Donnerstag, 28. März 2024

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Rätselraten um das Sars-Virus

Medizin. - Vermutlich nur knapp schrammte wie Welt vor rund einem Jahr an einer massiven, weltweiten Verbreitung der lebensgefährlichen Lungenentzündung Sars vorbei. Denn der Grundstein für eine Pandemie mit dem Erreger des Schweren Akuten Respiratorischen Syndroms war mit immerhin 8099 registrierte Infektionen und 774 Opfern durchaus gelegt. In Lübeck erörtern derzeit internationale Fachleute den Kenntnisstand zu Sars und wie eine erneute globale Bedrohung durch den Erreger verhindert werden kann.

11.05.2004
    Seine Attacken gegen den Menschen startete der Erreger des so genannten Schweren Akuten Respiratorischen Syndroms - ein Virus der Corona-Familie - vom Tierreich aus. Und diesen Artensprung hat es vermutlich im vergangenen Jahr nicht zum ersten mal versucht, meint der Chinese Guoping Zhao anlässlich der Lübecker Tagung: "Wahrscheinlich ist das Sars Virus schon sehr oft auf den Menschen gewechselt, war aber zu schlecht an ihn angepasst und wurde durch die Immunabwehr eliminiert." Dann schließlich durchlief der Erreger eine verhängnisvolle Mutation. Nach der Infektion eines Menschen "erlernte" das Virus neue Tarnmöglichkeiten und konnte sich dem Abwehrsystem besser entziehen: immer mehr Menschen infizierten sich und entwickelten schwere Krankheitserscheinungen, schildert der leitende Direktor des Chinesischen Humangenomzentrums in Shanghai, der die genetischen Veränderungen des Sars-Virus während der Epidemie genau nachvollzog. Doch welche Tierarten ihm als ständiges Reservoir dienen, ist noch immer völlig unklar. Zuerst geriet dabei eine Delikatesse der Provinz Guangdong in den Verdacht, Quell des Übels zu sein: dass der so genannte Larvenroller oder auch Schleichkatze das Virus auf den Menschen übertrug, gilt als sicher. Überdies wurden bei einem Drittel der Arbeiter auf den Zuchtfarmen Abwehrstoffe gegen das Coronavirus nachgewiesen, die sie durch den ständigen Kontakt entwickelten.

    Bei wilden Schleichkatzen indes wurden die Wissenschaftler nicht fündig und so vermuten Experten den Ursprung des Sars-Keims in anderen Tierarten, erklärt Simon Mardel von der Weltgesundheitsorganisation WHO in Genf: "Wir kennen das Reservoir des Virus nicht. Die Fachwelt geht zunehmend davon aus, dass der Larvenroller nicht die Quelle des Virus ist, sondern nur ein Zwischenwirt." So wiesen Forscher aus Gouangdong den Sars-Erreger etwa auch bei Ratten aus der Gegend nach, in der die Epidemie ausbrach. Dennoch spielt der Larvenroller eine wichtige Rolle als Übertragungsstrecke des Virus. Eine weitere Verschärfung erfuhr der Ausbruch von Sars im Krankenhaus von Guangzhou. Dort infizierte ein bestimmter Patient bis zu 90 andere Personen. Leider fehlen dazu wichtige Details, bedauert Mardel: "Wir wissen nicht, was diese Person von der Mehrheit der Sars-Patienten bis dahin unterschied. Wenn wir die klinischen Daten von dieser Person hätten kombinieren können mit ihren Laborergebnissen sowie den epidemiologischen Informationen, wie etwa die Geschichte ihrer Kontakte zu anderen Menschen, was die Person getan hat, wo sie sich aufhielt, dann könnten wir bessere Ratschläge für den Umgang mit der Krankheit geben."

    Möglicherweise spielte bei der Ausbreitung der Infektion etwa die Intubation der Patienten - also das Freihalten der Atemwege mittels einer Gummiröhre - eine wichtige Rolle. Dabei kamen Ärzte und Schwestern mit hoch infektiöser Flüssigkeit aus den Lungen der Kranken in Kontakt und wurden nicht selten selbst krank. Überdies spürten Forscher aus Guangzhou das Corona-Virus inzwischen auch in Darm und Schweißdrüsen von Infizierten auf. Damit besteht die Möglichkeit, dass der Keim nicht nur über Tröpfcheninfektion, sondern auch über Hautkontakt oder Kontakt mit kontaminiertem Wasser auf den Menschen gelangen kann. Andererseits sind die nach Lübeck gereisten Spezialisten angesichts der gemachten Fortschritte zuversichtlich, dass sich eine Sars-Epidemie so schnell nicht wiederholen wird. Auch konnte Guoping Zhao an Larvenrollern eine neue Coronaviruslinie zeigen, und glaubt daher, dass das Virus sich inzwischen an dieses Tier angepasst habe und jetzt für den Menschen möglicherweise weniger gefährlich sei. Dafür sprächen vier Infektionsfälle aus dem vergangenen Herbst, die alle eher mild verlaufen seien.

    [Quelle: Grit Kienzlen]