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Raffaels Bildfindungen

Raffael ist einer der Kunstgötter der Hochrenaissance, seine Sixtinische Madonna eines der berühmtesten Bilder der Welt. Das Frankfurter Städel Museum hat in seinem Werk jetzt einen besonderen Leckerbissen ausfindig gemacht: 48 Zeichnungen, in denen sich die meisterliche Kompositionskunst Raffaels zeigt.

Christiane Vielhaber im Gespräch mit Burkhard Müller-Ullrich | 08.11.2012
    Burkhard Müller-Ullrich: Christiane Vielhaber, eine Raffael-Ausstellung ist ja immer eine große Sache, ganz besonders auch wohl deswegen, weil die Bilder ja fast nicht zu versichern sind, selbst wenn es sich nur um Zeichnungen handelt. Und diesmal im Frankfurter Städel handelt es sich nur um Zeichnungen.

    Christiane Vielhaber: Wenn ich es dürfte, ich hätte gerne eine Peitsche oder eine Keule mitgebracht, um all die Leute, die nach Rom fliegen, stundenlang für ein Zeitfenster sich durch die Stanzen schleusen lassen und wirklich nichts sehen, oder mit überteuerten Bussen nach Dresden fahren, um sich die Sixtinische Madonna anzugucken und am Ende dann doch nichts sehen, dass die jetzt einfach nach Frankfurt fahren und sich diese 48 Zeichnungen angucken, von denen überraschenderweise elf aus dem eigenen Bestand kommen. Alle diese Zeichnungen haben was mit dem Werk zu tun, sie sind im Werkzusammenhang, im Werkprozess zu sehen, sind also keine Kritzeleien oder nicht mal so eben da so lässig hingemalt, denn, das macht diese Ausstellung sehr schön, zu jeder Zeichnung, wo es dann möglich ist, gibt es ein kleines Farbfoto oder eine kleine Farbtafel von dem Bild, wo man annimmt, dass das eine Studie dazu ist, oder dass hier Strukturen des Bildaufbaus entstanden sind.

    Ein Beispiel: Es gibt in den Stanzen die Schule von Athen. Das hat was mit Philosophen zu tun und so. Und da sind vorne so ein paar Stufen und da liegt ein älterer Herr mit einem gelben Gewand, ein bisschen lässig drapiert, und daneben ist eine Schale. Wir wissen heute alle, dass es Diogenes ist, wir erkennen das an der Schale, denn Diogenes, der auf alles verzichten konnte, konnte auch auf Geschirr verzichten, nachdem er mal einen kleinen Jungen gesehen hat, der aus der Hand getrunken hat. Aber wir sehen jetzt eine Zeichnung, und die ist so hinreißend: einfach ein paar Linien. Und dann liegt da ein junger Mann. Er hat sicherlich in seiner Werkstatt gesagt: So, jetzt leg dich da mal hin, so wie auf eine Treppe. Und dann liegt er da, und er hat dann diesem jungen Mann plötzlich so eine Glatze gemalt. Und der hat dann diesen Blick von unten, weil der so quer liegt, so dieses Verkürzte. Und Sie sehen dann auf dieser Zeichnung noch, dass er zum Beispiel die Füße mehrfach mit dem zweiten Zeh, der viel länger ist als der große Zeh, wie er das alles oder wie er das Knie ausprobiert hat, damit das nachher auf dem Bild so in der Mitte auf diesen Stufen ist. Aber Sie sehen diese Zeichnung und Sie sind einfach hingerissen, auch ohne zu wissen, wozu das später gehört.

    Oder im ersten Kapitel, wo es um Madonna und das Jesuskind geht. Natürlich hat das auch was mit der Sixtinischen Madonna zu tun, aber auch mit der Madonna im Grünen. Aber dann sehen Sie, dass eben die Hochrenaissance schon die Perspektive hatte und die menschliche Anatomie, und jetzt geht es um das, was vom Menschen abgeschaut ist. Und dann sehen Sie den kleinen Jesusknaben, der kann noch nicht richtig stehen, so richtig pummelig auf seinen Beinen steht er da, und die Mutter, also die Madonna, hält ihn noch von hinten, und links daneben kniet ein anderes Pummelchen und der Jesusknabe macht bei dem anderen "ei ei". Wenn Sie das Original sehen, dann hat dieses andere Kind - dann ist es nämlich Johannes der Täufer - ein Kreuz in der Hand. Aber dieser Blick für die Wirklichkeit, oder dieser Blick, wie Menschen miteinander umgehen, das ist überragend.

    Müller-Ullrich: So viel Schönheit in einer Ausstellung setzt jeden unter Druck. Die Zuschauer sicher auch irgendwie, aber vor allem die Ausstellungsmacher. Man muss es hängen, man muss es drapieren. Wie ist das gemacht?

    Vielhaber: Ganz toll! Die haben ein ganz junges Designerteam. Die Wände sind so etwas grünlich und davor dann diese Zeichnungen, die teilweise ja nur postkartengroß sind, aber auch jetzt nicht so diabolisch beleuchtet, so viel Lux, wie sie vertragen können, sondern so, dass man sie gut sehen kann, dass man zum Beispiel sehen kann, was hat der gemacht. Er hat mit einem farblosen Griffel erst mal häufig in das Papier gekratzt, da ist überhaupt keine Linie. Sie haben Federzeichnungen, Sie haben weiß gehöhte Formen, zum Beispiel diese Maria im Grün. Es gibt eine Fassung, da sitzt sie da wie ein Akt, richtig plastisch, nackt gezeichnet. Auf einem anderen, auf der Rötelzeichnung, ist nur so ein Hauch von einem Umhang. Das ist so geschickt gemacht und auch thematisch, dass Sie sehen, aha, da haben die Nazarener ihr Vorbild mit den Historien, da kommt eine bestimmte Frömmigkeit, und das ist das, worum man Raffael eigentlich bis heute bewundert.

    Müller-Ullrich: Sie haben gerade gesagt, Christiane Vielhaber, vieles kommt aus der eigenen Sammlung des Städel. Das ist ganz interessant, dass es da so viel Raffael gibt. Und es gibt einen mehr, möglicherweise ist es einer, darüber wird gestritten. Das Bild gehört nicht zur Ausstellung, es ist ja ein Ölgemälde, es wird aber prominent präsentiert in der Sichtachse der Alten Meister.

    Vielhaber: In der ständigen Sammlung!

    Müller-Ullrich: Genau!

    Vielhaber: Und im Katalog gibt es auch sehr kluge Untersuchungen dazu und auch nicht, dass die in Frankfurt jetzt auftreten: Wir haben einen Raffael in Essig und Öl, sondern sie sind sich ziemlich sicher und haben aber auch ihre Zweifel formuliert und haben eben auch Wissenschaftler vorher befragt, dass man da nicht irgendwie was ganz Komisches, ich will nicht sagen Beltracchi, aber dass man da irgendwas eingekauft hat, was nicht den Wert hat.