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Radtour historischen Ausmaßes

Eine ukrainische Jugendorganisation plant eine Fahrradtour auf den Spuren Stepan Banderas, von Lemberg über Krakau und Auschwitz bis nach München, und die polnische Regierung verweigert den Radlern die Einreise. Das lässt aufhorchen.

Martin Sander im Gespräch mit Karin Fischer | 10.08.2009
    Wird hier mit Kanonen auf Spatzen geschossen? Nicht ganz, denn Stepan Bandera gilt nationalbewussten Ukrainern als verehrungswürdige Leitfigur, ist für Polen aber so etwas wie ein ganz, ganz rotes Tuch. Was die einen als Ökotourismus verkaufen, ist für die anderen schlicht Geschichtsrevisionismus. Mit unserem Polenspezialisten Martin Sander haben wir versucht, den Fall aufzudröseln. Herr Sander – wer war Stepan Bandera?

    Martin Sander: Ja, dieser Stepan Bandera war eine Figur der ukrainischen Unabhängigkeitsbewegung im 20. Jahrhundert und diese Unabhängigkeitsbewegung muss man leider in den breiten Strom der faschistischen Bewegungen einordnen. Er wurde also in Ostgalizien geboren, 1909, da war dort noch Habsburger Reich, aber nach dem Ersten Weltkrieg war dieses Gebiet ja polnisch, und da hat er im Untergrund gekämpft. Er soll auch beteiligt gewesen sein an der Ermordung des polnischen Innenministers, hat in polnischen Gefängnissen gesessen und dann hat er sich mit Hitlerdeutschland verbündet. 1941 war er beteiligt an Massenmorden, an Polen vor allen Dingen aber auch an Juden und auch an Ukrainern, und er hat dann versucht, auch einen ukrainischen, unabhängigen Staat zu gründen. Und in diesem Augenblick ist er dann in Konflikt auch mit Nazideutschland geraten. Man hat ihn dann nach Sachsenhausen in so eine Art Schutzhaft gebracht, 1944 ist er aber freigekommen, hat dann nach dem Krieg in Deutschland gelebt, in München, und wurde 1959 von einem KGB-Agent ermordet, also auch ein Kämpfer gegen den Kommunismus. Eine schillernde Figur.

    Fischer: Um einen historischen Vergleich mal anzubringen: Auf den Spuren Banderas durch Polen zu fahren, wäre in etwa so, als ob man auf den Spuren Alfred Rosenbergs von Deutschland aus in die ehemaligen Ostgebiete fahren würde. Jetzt haben wir also eine drastische Abkühlung des polnisch-ukrainischen Verhältnisses, seit die Pläne für diese Fahrradtour bekannt wurden. Was genau, Herr Sander, ist seit Ende letzter Woche passiert?

    Sander: Man hat sich furchtbar erregt natürlich in der Ukraine, in der rechten, in der nationalen Presse, darüber, dass die polnischen Behörden so etwas unterbinden, was eigentlich unter freie Meinungsäußerung fiele. Man hat sich auch in Polen sehr erregt. Dieses Einreiseverbot war ja nur die Folge einer Kampagne in den Medien und in der Öffentlichkeit – da hat auch die katholische Kirche, da haben verschiedene polnische, national-konservative Verbände teilgenommen –, dass man so etwas nicht dulden kann, dass so ein politisch Verantwortlicher für Massenmorde eben heute in Polen und in Europa nicht geehrt werden kann. Und das ist der Stand der Dinge, und inzwischen wird konstatiert von den Beobachtern der polnisch-ukrainischen Beziehungen – die ja in den vergangenen Jahren nach der orangenen Revolution ja recht gut gewesen sind –, dass es da doch einen Temperatursturz schon gegeben hat und dass der wohl auch weitergehen wird, dass plötzlich diese komplizierte polnisch-ukrainische Geschichte vor allen Dingen aus dem Zweiten Weltkrieg wieder an die Oberfläche gespült würde. Das wird übrigens von vielen liberalen Kommentatoren in Polen bedauert.

    Fischer: Welche Rolle spielt dieser geschichtspolitische Streit im Moment in der polnischen Öffentlichkeit?

    Sander: Ja, ähnlich übrigens auch wie in dem Verhältnis zu Deutschland. Da gab es ja auch so einen Honeymoon in den 90er-Jahren: Alle Probleme lassen sich lösen, die Geschichte ist Vergangenheit – hat man zehn Jahre lang gemacht, dann ist alles wieder aufgebrochen, auch bei dem Thema Vertreibung und anderen Themen. Und so auch nun im Verhältnis mit der Ukraine: Man hat gedacht, man kann durch die praktische Politik der Völkerverständigung heute sehr, sehr viel erst mal sozusagen zur Seite drängen, vielleicht auch aufarbeiten. Aber das ist nicht gelungen und es ist sicher interessant, wie jetzt die auch zum Teil sehr hart geführte, historische Debatte sich weiter entwickelt wird zwischen Polen, die eher einen nationalen Standpunkt einnehmen, und den Bandera-Verehrern in der Ukraine, die ja nicht wenige sind. Fast in jeder kleinen und größeren Stadt vor allen Dingen der westlichen Ukraine gibt es ein Denkmal und wird diese Figur als Vordenker der unabhängigen Ukraine, Stepan Bandera, gefeiert.

    Fischer: Und für wie plausibel halten Sie diese ukrainische Sehnsucht nach nationaler Identität über diese umstrittene Figur?

    Sander: Für ganz und gar illegitim. Er ist doch ein Vertreter einer faschistischen Bewegung, er war an Verbrechen beteiligt, man kann sich nicht mit identifizieren und insofern ist der polnische Standpunkt, der Gegner dieser Fahrradtour, vollkommen verständlich. Eine ganz andere Frage ist, ob es geschickt ist, so ein paar verwirrte Jugendliche und merkwürdige kleine Organisationen, die sich nennen "Öko-Barmherzigkeit", so in die Öffentlichkeit, ja, in die Weltöffentlichkeit zu bringen durch so ein Einreiseverbot. Vielleicht hätte man dann doch die vier Fahrradfahrer, die es ja zunächst nur gewesen sind, durchlassen sollen und dann wäre das Ganze nicht so weit hochgeschaukelt worden.

    Fischer: Martin Sander erklärte die geschichtspolitischen Hintergründe einer Fahrradtour junger Ukrainer, die an der Ostgrenze Polens ihr jähes Ende fand.