, und damit Arbeitgeber von Sprintstar Marcel Kittel.
Die zusätzlichen Kontrollen sorgen für Konflikte. Ein Geschäftsmann wollte sich von den Straßensperren für das Rennen nicht aufhalten lassen. Beim Durchbruch durch die Barriere schleifte er nach Mitteilung französischer Medien sogar einen Polizisten ein paar Meter mit.
Die Lage ist angespannt. Und auch dem Polizeihauptmann im Ziel der 6. Etappe in Fayence gefällt die Entwicklung nicht: "Wir haben zusätzliche Aufgaben seitdem. Für die Bevölkerung kommt es darauf an zu verstehen, was sich geändert hat. Wir befinden uns nicht mehr in einer Welt der großen Freiheiten. Jetzt gibt es überall Bedrohungen. Und die Sicherheitskräfte müssen die Aufmerksamkeit erhöhen. Das ist der Unterschied zu früher, leider."
Besonders in Nizza, dem Ziel des achttägigen Rennens, ist der Anschlag noch immer in den Köpfen der Einwohner.
"Das ist ja noch weniger als ein Jahr her. Die Leute bleiben jetzt eher zu Hause, auch wenn es Events gibt. Sie sind zufrieden, dass es sie wieder gibt, sie bleiben aber auch zu Hause. Man denkt andauernd daran. Auch ich. Bei jedem Event, jedem Lastwagen, jedem Krach. Man denkt immer daran.", erzählt die Betreiberin des Zeitungskiosks an der Promenade des Anglais. Der ist keine 100 Meter von dem Punkt entfernt, an dem Lkw am 14. Juli schließlich zum Stehen kam. Die komplette Stille am Tag danach, die nur vom Weinen der Freunde und Angehörigen der Opfer unterbrochen wurde sowie der Anblick der weißen Leichensäcke auf der Promenade haben sich fest ins Gedächtnis der Zeitungsfrau eingeprägt.
"Das Leben geht weiter"
Auch die Taxifahrer, werden sofort ernst, wenn der Anschlag zum Thema wird: "Wir reden andauernd darüber. Das hat viel Leid gebracht. Und auch wirtschaftliche Rückschläge. Der Tourismus ist stark zurückgegangen. Aber es geht langsam wieder aufwärts. Es braucht Events, damit die Leute, das vergessen", meint Robert, seit 28 Jahren mit dem Taxi in Nizza unterwegs.
Und weil es seiner Meinung nach Events braucht, freut er sich über die Ankunft von Paris - Nizza. Erst recht, dass die Zielpassage wieder auf dem Uferboulevard ist: "Das ist gut, das ist ein sehr gutes Zeichen. Denn das Leben geht ja weiter. Unser Problem ist, dass es keine Events auf der Uferpromenade gab. Das ist jetzt das erste Mal, dass sie seit Juli letzten Jahres die Uferstraße für eine Veranstaltung sperren. Selbst der Karneval musste ins Zentrum umziehen und durfte nicht auf der Promenade sein."
Auf die traditionelle Promenade des Anglais geht es dennoch nicht. Zu groß ist noch der Respekt vor den Opfern, als dass die Radprofis ausgerechnet auf dem tödlichen Weg des LKW’s ihren Zielsprint austragen sollen. Kurz vor dem Unglücksort ist Schluss.
Ein Kompromiss in Zeiten von Terror, Opfergedenken und dem Willen, trotz allem das Leben fortzuführen.


