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Rätselhafter Stern vor der Haustür

Physik. - In Freiburg diskutieren diese Woche 250 europäische Sonnenphysiker über die Geheimnisse unseres Sterns. Die Astronomen setzen vor allem auf ein neues Instrument: Das geplante "Europäische Sonnenteleskop" EST.

Von Dirk Lorenzen |
    Die Sonne ist zwar nur Lichtminuten entfernt und nicht Lichtjahre wie alle anderen Sterne. Aber auch der Stern vor unserer Haustür birgt noch immer zahlreiche Rätsel. Ein neues großes Teleskop soll her, erklärt Oskar von der Lühe, Direktor des Kiepenheuer-Institut für Sonnenphysik in Freiburg. Das Europäische Sonnenteleskop EST soll in Zukunft den Astronomen auf die Sprünge helfen:

    "Wir möchten Prozesse auf der Sonnenoberfläche im Bereich bis hinunter zu zehn Kilometern auflösen. Das erscheint von der Erde aus gesehen unter einem sehr kleinen Winkel. Dann stellt sich heraus: Je genauer wir auf die Sonne schauen, desto schneller spielen sich die Prozesse ab, die wir hier beobachten wollen. Mit der Auflösung, mit der wir dann auf die Sonne schauen, ändert sich die Sonne im Sekundenrhythmus."

    Die Sonne ist nur auf den ersten Blick eine träge gelbe Kugel am Himmel. Bei genauem Hinsehen offenbart sie sich als äußerst dynamischer Körper: Die Sonne brodelt wie kochendes Wasser. Ständig schießen heiße Gasmassen empor und bilden Zigtausend Kilometer lange Gasschleifen. Diese verharren manchmal unverändert, zucken plötzlich erratisch, drehen sich und reißen auseinander oder fallen auf die Sonne zurück. Gleichzeitig strömt Gas auf der Sonnenoberfläche wild hin und her. Die Sonne erscheint fast wie ein lebender Organismus. Die Forscher staunen, können bisher aber bestenfalls erahnen, was die Sonne derart antreibt.

    "Die entscheidende Größe ist das Magnetfeld der Sonne. Das Magnetfeld verbindet das Sonneninnere mit den äußersten Schichten bis hin in den interplanetaren Weltraum. In den äußeren Bereichen der Sonne dominiert es sogar. Wir schauen mit unseren Teleskopen auf die Schnittstelle des Sonneninneren und des Sonnenäußeren, die sehr komplex ist. Nur auf der Sonnenoberfläche können magnetohydrodynamische Prozesse und plasmaphysikalische Prozesse untersucht werden, die man sonst eigentlich nicht wirklich zugänglich hat."

    Nur genauere Beobachtungen, die präzise zeigen, wo was bei welchen Temperaturen passiert, werden Oskar von der Lühe und seinem Team helfen, das Kraftwerk Sonne etwas genauer zu verstehen. Seit Jahrzehnten knobeln die Forscher am Klassiker der zu klärenden Fragen der Sonnenphysik: Die Sonnenoberfläche ist mit "nur" 6000 Grad Celsius vergleichsweise kühl. Darüber aber erstreckt sich die Millionen Grad heiße Korona, die Sonnenatmosphäre. Wie kann es über der kalten Oberfläche so heiß sein? Das wäre so, als wenn auf einem kalten Grill die Würstchen brutzeln. Um das zu enträtseln, müssen kreative Ideen her – und bessere Daten mit dem neuen Teleskop.

    "Wir rechnen damit, dass das auch der Schlüssel zum Verständnis der sehr heißen Korona wird. In Extremfällen sind das bis zu 100 Millionen Grad. Das ist deutlich heißer als das Sonneninnere, in dem die Sonne ihre Energie erzeugt. Wir haben gute Fortschritte gemacht auf dem Gebiet. Wir müssen schlussendlich davon ausgehen, dass das Magnetfeld auch hierfür der Schlüssel ist."

    Für das "Europäische Sonnenteleskop" laufen jetzt erste Projektstudien, die die EU mit dreieinhalb Millionen Euro unterstützt. Das Instrument soll einen Spiegel mit etwa vier Metern Durchmesser haben – und damit viermal größer werden als bisherige Sonnenteleskope. Läuft alles wie geplant, geht das Instrument, für das die Forscher insgesamt 80 Millionen Euro veranschlagen, in gut zehn Jahren in Betrieb. Die klimatischen Bedingungen mögen in Freiburg besser sein als in anderen Teilen Deutschlands. Für ein Sonnenteleskop ist aber auch Freiburg nicht geeignet, räumt Oskar von der Lühe ein:

    "Wir sehen vor, dieses Teleskop auf die Kanarischen Inseln zu stellen, wo auch schon unsere bisherigen Sonnenteleskope stehen. Entweder auf der Insel La Palma oder Teneriffa."