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Rätselhafte Stammzellen

Biologie. – Adulte Stammzellen, solche also aus Körpergewebe, galten einmal als universelle Wundermittel der Therapie. So vielseitig einsetzbar wie gedacht sind die Zellen nicht, aber dennoch warten sie immer wieder mit Überraschungen auf. So in einem Versuch mit Schweinen an der Medizinischen Hochschule in Hannover.

Von Michael Engel |
    ""Wir haben bei insgesamt zehn Tieren einen akuten Herzinfarkt ausgelöst dadurch, dass wir ein wichtiges Gefäß chirurgisch verschlossen haben","

    sagt Dr. Arjang Ruhparwar von der Medizinischen Hochschule Hannover. Der künstlich ausgelöste Herzinfarkt war Ausgangspunkt für ein atemberaubendes Experiment: Fünf Tiere blieben unbehandelt. Die anderen fünf erhielten Stammzellen aus menschlichem Nabelschnurblut:

    ""In beiden Tiergruppen, in der Kontrollgruppe und in der Gruppe mit den Zellen, ist die Pumpfunktion des Herzens deutlich reduziert gewesen nach diesem Herzinfarkt, in beiden Gruppen gleich. Wir haben dann nach zwei Monaten noch einmal nachgeschaut, haben gesehen, dass in der Kontrollgruppe die Pumpfunktion sich nicht erholt hatte, während in der mit Zellen behandelten Gruppe die Pumpfunktion sich deutlich erholt hatte."

    Ein großer Erfolg. Wenn Dr. Ruhparwar von Zellen spricht, dann meint er sogenannte USSC-Zellen, die erst vor kurzem - 2004 - entdeckt wurden. Das Kürzel "USSC" steht für "nicht eingeschränkte somatische Stammzellen", eine Bezeichnung, die das hohe Entwicklungspotential ausdrücken soll. USSC gelten als "pluripotent" - können sich also - anders als normale "adulte Stammzellen" - in eine Vielzahl verschiedenster Zelltypen verwandeln. Jedoch: die menschlichen Zellen waren im Schweineherzen bereits nach zwei Monaten verschwunden. Trotzdem haben sie eine Wirkung hinterlassen. Ruhparwar:

    "Mögliche Erklärungen sind bisher reine Spekulation. Wir wissen, dass diese Zellen in der Lage sind, sogenannte Cytokine, unter anderem Wachstumsfaktoren, zu produzieren, die in der Lage sind, das Gefäßwachstum zu beschleunigen im Infarktbereich. Aber da haben wir noch keine endgültige Antwort."

    Wieso die Stammzellen einfach verschwanden, und vor allem wie, das alles sind ungeklärte Fragen. Im Endeffekt konnten die Forscher bei den Schweinen sogar auf Immunsuppressiva verzichten, denn es gab - wie gesagt - nach zwei Monaten keine Zellen mehr, die das Immunsystem hätte angreifen können. Dass die injizierten Stammzellen durch ihre Teilungsfähigkeit neues Gewebe bilden und auf diese Weise defekte Organe reparieren, dieses Konzept muss nach Meinung von Professor Helmut Drexler - Kardiologe an der MHH - völlig neu überdacht werden.

    "Das Konzept, wie man es sich ursprünglich vorgestellt hat, ist eben nicht ganz richtig. Diese Stammzellen wandeln sich zumindest nicht in nennenswertem Umfang selber um, aber sie haben offensichtlich Botenstoffe, die in der Lage sind, die im Organ vorhandenen Stammzellen zur Teilung anzuregen und dann natürlich mehr Herzmuskel zu bilden. Dieses gilt übrigens in ähnlicher Weise in anderen Geweben außerhalb des Herzens."

    Wenn die eingesetzten Stammzellen aus dem Körper des Empfängers einfach verschwinden, dann - so die Überlegungen - dann können vielleicht sogar fremde Stammzellen von fremden Spendern eingesetzt werden, ohne dass Abstoßungsreaktionen befürchtet werden müssten. Bei den ersten klinischen Versuchen mit Stammzellen gegen Herzinfarkt wurden bislang stets nur körpereigene Stammzellen zum Beispiel aus dem Knochenmark des jeweiligen Patienten zugelassen. Jetzt - so der Herzchirurg Professor Axel Haverich - der die Tierversuche leitete, kommen auch "fremde" Stammzellen - insbesondere die USSC-Zellen aus dem Nabelschnurblut in Frage.

    "Also, als erstes brauchen wir eine sehr gute und kontrollierte Studie, um zu sehen, dass dieser Effekt tatsächlich auch auf den Menschen übertragbar ist. Das steht aus. Dann würde das bedeuten, dass in der Akutphase des Herzinfarktes man überlegen muss, diese Zellen tatsächlich anzuwenden."

    Denn - anders als bei einer Herzverpflanzung - müssten die Patienten nur für die erste Zeit immunologisch wirksame Medikamente nehmen, um die Abstoßung in den Griff zu bekommen. Nach zwei Monaten - wenn die fremden Spenderzellen verschwunden sind - könnte auf Immunsupressiva verzichtet werden - so die Hoffnung des Herzchirurgen. Schon im Frühjahr sollen klinische Versuche am Menschen beginnen.