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Radziwill oder Naziwill?

Dem insbesondere in Norddeutschland bekannten Künstler Franz Radziwill (1895-1983) widmen gleich fünf Häuser in diesem Jahr Einzelausstellungen. Den Auftakt hat am Wochenende die Kunsthalle Emden gemacht, die dank einer umfangreichen Dauerleihgabe einen neuen Blick auf den in der Nazizeit erst gefeierten, dann denunzierten Maler erlaubt.

Von Rainer Berthold Schossig | 19.01.2011
    "Ich wollte immer nur Maler sein ..."

    Der malende Einsiedler Franz Radziwill lebte sechs Jahrzehnte im Fischerdorf Dangast, zurückgezogen hinterm Deich am Jadebusen, und doch war er alles andere als ein Heimatmaler. Seine ganze Widersprüchlichkeit, seine Stärken und Schwächen führt die Emder Retrospektive anschaulich vor.

    Die Mehrzahl dieser Bilder hat der Oldenburger Unternehmer und Mäzen Claus Hüppe gesammelt, der vor zwei Jahren gestorben ist. 1924 geboren, begleitete er Radziwills künstlerische Entwicklung schon seit den 50er-Jahren zunehmend engagiert. So entstand eine Sammlung, die Entwicklung des gesamten Werks des Dangaster Malers widerspiegelt. Ergänzt werden sie durch Leihgaben aus einer Kölner Privatsammlung. Auch die Auswahl aus dem schmalen Frühwerk ist fast ausnahmslos gelungen: Radziwills nach dem 1. Weltkrieg explodierende Bildproduktion ist fröhlicher, naiver, wilder Expressionismus. In der komplett umgehängten Emder Kunsthalle wird man empfangen von starkfarbigen Bildern, auf denen Haus, Baum und Strauch, Mensch, Hund und Katze unbekümmert durcheinanderwirbeln - die ganze verrückte Welt der frühen 20er-Jahre. Dann die abrupte Wandlung zum magischen Realismus: Plötzlich steht man vor Gemälden, die von einem der alten Niederländer stammen könnten. Das Wechselbad der Gefühle entspricht der Umkehr des Malers zur Neuen Sachlichkeit.

    Das Inventar der norddeutschen Landschaft wird zur heillosen Zwischenhölle: Siel- und Werftmauern, Friedhofs- und Katenwände, akribisch gemalte Klinkerfassaden versperren den Blick. Bei aller Magie sind die Bilder aufgeladen mit konkreter Zivilisationskritik. Man spürt das Bedrohliche des Lebens an der Küste, zwischen versehrter Natur und brutaler Ingenieurstechnik. Bald schieben sich monströs genietete Schiffskörper ins Bild, bald zerschneiden tief fliegende Flugzeuge die apokalyptischen Himmel. Giftige Nebel wallen, schwarzblauer Qualm dringt vor, grüngelb glüht der Horizont und überall schwappt die tückisch schwarze Nordsee. - All dies mischt sich zu rätselhaften Erinnerungen an die Zukunft eines Krieges, der damals noch gar nicht begonnen hat.

    Fast vergisst man über dem faszinierenden Furor dieser Bilder, dass Franz Radziwill politisch und malerisch rückwärtsgewandt war. 1933 Mitglied der NSDAP geworden, trat er die Nachfolge des aus Düsseldorf vertriebenen Paul Klee an; doch schon 1935 ging er seiner Professur wieder verlustig: NS-Studenten hatten genau jene frühen expressionistischen Radierungen von ihm entdeckt, die jetzt wie nebenbei in einer der Emder Vitrinen liegen. Der Denunzierte zog sich grollend wieder in sein ostfriesisches Klinkerhaus zurück. Die folgenden Kriegs- und Nachkriegsbilder des Einsiedlers von Dangast wirken zwiespältig: einerseits wie spekulative Versuche, am Schwung der Zivilisationskritik wieder anzuknüpfen, andererseits wie Korrekturen, indem er durch Übermalungen die verlorene Naivität mühselig zu überhöhen und philosophisch zu fundieren trachtete. Dabei entstanden oft gemalte Monologe über die Eitelkeit der Welt, Fluchten in interstellare, apokalyptisch aufgedonnerte Welten, die zugleich wie sarkastische Kommentare zur Nutzlosigkeit des Fortschritts zu lesen sind. Er wurde zum mürrischen Konservativen.

    "Ich möchte nichts missen in meinem Leben, weder das Schöne noch das Schwere."

    Wie ist der Wandel im Werk Radziwills, wie seine Abkehr von den Prinzipien der Klassischen Moderne zu begreifen? Diese Fragen stößt die Emder Ausstellung nur an. Die weiteren Ausstellungen in Dangast und Wilhelmshaven sowie die Doppelausstellung in Oldenburg wollen dem detaillierter nachgehen. Franz Radziwills Verweigerung der Abstraktion und sein konsequenter Weg ins Altmeisterlich-Magische geben diesem Künstler eine zwieschlächtige, zugleich heute wieder hochaktuelle Note. War er ein Vorläufer der Postmoderne oder gar ein verkappter sozialer Realist? War er - der angesichts der sozialen Katastrophe der Weimarer Republik zum aktiven Parteigänger der NSDAP mutierte - ein Opportunist, der seine Bilderwelt der Blut- und Bodenkunst der Nationalsozialisten anverwandeln wollte? Oder ging er jenseits all solchen Kalküls einen einsamen, eigensinnigen dritten Weg? - Die Antworten darauf stehen bis heute aus.