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RAF-Film "Die Sympathisanten"
Wo das "Freund-Feind"-Schema der deutschen Politik sichtbar wird

Der Historiker und Dokumentarfilmer Felix Moeller befragt in "Die Sympathisanten" Menschen, die einst der Ideologie der RAF nahestanden. Der Film ist aktuell, persönlich und zeigt atemberaubendes Filmmaterial, sagte Kritiker Rüdiger Suchsland im Dlf.

Von Rüdiger Suchsland | 24.05.2018
    Heinrich Böll und Margarethe von Trotta sitzen in der Küche und rauchen
    Heinrich Böll und Margarethe von Trotta (NFP marketing & distribution*)
    Anja Reinhardt: Kunst und Politik beschäftigen uns auch beim nächsten Thema. Es geht um die Sympathisanten von Felix Moeller. Mit diesen "Smpathisanten" wurden in den 70ern alle bezeichnet, die sich nach Ansicht der Regierung mit den Zielen der Rote Armee Fraktion, wenn auch nur in Teilen, identifizieren konnten. Vor allem der Schriftsteller Heinrich Böll war damit gemeint, der 1972 im SPIEGEL einen Artikel veröffentlichte, in dem es unter anderem hieß: "Es kann kein Zweifel bestehen: Ulrike Meinhof hat dieser Gesellschaft den Krieg erklärt. Es ist inzwischen ein Krieg von sechs gegen 60 Millionen, ein sinnloser Krieg. Ulrike Meinhof will möglicherweise keine Gnade. Trozdem sollte man ihr freies Geleit bieten, einen öffentlichen Prozess". Heinrich Böll wurde daraufhin immer wieder so heftig angegriffen, dass sein Sohn, René Böll, heute noch sagt, dass das die Gesundheit seines Vaters ruiniert habe. Auch andere wie die Filmemacher Margarethe von Trotta und Völker Schlöndorff, der Bölls Erzählung "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" 1975 verfilmte, wurden von Gesellschaft und Politik angefeindet. Über diese "bleierne Zeit" - wie von Trotta einen ihrer Filme nannte - hat nun der Historiker und Dokumentarfilmer Felix Moeller ein filmisches Zeitporträt gemacht: "Die Sympathisanten". Darüber möchte ihn nun mit unserem Kritiker Rüdiger Suchsland sprechen. Vielleicht, Herr Suchsland, müssen wir aber vorher kurz klären, wer Felix Moeller ist, außer dass er der Regisseur von Filmen über Hildegard Knef oder den Regisseur Veit Harlan ist, oder?
    Rüdiger Suchsland: Ja, genau, das kann jetzt kein ganz unabhängiger Film sein. Denn Felix Moeller ist der Sohn von Margarethe von Trotta. Der ist aufgewachsen - Volker Schlöndorff ist sein Stiefvater, Trotta und Schlöndorff waren ja ein Paar über zwanzig Jahre lang, Ende der 60er bis in die 80er hinein und in dem Sinn sieht er Schlöndorff auch als seinen Vater an. Das ist auf der einen Seite, wenn man so will, eine bestimmte Befangenheit oder eben Sympathie, Sympathisantentum auch hier. Und auf der anderen Seite ist es natürlich auch ein direkter Zugang, eine viel größere Nähe, ein viel besseres Verständnis. Auch ein Zugang zu den Freunden des Paares, zu den eigenen Freunden und zu ehemaligen Weggefährten, zum Beispiel Marius Müller-Westernhagen, der seinerzeit einen Film mit Margarethe von Trotta gedreht hat.
    "Atemberaubendes Filmmaterial"
    Anja Reinhardt: Wie gut geht das denn zusammen, diese sehr pesönliche Note und das Zeitporträt?
    Rüdiger Suchsland: Ich finde, dass es gut zusammen geht. Natürlich, Moeller erzählt, auch mit seiner eigenen Erzählstimme, insofern wird die Subjektivität auch des Zugang noch betont. Aber das ist ja eigentlich, wenn man ehrlich ist, ist ja jeder Film subjektiv. Jeder Autor, auch der, der nicht verwandt ist mit den Protagonisten, macht seinen eigenen Film und hat seine persönliche Sicht auf die Dinge, insofern ist das nichts Neues. Und auf der anderen Seite kommt er halt in bestimmte Orte rein, wo man sonst nicht hereinkommt. Der Film hat mir sehr gut gefallen, auch deswegen, weil er zum einen eben eine große Nähe, zum Beispiel zu Schlöndorff und Trotta hat, und diese Nähe springt auch auf den Zuschauer über. Und auf der anderen Seite hat er natürlich atemberaubendes Fimlmaterial, er ist Historiker, er ist sehr gewieft darin, in Archiven zu suchen, das hat er mit den anderen Filmen auch schon bewiesen...
    Anja Reinhardt: In persönlichen Archiven auch.
    Rüdiger Suchsland: Ja, in persönlichen Archiven, nämlich in den Tagebüchern. Also, Margarethe von Trotta hat über, ich weiß gar nicht, 30, 40, 50 Jahre lang Tagebücher geführt. Und das ist sehr interessant. Im Grunde kann man den Film, wenn er auf DVD rauskommt, dann auch so angucken, dass man ihn dann anhält und dann noch mal ein bisschen was liest, was nicht vorgelesen wird. Nein, aber das Wichtige ist natürlich, dass wir hier in eine Zeit eintauchen, die fast noch weiter weg ist als diese vierzig Jahre, kommt mir so vor. Ich habe das auch als Kind erlebt, aber das ist so fremd heute, wenn man das sieht, auch wie die Polizei sich aufgeführt hat. Das, was da einzelne Protagonisten berichten, diese ganze Freund-Feind-Strukturierung der deutschen Politik, das ist eigentlich sehr traurig im Rückblick zu sehen, wie hier auch Chancen verschenkt wurden. Denn, was Sie vorgelesen haben von Heinrich Böll, "freies Geleit", das heißt ja nicht, Ulrike Meinhof soll nicht bestraft werden, soll nicht zur Verantwortung gezogen werden für diese Taten. Aber es heißt, dass man ihr eine Chance gibt, eine Chance sich wenigstens zu erklären und als Mensch behandelt zu werden.
    "Verhärtung auf beiden Seiten"
    Anja Reinhardt: Daniel Cohn-Bendit, der auch in dem Film interviewt wird, sagt an einer Stelle: "Alle sind damals schlampig mit der Wahrheit umgegangen". Das könnte man auch als aktuelle Zeit-Diagnose verstehen. Wie aktuell ist denn dieser Film?
    Rüdiger Suchsland: Ich glaube, dass der Film sehr aktuell ist. Zum einen gibt es ja auch heute eigentlich schon bald seit zwanzig Jahren, seit 2001, einen Krieg gegen den Terror, in den der Westen verstrickt ist. Und auch hier ist klar, dass es auf der einen Seite die realen Terrorakte gibt, auf der anderen Seite, dass Terroristen manchmal auch - Sozialwissenschaftler würden sagen - eine Erfindung sind, dass sie konstruiert werden. Wir kennen diesen Satz, was dem einen sein Terrorist, ist dem anderen sein Freiheitskämpfer. Also, ganz so einfach ist es eben nicht. Und natürlich ist es dann auch so, dass wir heute in einer Zeit leben, in der - scheint mir - der politische Diskurs auch bei uns in den Demokratien moralisch sehr aufgeladen ist. Das geht bis hin zu diesen Sprach-Polizeien, dass man bestimmte Sachen auf eine bestimmte Weise auszudrücken hat und anders nicht ausdrücken darf. Und natürlich auch, dass Bekenntnisse verlangt werden. Ich habe gelesen, es kommt ein Buch raus über gesunden Patriotismus. Meine Güte, warum muss das eigentlich sein, das kann ja sein, aber dass das eingefordert wird öffentich, das geht natürlich in genau die Richtung von den Verhältnissen, die Moeller beschreibt.
    Anja Reinhardt: Vielleicht noch ganz kurz: Erklärt der Film eigentlich, warum so prominente Intellektuelle wie Jean-Paul Sartre zum Beispiel, der 1974 Andreas Baader im Gefängnis Stuttgart-Stammheim besucht, als Unterstützer gesehen wurden?
    Rüdiger Suchsland: Ja, mir scheint, der erklärt das schon. Und zwar einfach über so eine Verhärtung auf beiden Seiten. Dass man eben, den Gegner als Feind ansah, den politischen Gegner, und nicht als jemand, mit dem man um das Gleiche ringt, mit dem in einem öffentlichen Diskurs Argumente ausgetauscht werden, wo ein gegenseitiges Wohlwollen besteht und man dann vielleicht eben auch eine Wahrheit findet, eine Wahrheit durch die vielen Stimmen der Vernunft. Und das findet da gar nicht statt, sondern man ist in Lagern. Eigentlich wie Fußballfans, so eine Fußballpolitik, ja, man will dass die eine Seite siegt, es geht um Sieg und Niederlage, und zwar um totalen Sieg, totale Niederlage, und das sind natürlich, wenn man so will, fast ein bisschen perverse politische Verhältnisse.
    Anja Reinhardt: Rüdiger Suchsland über den Film "Die Sympathisanten" von Felix Moeller, der ab heute in den Kinos zu sehen ist. Vielen Dank!