Donnerstag, 05. Oktober 2023

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Rätsel um Mathematik(er)

Mathematik. – Die Poincaré-Vermutung gilt als eines der kniffligsten mathematischen Rätsel der Welt. Gleichwohl scheint der russische Mathematiker Grigori Perelman das Rätsel 2003 gelöst zu haben. Allerdings hat der sehr menschenscheue Denker seine Lösung nur mündlich und im Internet vorgestellt, eine Veröffentlichung in einem Fachjournal verweigerte er bisher. Damit läuft er Gefahr, zumindest das Preisgeld von ein Million Dollar zu verlieren, das die das Clay Mathematics Institute für den Beweis der Poincaré-Vermutung ausgesetzt hat. Offenbar haben auch schon Dritte begonnen, Blätter aus seinem akademischen Lorbeer zu zupfen.

Von Jan Lublinski | 03.08.2006

    100 Jahre lang haben Mathematiker versucht, die Poincaré-Vermutung zu beweisen, und damit die Antwort auf eine mathematische zu Frage geben, die der französische Mathematiker Henri Poincaré im Jahr 1904 gestellt hatte. Das Problem erwies sich als eine extrem harte Nuss. Mindestens 30 sehr ernst zu nehmende Lösungsversuche sind im Laufe des vergangenen Jahrhunderts bekannt geworden: eingereichte Publikationen oder Beweis-Ankündigungen von etablierten Mathematikern. Keine von ihnen hielt einer genaueren Prüfung stand. Im Jahr 2003 trat dann Grigori Perelman auf den Plan, ein damals 36-jähriger russischer Mathematiker. Er präsentierte einen Beweis, gegen den jetzt, nach drei Jahren, noch immer kein Experte etwas einzuwenden hat.

    "”Er hat das Problem viel tiefer durchdrungen als alle anderen vor ihm. Die Prüfprozedur ging erstaunlich schnell, wenn man betrachtet wie anspruchsvoll diese Aufgabe war. Viele Mathematiker haben hier sehr selbstlos gehandelt und sehr hart gearbeitet, um sicher zu stellen, dass dieser Beweis bis ins letzte Detail richtig ist.""

    Der Beweis gilt inzwischen als anerkannt, auch wenn die Prüfung noch nicht in allen Details abgeschlossen ist. Die Poincaré-Vermutung ist eine Fragestellung aus dem mathematischen Gebiet der Topologie: Hier geht es um Fragen der Ähnlichkeit verformbarer Körper. So unterschiedliche Dinge wie ein Autoreifen und eine Kaffeetasse mit Henkel gelten als topologisch gleich: wären sie aus Knete, könnte man das eine Objekt in die Form des anderen bringen, ohne dass man ein Loch bohren oder etwas ankleben müsste. Topologisch ungleich zu Autoreifen hingegen wären beispielsweise eine Kugel oder eine Brezel: die Kugel hat kein Loch und die Brezel hat zwei. Sie lassen sich also nicht durch einfache Verformung in die Form eines Ringes bringen. Mit solchen Objekten, ihren gekrümmten Oberflächen, ihren Unterschieden und Gemeinsamkeiten befasst sich die Poincaré-Vermutung. Eine Million Dollar hat das amerikanische Clay Mathematics Institute für den Beweis der Vermutung ausgeschrieben. Das Geld verwaltet James Carlson, der Präsident der Stiftung.

    "”Ich habe als Student erstmals von der Poincaré-Vermutung gehört und war ziemlich sicher, dass ich die Lösung des Problems in meinem Leben nicht erleben würde. Dass es jetzt doch geklappt hat, finde ich sehr aufregend.""

    Um Millionär zu werden, muss Perelman nun noch eine weitere Anforderung erfüllen: Sein Beweis muss in einem Fachjournal publiziert werden. Erstaunlicherweise aber ist Perelman genau dazu nicht bereit. Er hat seinen Beweis im Internet öffentlich gemacht, und er hat ihn seinen Kollegen auf einer Vortragsreihe in den USA vorgestellt. Mehr will er in der Angelegenheit nicht tun. Er gilt als menschenscheu und meidet derzeit den Kontakt mit seinen Kollegen. Carlson:

    "Er hat viele Jahre lang ganz alleine gearbeitet und will auch weiterhin nicht gestört werden. Ich habe nur einmal eine Email von ihm erhalten, eine sehr kurze. Zur Zeit antwortet er gar nicht, wenn man ihm eine Nachricht schickt. Ich denke, er tut das, um sich ungestört mit neuen Dingen beschäftigen zu können.""

    Nun aber haben andere Mathematiker sich entschlossen, die Publikationsarbeit für Perelman zu übernehmen. Vier Experten-Gruppen weltweit widmen sich dieser Aufgabe. Carlson:

    "”Sie versuchen zunächst einmal den Beweis ausführlich darzustellen, so dass andere Mathematiker ihn nachvollziehen können. Und natürlich erhoffen sie sich auch neue Inspiration von den Ideen und Techniken die Perelman eingeführt hat. Mit seiner Arbeit werden wir Türen öffnen können, die uns bislang verschlossen waren.""

    Neuerdings haben zwei chinesische Mathematiker den Beweis im "Asian Journal of Mathematics" veröffentlicht. Sie behaupten sogar, entscheidende Schritte zu seiner Vervollständigung geliefert zu haben. Selbstverständlich ist Perelman der einzige, dem die Prämie von einer Million Dollar zusteht, aber selbst wenn er sie zugesprochen bekommt, wird er sie aller Voraussicht nach nicht annehmen. Er will kein Geld, sondern einfach nur seine Ruhe haben. Seine Kollegen beschäftigt derzeit die Frage, ob er auch die Fields Medaille erhalten wird, den Nobelpreis der Mathematiker, der im August auf einem Mathematiker-Weltkongress in Madrid vergeben wird. Diese Auszeichnung hat einen Vorteil, den Perelman sicher schätzt: Sie kann auch in Abwesenheit verliehen werden.