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Rätselhafter Iran

Bahman Nirumand zeichnet in seinem Buch "Iran - Die drohende Katastrophe" das Bild einer lebendigen, facettenreichen, aber auch gespaltenen Gesellschaft. Wer sich einen Überblick darüber verschaffen möchte, wie der so genannte Gottes-Staat in seiner widersprüchlichen und letztlich vielleicht selbstzerstörerischen Verquickung von Religion und Staatsmacht funktioniert, der findet in dem Buch eine knappe, klare und lesenswerte Darstellung.

Von Christina Janssen | 10.07.2006
    "Iran - die drohende Katastrophe", der Titel mutet reißerisch an, wird der Botschaft des Buches aber gerecht. Der iranische Publizist Bahman Nirumand, der zweimal, 1965 und '82, aus seinem Heimatland geflüchtet ist und heute in Berlin lebt, schätzt die aktuelle Lage so ein: Sowohl Teheran als auch Washington steuern im Atomkonflikt auf einen Krieg zu.

    "Ich denke, dass die USA die vollständige Kontrolle über die Region wollen, denn in dieser Region lagern 60 Prozent der Ölquellen der Welt und ebenso viele Gasquellen. Und die Region ist militärstrategisch und politisch sehr wichtig. Und in dieser Region sind jetzt zwei Lücken: Syrien und Iran. Und diese beiden Lücken müssen geschlossen werden."

    Gleichzeitig treiben aber auch die Radikal-Islamisten in Teheran den Konflikt voran. Präsident Ahmadinedschad und seinem Lager fehlt es schon heute an Rückhalt in der Bevölkerung. "Den islamischen Hirten", schreibt Nirumand, "fehlen die Schafe".

    "Nun bietet der Atomkonflikt die beste Möglichkeit zu einem Ablenkungsmanöver. (...) Genauso wie für Chomeini der achtjährige Krieg gegen das Nachbarland Irak, wäre ein Krieg auch für die heute regierenden Islamisten ein 'Geschenk des Himmels'."

    Nirumand: "Wenn es ruhige Zustände gäbe, dann würde sich herausstellen, dass dieses Regime absolut kein Konzept hat, um die Probleme des Landes zu lösen. Dieses Regime hat sich im Grunde seit seinem Bestehen, seit 27 Jahren, nicht etablieren können. Iran lebt in einer ständigen Krise. Und in dieser Krise können sie ihre Ideologie propagieren, die Millionen Armen und Barfüßigen bei der Stange halten. Aber wenn es ruhig wäre, dann müssten sie beweisen, dass sie tatsächlich regieren können."

    Eine "Strategie der Eskalation" auf beiden Seiten - um seine These zu untermauern, zeichnet Nirumand im ersten Drittel seines Buches auf gut 70 Seiten den Atomkonflikt in all seinen Windungen und Wendungen nach: Wer hat wann und wo was gesagt, gefordert, angeboten? Wie hat die Gegenseite reagiert? Detailreich schildert der Autor ein Katz-und-Maus-Spiel, bei dem Jäger und Gejagte die Rollen ständig wechseln. Diese Dokumentation einer ungeheuren Fülle an Fakten, Daten und Zitaten liest sich recht spröde, ist aber ein notwendiges Übel. Denn die Behauptung, dass es im Atomkonflikt nicht nur einen Erzbösewicht gebe, will gut begründet sein:

    "Es ist schon erstaunlich, wie die Regierungen in Washington und Teheran sich gegenseitig Steilvorlagen liefern und damit den Konflikt ständig hochschaukeln. Gäbe es Ahmadinedschad nicht, müssten die USA ihn als Feindbild erfinden. Und auch die Islamisten könnten sich keine besseren Gegner als Bush und die Neokonservativen wünschen","

    resümiert Nirumand später im Buch.- Es bleiben berechtigte Zweifel daran, ob die USA nach den Erfahrungen in Afghanistan und der verheerenden Entwicklung im Irak tatsächlich ein weiteres militärisches Abenteuer anstreben. Einen Alleingang ohne Unterstützung durch EU, Nato und UNO werde Washington wohl nicht noch einmal wagen, schränkt der Autor selbst ein. Das Verdienst seines Buches ist es vor allen Dingen, die iranische Sicht auf den Konflikt aufzuzeigen, was in der hiesigen Debatte naturgemäß zu kurz kommt.

    ""Iran ist umzingelt von amerikanischen Stützpunkten, die Amerikaner sind als Besatzungsmacht in Irak und Afghanistan vertreten, sie sind als NATO-Mitglied in der Türkei präsent, in den ehemaligen Sowjetrepubliken haben sie ihre Stützpunkte, und der gesamte Golf wird von amerikanischen Militärs kontrolliert. Und dabei muss man bedenken, dass die Amerikaner offiziell erklärt haben, dass sie einen Regimewechsel im Iran anstreben. Das alles zeigt, dass die Furcht Irans und dieses Regimes sehr wohl nachvollziehbar ist und Iran ein sehr großes Bedürfnis nach Sicherheit hat."

    Umso eindringlicher fällt das Plädoyer des Autors Richtung Europa aus: Es liege nun an der EU, den Weg für eine friedliche Lösung zu ebnen. Zum Beispiel, indem man darauf dringe, den russischen Kompromissvorschlag vom vergangenen März so oder in ähnlicher Form umzusetzen: Der Brennstoff für iranische Atomkraftwerke, so Nirumand, könnte in Russland oder einem EU-Land hergestellt werden. Gleichzeitig sollte es dem Iran erlaubt werden, auf niedrigem Niveau und unter strengen Kontrollen selbst Uran anzureichern - für Forschungszwecke. Diese Lösung könnte die Lage beruhigen, zu deren Zuspitzung, wie Nirumand schreibt, auch die Europäer beigetragen hätten. Etwa indem sie auf das populistische Getöse eines Mahmud Ahmadinedschad geradezu hysterisch reagiert hätten:

    "Hätte man, als Ahmadindschad mit den Attacken gegen Israel anfing, im Westen nicht so empört reagiert, hätten sich seine Worte in Luft aufgelöst. Denn im Iran hört man solche Parolen seit der Gründung des Gottesstaates Woche für Woche beim Freitagsgebet. Die Menschen haben die Ohren voll davon. Ohnehin hatte die Mehrheit der Iraner für den Präsidenten, der nichts als Parolen zu bieten hatte, nur Spott übrig. Selbst für die moderaten Konservativen schien er längst untragbar. (...) Die (...) Rettung kam von außen. Die weltweiten Proteste rückten ihn mit einem Schlag ins Rampenlicht und machten einen Helden aus ihm."

    Doch das Buch des iranischen Publizisten bietet mehr als eine Bestandsaufnahme des aktuellen Konflikts. Nirumand liefert darüber hinaus einen kurzen Aufriss der iranischen Geschichte seit dem CIA-Putsch im Jahr 1953: Durch dieses machtpolitische Manöver der USA wurde Mohammad Mossadegh als Ministerpräsident gestürzt. Er hatte die britisch kontrollierte Ölindustrie verstaatlicht und die Briten aus dem Land getrieben. Nun folgten 25 Jahre Diktatur unter Schah Reza Pahlewi. Hier sieht Nirumand die Wurzeln des heutigen Konflikts. Wenn er den Beginn der islamischen Revolution und die Rückkehr Chomeinis aus dem französischen Exil 1979 beschreibt, dann wird sein Buch zu einer spannenden und aufregenden Lektüre:

    "Es war eine Sensation. Keine Werbeagentur der Welt hätte die Propagandakulisse für den Gottesmann besser inszenieren können. Unter einem Apfelbaum im Garten eines Hauses in Neauphle-le-Chateau saß der geistliche Würdenträger auf einem Perserteppich. Vor ihm knieten Hunderte seiner Jünger. Und der ehrwürdige Alte mit langem weißen Bart (...) verkündete mit ausgestreckten Armen den Willen Gottes. (...) Er war der große Messias. Aus aller Welt pilgerten (...) Muslime (...) nach Neauphle-le-Chateau, um dem Verkünder einer neuen Menschheitsepoche von Angesicht zu Angesicht gegenüberzustehen, seine Hand zu küssen und seine Befehle zu empfangen."

    Der "Verkünder" sprach damals noch von der Aufhebung der Zensur, vom Ende der Unterdrückung, von Religionsfreiheit und mehr Rechten für die Frauen. Was er wirklich im Schilde führte, zeigte sich allzu bald. Dass Chomeini und seine Nachfolger aber nicht das einzige Gesicht des Islam sind, zeigt Bahman Nirumand in einem aufschlussreichen Kapitel über die islamischen Reformer im Iran. Darin portraitiert er unter anderem den wohl bekanntesten Vertreter dieser Bewegung, Mohsen Kadivar, und seine Auseinandersetzung mit dem Thema "Islam und Menschenrechte":

    Nirumand: "Wenn jemand wie Kadivar sagt, ich will der Frage nachgehen, gibt es im Islam tatsächlich Menschenrechte? Und er verneint diese Frage, er sagt, es gibt verschiedene Rechte, aber nicht ein Recht, das für alle Menschen gilt. Und auf die Frage, was ist zu tun?, sagt er: Die Rechte, die es im Islam gibt, waren zur damaligen Zeit berechtigt, sie müssen jetzt verändert werden. Und er versucht das, was in der islamischen Gesetzgebung existiert, zu historisieren und zu erneuern, und das ist eine sehr wichtige Bewegung im Iran, die nicht beschränkt ist auf ein paar Intellektuelle und ein paar Geistliche, die das in den Hinterzimmern der theologischen Hochschulen besprechen, sondern das ist sehr weit verbreitet."

    Nirumand beleuchtet auch die Rolle der Schriftsteller und Journalisten als treibende Kraft der Opposition, den Kampf der Frauen für mehr Freiheit, die Bedeutung des Internets und vieles mehr. Es ist das Bild einer lebendigen, facettenreichen, aber eben auch gespaltenen Gesellschaft, das Bahman Nirumand in seinem Buch zeichnet. Wer sich einen Überblick darüber verschaffen möchte, wie der so genannte Gottes-Staat in seiner widersprüchlichen und letztlich vielleicht selbstzerstörerischen Verquickung von Religion und Staatsmacht funktioniert - oder eben nicht, der findet in Bahman Nirumands Buch eine knappe, klare und lesenswerte Darstellung. Der Verlag hätte allerdings gut daran getan, die anstrengenden ersten Kapitel ans Ende des Buches zu setzen - bei aller Wichtigkeit der Analysen, die sie enthalten. Kleine Leseempfehlung: Beginnen Sie mit Seite 76.

    Bahman Nirumand: Iran – Die drohende Katastrophe.
    Kiepenheuer & Witsch, Köln 2006
    220 Seiten
    16,90 Euro