Der radikale Antisemitismus, den Adolf Hitler als Führer der NSDAP in den 20er Jahren propagierte, hatte eine auffallende Ähnlichkeit mit den rassistischen Vorstellungen, die Ende des 19. Jahrhunderts in Wien kursierten. Vermeintliche Gelehrte malten das Schreckensbild von kriminellen und kulturprimitiven Ostjuden oder von hässlichen Kaftanjuden, die sich gegen das christliche Abendland verschworen hätten. Politiker drohten in öffentlichen Sitzungen, zur Bekämpfung der Juden müsste man Spritzen mit Insektenvertilgungsmitteln erfinden oder sie gleich zu Kunstdünger verarbeiten. In diesem gesellschaftlichen Klima verbrachte Adolf Hitler seine Jugendjahre. Er habe ein offenes Ohr für den radikalen Antisemitismus gehabt, schreibt die Historikerin Brigitte Hamann in ihrem Buch Hitlers Wien. Allerdings konnte sie keine überlieferten antisemitische Äußerungen aus dieser Zeit finden, woraus der Autor Ralf Georg Reuth schließt, Hitler habe damals nichts gegen Juden gehabt:
"In Wien tummeln sich die verschiedensten Protagonisten des Antisemitismus. Was lag denn da näher, als den Hitler, den größten Judenhasser und Menschheitsverbrecher, der sechs Millionen Juden umbringen lässt, was lag da näher, als seine Ideologisierung antisemitischer Art auf Wien zu projizieren? Aber in Wirklichkeit gibt es eine ganze Reihe von Belegstellen und von Hinweisen, jetzt keine Dokumente, sondern es sind alles Aussagen von Dritten natürlich, aber eine ganze Reihe existieren davon, die darauf hindeuten, dass Hitler kein Antisemit ist in Wien, aber sehr wohl um die antisemitische Problematik weiß."
Entgegen der Legende, die Hitler später in dem Buch "Mein Kampf" in die Welt setzte, er sei bereits in jungen Jahren ein radikaler Judenhasser gewesen, verweist Ralf Georg Reuth darauf, dass der spätere NS-Führer sogar noch während des Ersten Weltkriegs keine Aversionen gegen Juden gehegt hätte. Schließlich verdankte er sein Eisernes Kreuz einem jüdischen Offizier.
"Hitler ist bis 1919, bis ans Ende des Ersten Weltkrieges, nichts anderes als ein Mitläufer, er ist nicht ideologisiert, er schwimmt mit der breiten Masse mit, er hat keine dezidierte Meinung zur Politik."
Nach dem Ersten Weltkrieg ging Hitler nach München, wo er in den Strudel der Räterepublik geriet, sich dort aber nicht den völkischen und antisemitischen Strömungen anschloss, sondern, so die überraschende Erkenntnis Reuths, mit den Sozialdemokraten sympathisierte. Als Beleg dient ihm unter anderem ein Foto, das Hitler im Februar 1919 am Rande des Leichenzugs für den ermordeten bayerischen Ministerpräsidenten Kurt Eisner zeigt, einem Juden und Sozialdemokraten.
"Der stärkste Beleg sind die Aktivitäten Hitlers nach dem Ende des Ersten Weltkrieges, wo er als Vertrauensmann der Sozialdemokratie auftaucht und wo er als Soldatenrat der zweiten bayerischen Räterepublik in Erscheinung tritt, einer Räterepublik, die von den späteren Mentoren Hitlers zu dieser Zeit schon als jüdisch bezeichnet wird. Das heißt es ist ja bizarr anzunehmen, dass Hitler in Wien hinter dem Wirken der Sozialdemokratie die Juden erkannt haben will, während in der bayerischen Räterepublik, wo in der Tat eine Reihe von jüdischstämmigen Funktionären tätig ist, die dort nicht erkannt haben will."
Konkrete Hinweise, dass sich Hitler aktiv im Sinne der Sozialdemokratie betätigte, sind allerdings nicht überliefert. So lässt sich aus heutiger Sicht kaum beurteilen, ob eine politische Überzeugung dahinterstand, sich zum Soldatenrat wählen zu lassen, oder ob er - wie viele im Millionenheer enttäuschter Kriegsteilnehmer - im aufgeheizten bayerischen Klima von Zusammenbruch und Revolution sich lediglich mitreißen und zum Vertrauensmann wählen ließ. Erst unter dem Eindruck der kurzlebigen Räterepublik, die im Mai 1919 blutig niedergeschlagen wurde, und mehr noch durch die demütigenden Bedingungen des Versailler Friedensvertrages sei Hitler zum Antisemiten geworden, meint Ralf Georg Reuth.
"Die Revolutionsangst ist virulent. Und diese Angst wird auch unglaublich geschürt durch die Vertragsbedingungen des Versailler Vertrages. Wir haben viele Quellen, wo seriöse Zeitgenossen sagen, das befördert die Bolschewisierung Deutschlands. Und in diesem Klima, ich schreibe in dem Buch von einem Hexensabbat, kommt eine quasi neurotische Angst vor dem Bolschewismus, der gleichgesetzt wird mit dem Judentum. Die Juden werden als Drahtzieher dieses Bolschewismus angesehen. Und in dieser Zeit gerät Hitler dann quasi zu einer Ideologieeinheit, die den "bolschewistischen Umtrieben" nachspürt und wird dann auf eine dramatische Art und Weise antisemitisch ideologisiert."
Warum aber die Angst vor dem Bolschewismus Hitler erst nach dem Ende der Räterepublik erfassen sollte und zum Judenhasser werden ließ, erscheint rätselhaft. Denn die kommunistische Gefahr war erst einmal gebannt. Und der politische Bolschewismus interessierte Hitler nur insofern, als er ihn als jüdische Bewegung kennzeichnete. Der abrupte Gesinnungswandel Hitlers, wie ihn Reuth beschreibt, aus heiterem Himmel gewissermaßen, ist daher nur schwer nachzuvollziehen.
"Seine Ideologisierung, der Irrsinn seiner Rassenideologie, ist spezifisch der Situation des Jahres 1919 geschuldet, in einem Klima des Chaos und der geistigen Verwirrung entstanden. Und für dieses Chaos haben die russische Oktoberrevolution beigetragen und die Folgen für ganz Europa."
Mit seinem Buch möchte Ralf Georg Reuth aber nicht nur die von Hitler selbst gestrickte Legende vom frühen und konsequenten Antisemiten zerstören. Er will auch das angeblich vorherrschende Bild der Historiker korrigieren, wonach Hitler-Biografen wie Joachim Fest oder Ian Kershaw den Wiener Jahren des NSDAP-Führers zu große Bedeutung beigemessen hätten. In der Forschung ist jedoch weitgehend unstrittig, dass Hitler sein "antijüdisches Glaubensbekenntnis", wie der Historiker Saul Friedländer zum Beispiel schreibt, erst um 1920 formulierte. Zunächst war Hitler ein politischer Mitläufer und Opportunist. Frühestens Ende 1919 begegnete er dem Pamphletschreiber Dietrich Eckart, seinem Mentor und ideologischen Ratgeber. Die Wurzeln des Judenhasses von Adolf Hitler aber liegen weiter zurück. Brigitte Hamann, auf die sich Ralf Georg Reuth vor allem beruft, verweist darauf, dass Hitlers Weltanschauung aus der von ihm gehassten Hauptstadt des Habsburgerreiches stammte. Die Parolen der Wiener Judenverächter bildeten später, wenn nicht wortgleich, so doch dem konkreten Wortsinn nach die ideologische Substanz seines Rassenwahns.
Otto Langels war das über: Hitlers Judenhass. Klischee und Wirklichkeit. Ein Buch aus dem Piper Verlag mit 374 Seiten für 22 Euro 95.
"In Wien tummeln sich die verschiedensten Protagonisten des Antisemitismus. Was lag denn da näher, als den Hitler, den größten Judenhasser und Menschheitsverbrecher, der sechs Millionen Juden umbringen lässt, was lag da näher, als seine Ideologisierung antisemitischer Art auf Wien zu projizieren? Aber in Wirklichkeit gibt es eine ganze Reihe von Belegstellen und von Hinweisen, jetzt keine Dokumente, sondern es sind alles Aussagen von Dritten natürlich, aber eine ganze Reihe existieren davon, die darauf hindeuten, dass Hitler kein Antisemit ist in Wien, aber sehr wohl um die antisemitische Problematik weiß."
Entgegen der Legende, die Hitler später in dem Buch "Mein Kampf" in die Welt setzte, er sei bereits in jungen Jahren ein radikaler Judenhasser gewesen, verweist Ralf Georg Reuth darauf, dass der spätere NS-Führer sogar noch während des Ersten Weltkriegs keine Aversionen gegen Juden gehegt hätte. Schließlich verdankte er sein Eisernes Kreuz einem jüdischen Offizier.
"Hitler ist bis 1919, bis ans Ende des Ersten Weltkrieges, nichts anderes als ein Mitläufer, er ist nicht ideologisiert, er schwimmt mit der breiten Masse mit, er hat keine dezidierte Meinung zur Politik."
Nach dem Ersten Weltkrieg ging Hitler nach München, wo er in den Strudel der Räterepublik geriet, sich dort aber nicht den völkischen und antisemitischen Strömungen anschloss, sondern, so die überraschende Erkenntnis Reuths, mit den Sozialdemokraten sympathisierte. Als Beleg dient ihm unter anderem ein Foto, das Hitler im Februar 1919 am Rande des Leichenzugs für den ermordeten bayerischen Ministerpräsidenten Kurt Eisner zeigt, einem Juden und Sozialdemokraten.
"Der stärkste Beleg sind die Aktivitäten Hitlers nach dem Ende des Ersten Weltkrieges, wo er als Vertrauensmann der Sozialdemokratie auftaucht und wo er als Soldatenrat der zweiten bayerischen Räterepublik in Erscheinung tritt, einer Räterepublik, die von den späteren Mentoren Hitlers zu dieser Zeit schon als jüdisch bezeichnet wird. Das heißt es ist ja bizarr anzunehmen, dass Hitler in Wien hinter dem Wirken der Sozialdemokratie die Juden erkannt haben will, während in der bayerischen Räterepublik, wo in der Tat eine Reihe von jüdischstämmigen Funktionären tätig ist, die dort nicht erkannt haben will."
Konkrete Hinweise, dass sich Hitler aktiv im Sinne der Sozialdemokratie betätigte, sind allerdings nicht überliefert. So lässt sich aus heutiger Sicht kaum beurteilen, ob eine politische Überzeugung dahinterstand, sich zum Soldatenrat wählen zu lassen, oder ob er - wie viele im Millionenheer enttäuschter Kriegsteilnehmer - im aufgeheizten bayerischen Klima von Zusammenbruch und Revolution sich lediglich mitreißen und zum Vertrauensmann wählen ließ. Erst unter dem Eindruck der kurzlebigen Räterepublik, die im Mai 1919 blutig niedergeschlagen wurde, und mehr noch durch die demütigenden Bedingungen des Versailler Friedensvertrages sei Hitler zum Antisemiten geworden, meint Ralf Georg Reuth.
"Die Revolutionsangst ist virulent. Und diese Angst wird auch unglaublich geschürt durch die Vertragsbedingungen des Versailler Vertrages. Wir haben viele Quellen, wo seriöse Zeitgenossen sagen, das befördert die Bolschewisierung Deutschlands. Und in diesem Klima, ich schreibe in dem Buch von einem Hexensabbat, kommt eine quasi neurotische Angst vor dem Bolschewismus, der gleichgesetzt wird mit dem Judentum. Die Juden werden als Drahtzieher dieses Bolschewismus angesehen. Und in dieser Zeit gerät Hitler dann quasi zu einer Ideologieeinheit, die den "bolschewistischen Umtrieben" nachspürt und wird dann auf eine dramatische Art und Weise antisemitisch ideologisiert."
Warum aber die Angst vor dem Bolschewismus Hitler erst nach dem Ende der Räterepublik erfassen sollte und zum Judenhasser werden ließ, erscheint rätselhaft. Denn die kommunistische Gefahr war erst einmal gebannt. Und der politische Bolschewismus interessierte Hitler nur insofern, als er ihn als jüdische Bewegung kennzeichnete. Der abrupte Gesinnungswandel Hitlers, wie ihn Reuth beschreibt, aus heiterem Himmel gewissermaßen, ist daher nur schwer nachzuvollziehen.
"Seine Ideologisierung, der Irrsinn seiner Rassenideologie, ist spezifisch der Situation des Jahres 1919 geschuldet, in einem Klima des Chaos und der geistigen Verwirrung entstanden. Und für dieses Chaos haben die russische Oktoberrevolution beigetragen und die Folgen für ganz Europa."
Mit seinem Buch möchte Ralf Georg Reuth aber nicht nur die von Hitler selbst gestrickte Legende vom frühen und konsequenten Antisemiten zerstören. Er will auch das angeblich vorherrschende Bild der Historiker korrigieren, wonach Hitler-Biografen wie Joachim Fest oder Ian Kershaw den Wiener Jahren des NSDAP-Führers zu große Bedeutung beigemessen hätten. In der Forschung ist jedoch weitgehend unstrittig, dass Hitler sein "antijüdisches Glaubensbekenntnis", wie der Historiker Saul Friedländer zum Beispiel schreibt, erst um 1920 formulierte. Zunächst war Hitler ein politischer Mitläufer und Opportunist. Frühestens Ende 1919 begegnete er dem Pamphletschreiber Dietrich Eckart, seinem Mentor und ideologischen Ratgeber. Die Wurzeln des Judenhasses von Adolf Hitler aber liegen weiter zurück. Brigitte Hamann, auf die sich Ralf Georg Reuth vor allem beruft, verweist darauf, dass Hitlers Weltanschauung aus der von ihm gehassten Hauptstadt des Habsburgerreiches stammte. Die Parolen der Wiener Judenverächter bildeten später, wenn nicht wortgleich, so doch dem konkreten Wortsinn nach die ideologische Substanz seines Rassenwahns.
Otto Langels war das über: Hitlers Judenhass. Klischee und Wirklichkeit. Ein Buch aus dem Piper Verlag mit 374 Seiten für 22 Euro 95.