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Ränkespiele, Reichtum und Revolution

Marie Antoinette - ihr Name steht bis heute für Verschwendungssucht und Frivolität. Eine Ausstellung im Pariser Grand Palais versucht nun, die französische Königin jenseits der Klischees darzustellen. Mittels Gemälden und alltäglicher Gegenstände aus dem Besitz der Königin soll ein realistisches Bild der historischen Figur gezeichnet werden.

Von Björn Stüben | 24.03.2008
    Im Pariser Grand Palais hält zurzeit eine Königin Hof, die vor 215 Jahren ihren Kopf nur wenige hundert Meter von hier entfernt unter der Guillotine verlor. Marie Antoinette, die 1755 als Tochter der österreichischen Kaiserin Maria Theresia in Wien geboren und als 14-Jährige mit dem ein Jahr älteren französischen Thronfolger Ludwig XVI. verheiratet wurde, steht im Mittelpunkt einer monumental angelegten Schau mit über 300 Ausstellungsstücken. Von der Tuschzeichnung und dem repräsentativen Porträt in Öl über das Toilettentischchen und die Puderdose bis hin zur Marmorbüste und der raumfüllenden Theaterkulisse reicht das Spektrum der Exponate, mit denen Ausstellungskurator Xavier Salmon das Leben der Königin nachzeichnen möchte.

    "Es wurden nur Werke für die Schau ausgewählt, die bestens dokumentiert sind und nachweislich im Besitz von Marie Antoinette waren. Bei den Vorbereitungen habe ich nur Dokumente von Zeitgenossen Marie Antoinettes studiert, also keine Schriften des 19. oder 20. Jahrhunderts. Ich wollte mich auf Aussagen konzentrieren, die zur Zeit Marie-Antoinettes gemacht wurden, denn es interessierte mich, wie sie von ihren Zeitgenossen wahrgenommen wurde, von den Leuten, die zu ihren Freuden zählten und von denjenigen, die sie verachteten. Ein möglichst authentisches Bild der Königin soll somit vermittelt werden. Bisher wurde sie immer in ihrer historischen Dimension dargestellt. Indem wir jetzt ihre Porträts und die vielen Dinge zeigen, mit denen sie sich umgab, kann sich das Publikum Marie Antoinette rein visuell nähern."

    Veritable Schlossatmosphäre vermitteln zu Beginn der Ausstellung die Raumfluchten, die zunächst in dezentes Dunkelrot an den Wänden getaucht sind, und die Kindheit Marie Antoinettes in der Wiener Hofburg und in Schönbrunn in Szene setzen wollen. Die junge Erzherzogin am Spinett, mit selbstbewusstem Blick ihren Porträtisten Franz Xaver Wagenschön fixierend oder Marie Antoinette als etwas blasses Kind in eine altrosa Seidenrobe eingeschnürt von Jean Etienne Liotard sind ebenso zu bewundern wie exquisite Lackmöbel aus den Gemächern ihrer Mutter Maria Theresia.

    Das Königsblau an den Wänden der folgenden Räume will dann signalisieren, dass Marie Antoinette am französischen Hofe angekommen ist. Ein Porträt ihres blasierten Ehegatten Ludwigs XVI. von Duplessis oder Marie Antoinette hoch zu Ross von Brun de Versoix verbildlichen Versailles und die Rolle, die die junge Königin auszufüllen hatte, stets assistiert vom Briefwechsel mit ihrer Rat gebenden Mutter in Wien. Die künstlerisch wertvollsten Porträts der Marie Antoinette stammen zweifellos von ihrer Hofmalerin Elisabeth Louise Vigée-Lebrun, die es sich auch erlauben konnte, die Königin verhältnismäßig leger mit Strohhut und schlichtem Baumwollkleid für den Salon 1783 abzubilden, was jedoch der Öffentlichkeit derart missfiel, dass das Bild durch ein standesgemäßes Porträt von Marie Antoinette in Brokat und Seide gehüllt ersetzt werden musste.

    Im Saal, der sich dem kleinen Trianon-Schloss in Versailles widmet, in dem die Königin ihr Refugium abseits der höfischen Etikette gefunden hatte, türmen sich Theaterkulissen auf, die speziell für die Schau geschaffen, perspektivisch den Blick des Besucher zum gemalten Liebestempel hinlenken, begleitet von Vögeln, die aus versteckten Lautsprechern zwitschern.

    Die Schau endet in einem dunklen Saal, an dessen Wänden böse Satireblätter mit dem Königshaus ins Gericht gehen. Als letztes Exponat zeigt eine kleine Tuschzeichnung von Jacques-Louis David die abgezehrte Königin in ihrem letzten Hemd. Der Besucher hat nichts wirklich Neues über Marie Antoinette gelernt, dafür aber hat er sich berauschen können an perfekt in Szene gesetztem Prunk und detailgetreu rekonstruierter Raffinesse eines höfischen Systems, das schließlich eine Revolution heraufbeschwören musste. Und somit erfährt der Besucher eigentlich mehr über die Umstände, die zur französischen Revolution führten, als über Marie Antoinette selbst. Vielleicht hatte ja Stefan Zweig mit seiner Einschätzung recht, als er 1932 schrieb:

    "Marie Antoinette war weder die große Heilige des Royalismus noch die Dirne der Revolution, sondern ein mittlerer Charakter, eine eigentlich gewöhnliche Frau, nicht sonderlich klug, nicht sonderlich töricht, die Durchschnittsfrau von gestern, heute und morgen."