Donnerstag, 18. April 2024

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Ragna Schirmer und ihre Flügel
Ein Geben und Nehmen

"Ich liebe ihn sehr", schwärmt Ragna Schirmer von ihrem Blüthner-Flügel von 1856. Unter ihren insgesamt acht Flügeln ist er ihr besonders ans Herz gewachsen. Auch weil Glück und Risiko dazu beigetragen haben, dass die zwei sich überhaupt gefunden haben.

Von Jonas Zerweck | 12.08.2019
    Die Pianistin Ragna Schirmer sitzt vor einem schwarzen Flügel und spielt Musik.
    Der Blüthner-Flügel von 1856 und Ragna Schirmer (Berlin Classics)
    Musik: Impromptus über eine Romanze von Clara Wieck für Klavier, op.5
    Ragna Schirmer: "Das Verhältnis zwischen einem Pianisten und seinem Instrument ist eine Partnerschaft und eine Partnerschaft in einem Austausch. Das heißt, ich gebe etwas und bekomme etwas zurück. Und in den allerbesten Fällen ist es eine sehr glückliche Partnerschaft.
    Also, wenn ich mich in ein Instrument verliebe, dann ist es immer der Klang und aber auch das Spielgefühl. Also dieses haptische dieses Zusammenspiel aus Tastentiefe und den unterschiedlich breiten Tasten, wie sich das anfühlt. Damals natürlich auch alles noch Elfenbein, was wunderbar griffig ist und sowas. Das ist ja auch ein ganz sinnliches Erleben."
    Die Pianistin Ragna Schirmer hat nicht nur zu einem Flügel eine Freundschaft geschlossen, sie besitzt mittlerweile acht Flügel. Wie in einer menschlichen Partnerschaft kann Ragna Schirmer auch Veränderungen im Instrument beobachten und beeinflussen.
    Ragna Schirmer: "Man kann Flügel auf eine ganz, ganz bestimmte Art und Weise zum Klingen bringen. Und dann werden die immer besser, ja, wenn man das Holz in Harmonie bringt, in einen Wohlklang und es so schwingen lässt, dass es wirklich frei schwingt. Dann kann so ein Instrument aufblühen, dann kann es wirklich immer besser werden. Und man kann auf der anderen Seite Instrumente natürlich auch so spielen, dass sie schlechter werden. Also wenn man, das gibt es ja bei manchen Musikern, das Gefühl hat, diese Instrumente werden geschlagen. Dann wird der Klang auch immer stumpfer oder eben immer härter, aber auf keinen Fall immer schöner. Und wenn das möglich ist, dass ich ein Instrument durch mein Spiel beeinflusse und es sich entwickeln lasse, dann geht das ja über das Instrumentarium hinaus, denn ein Instrument ist ja erst mal ein Instrument, was seine Funktionalität so behält wie es ist. Eine Schere, die wird dann vielleicht stumpf, dann muss sie mal geschärft werden, aber das bleibt eben diese Schere. Aber ein Instrument lebt."
    Ragna Schirmer hat zu jedem ihrer Flügel eine eigene Beziehung. Mit einigen geht sie auf Konzerttourneen, mit anderen bereitet sie sich auf besondere Klaviermechaniken vor.
    Ragna Schirmer: "Wenn ein Instrument gepflegt wird und auf eine liebende, sage ich mal, Art und Weise gespielt wird, dann wird es eigentlich immer besser. Also, dass sich ein Verhältnis verschlechtert, kann nur dann passieren, wenn sich meine Einstellung zu diesem Instrument und dem speziellen Klang und den Eigenschaften dieses Instrumentes verschlechtert. Aber das sehe ich eigentlich wie eine Beziehung zu einem Menschen, der auch seine Eigenarten hat, der Stärken und Schwächen hat. Und wenn ich diesen Menschen liebe, dann gehe ich mit ihm um, dann kenne ich die Stärken und die Schwächen und dann kann ich mich ja nicht plötzlich von ihm abwenden, weil er so ist wie er ist."
    Aus ihrer Sammlung von Flügeln ist Ragna Schirmer ein Instrument aus der Werkstatt Blüthner besonders wichtig. Der Flügel stammt aus dem Jahr 1856, dem Jahr, in dem Robert Schumann starb. Musik aus dieser Epoche hat sie mit ihrem Blüthner auch für ihr Album "Liebe in Variationen" aufgenommen.
    Musik: Johannes Brahms, Variationen über ein Thema von Robert Schumann, op. 9, Var. XIV Andante & Var. XV Poco Adagio
    Ragna Schirmer beschreibt es als Glücksfall, dass sie und das Instrument sich gefunden haben.
    Ragna Schirmer: "Ich arbeite sehr, sehr viel mit Matthias Arens aus Leipzig zusammen, der Spezialist für diese historischen Tasteninstrumente ist. Und der hat mir irgendwann mal einen Wink gegeben und gesagt, du, ich hab hier ein echtes Schätzchen stehen und willst du dir das mal angucken. Der war natürlich in einem relativ schlechten Zustand vor der Restauration. Er hat genau eine Taste gemacht. Er hat einen Ton so aufgebaut, dass der von der Mechanik und vom Klang her einen Ausblick darauf gab, wie das mal sein könnte. Also, den hatte er dann auch mit den Saiten versehen und den Hammer so hergerichtete, dass man diesen einen Ton spielen konnte und sich vorstellen musste, wie wird der Klang des ganzen Instruments. Das war sehr lustig. Und dann habe ich diesen Ton gespielt, mir die Klangkurve immer und immer wieder angehört. Und dann hatte ich 48 Stunden Bedenkzeit und habe dann gesagt: Ja, ich will ihn."
    Eine richtige Entscheidung: Seit sie sich kennen, stellen sich beide immer besser aufeinander ein.
    Ragna Schirmer: "Wir sind ganz viel miteinander gereist. Wir haben schon viel miteinander erlebt. Es hat auch schon das eine oder andere Malheur gegeben. Bei einem Transport ist die Lyra leider beschädigt worden. Da musste etwas repariert werden. Das ist ja immer das Wagnis wenn man mit solchen Tasteninstrumenten reist, aber wir wachsen zusammen, ja, und ich liebe ihn sehr. Also es macht wirklich großen Spaß, gerade neulich war er bei einem ganz, ganz großen Event dabei, wo ich sieben unterschiedliche Flügel gespielt habe. Und da war der Blüthner natürlich auch ein zentrales Stück von diesen sieben."
    Dass Ragna Schirmer häufig mit ihren eigenen Instrumenten reist, ist außergewöhnlich. Die meisten Pianisten stehen mit jedem Konzert an einem neuem Ort vor der Herausforderung, sich in kurzer Zeit mit einem unbekannten Instrument gut vertraut zu machen. Ragna Schirmer genießt es, auf Konzerttouren viele tolle Instrumente kennenlernen zu dürfen. Doch auch sie kann schauerliche Anekdoten erzählen:
    Ragna Schirmer: "Vor allen Dingen natürlich aus der Zeit Anfang der 90er Jahre, als ich sehr, sehr viele Konzerte an kleineren Orten hatte, wo vielleicht weniger klassische Musik gespielt wurde sonst. Da hat man dann auch schon mal vorm Konzert die Zigarettenkippen oder Kaugummis aus dem Flügel gepult. Und da gab‘s es dann immer so ein Notfallkit, wo man wusste, was man jetzt zu tun hat, damit es nicht gar so schlimm ist."
    Von wenigen Ausnahmen aber abgesehen, empfindet sie die Qualität der Flügel, die heute in den Konzerthäusern stehen, als ein Privileg. Auf ihren Reisen kommt es natürlich auch immer wieder vor, dass sie Flügel wiedertrifft.
    Ragna Schirmer: "Wenn ich manchmal nach drei, vier Jahren in einen Saal komme und den Flügel kenne. Dann bin ich manchmal total überrascht, boah, der ist ja jetzt super schön geworden oder so. Dann wird mir erzählt, ja, da ist was gemacht worden und jetzt stimmt alles. Und dann singt der und blüht der und es ist irgendwie eine Wonne. Manchmal ist das natürlich auch leider umgekehrt. Dann ist man ganz traurig und fragt, was ist denn hier passiert? Warum klingt der denn nicht mehr so?"
    Damit aber eindrückliche Konzertabende entstehen können, muss nicht nur das Instrument stimmen.
    Ragna Schirmer: "Also ganz, ganz schön ist es immer dann, wenn Instrumente in einem Raum genau passen. Also, wenn die Klangverhältnisse aus dem Ton und dem Raum so sind, dass wirklich jeder im Publikum das Gefühl hat "Hier kommt alles überall an", vor allen Dingen eben, das leiseste Pianissimo trägt noch. Sowas ist toll."