Die Erfindung des Verbrennungsmotors machte (...) das Öl, beziehungsweise seine Derivate, zu einem Energieträger, für den es keine bekannte Alternative gab. Es wurde (...) zu einem wirtschaftlichen und militärischen Machtfaktor.
Mit dieser durchaus aktuellen Feststellung leiten die Historiker Rainer Karlsch und Raymond G. Stokes ihre Geschichte der Mineralölwirtschaft in Deutschland ein. Finanziert von der RWE Dea AG, dem letzten noch in der Exploration und Förderung von Erdöl und Erdgas engagierten deutschen Multi, stellen die Autoren dar, dass ein an Kohlenwasserstoffen armes Land wie das unsrige ausländischen Ölgiganten untertänig war und ist. Die Abhängigkeit begann um 1860 mit dem ersten Erdölprodukt, dem Petroleum als primärer Lichtquelle.
Kurz nachdem Edwin Drakes "Bohrung in Titusville (Pennsylvania) 1859 erfolgreich war", ließ John D. Rockefeller Raffinerien bauen, um durch Cracken Petroleum aus dem Öl zu gewinnen. Leichtere Bestandteile wie Benzin wurden abgefackelt, schwerere wie Heizöl verseuchten Bäche und Flüsse. Rockefellers Standard Oil monopolisierte die Tanklagerung, den Vertrieb mit Fässern, Kesselwagen, Pipelines und die Absatzmärkte.
Die besten Kunden der Standard Oil in Deutschland waren die Importeure Riedemann und Gebrüder Schütte. Gemeinsam legten sie Mitte der 1860er Jahre in Geestemünde ein großes Petroleum-Tanklager an. Die Eisenbahnen gewährten ihnen "Vorzugstarife". 1879 pachtete Riedemann den neuen Hamburger Petroleumhafen und ließ 1886 den ersten Tankdampfer bauen.
Diese Aktivitäten weckten "das Interesse von Standard Oil und führten 1890 zur Gründung der Deutsch-Amerikanischen Petroleumgesellschaft (DAPG)", an der die Schüttes und Riedemann beteiligt waren, deren Kapital und Aufsichtsrat aber Standard Oil majorisierte.
Nach 1900 schufen Brennstoffmotoren, Lastkraftwagen, Autos und Motorräder wachsende Märkte für Diesel, Benzin und Schmierstoffe. Gas und Elektrizität verdrängten das Petroleum für Lichtspender. 1902 errichtete die holländisch-britische Royal Dutch Shell eine Benzinraffinerie in Düsseldorf. 1911 fusionierten die größten deutschen Fördergesellschaften zur Deutschen Erdöl AG (DEA), die 1912 die galizische Olex übernahm. Kraft neuer Ölfunde in den USA entstanden konkurrierende Konzerne wie Gulf Oil oder Texaco.
Standard Oil blieb das größte Unternehmen in der Ölbranche, verlor aber Marktanteile. Es bildeten sich Oligopolstrukturen heraus.
Um im Ölgeschäft mitzumischen, hatten deutsche Großbanken seit 1904 rumänische Ölfirmen aufgekauft und mit Staatshilfe versucht, den Bau der Bagdadbahn bis in den heutigen Irak voranzutreiben. Das Engagement in Rumänien machte sich 1914 bezahlt.
Denn im Ersten Weltkrieg "gewann das Erdöl (...) als Heizöl für die Marine" an Bedeutung. "Der Motorisierungsgrad der Heere war (noch) gering", nahm aber im Kriegsverlauf durch Panzer und Flugzeuge zu.
Die Steinkohlendestillation lieferte Benzol, die Landwirtschaft Spiritus. Beide Produkte dienten als Beimengungen zum Benzin.
Ohne die amerikanische DAPG wäre eine Versorgung der deutschen Truppen unmöglich gewesen. "Auch die Rhenania AG (die deutsche Tochter von Shell) stellte sich in den Dienst der Kriegswirtschaft." Dank solch massiven Beistands und der Kontrolle der galizischen und rumänischen Ölproduzenten "konnte Deutschland seinen Mineralölbedarf und den seiner Verbündeten zu 80 Prozent decken.
Während der Weimarer Republik nahm die Motorisierung zu und damit der Bedarf an Benzin, Benzol, Spezialölen und Asphalt für den Straßenbau. Um 1930 lieferten rund 40.000 Tankstellen Benzin. Ins Oligopol von Standard Oil, Shell und Juniorpartner DEA drängte sich 1931 die Olex Deutsche BP, die Tochter der Anglo Iranian Oil Company. Um Devisen zu sparen und weniger ausländische Ölderivate importieren zu müssen, wurde an der "katalytischen Hochdruckhydrierung" zur Treibstoffsynthese aus Kohle gearbeitet. I.G. Farben betrieb die Forschung, erwarb von Shell Patentrechte hinzu und kooperierte bei der Weiterentwicklung mit Standard Oil.
Ab 1927 produzierte I.G. Farben im Hydrierwerk Leuna synthetisches Benzin. Mit der DEA und anderen gründete sie 1934 die Braunkohle-Benzin AG (BRABAG), die weitere Hydrierwerke anlegte. Leuna-Benzin war zu teuer. Zum Geschäft wurde es erst, als die NS-Regierung Ende 1933 einen kostendeckenden Preis nebst Profit garantierte.
Das 1934 vom NS-Regime mitfinanzierte "Reichsbohrprogramm" gab der einheimischen Erdölförderung Auftrieb. Mit "deutschen" Ölerzeugnissen und Leuna-Benzin wollte man bis 1940 eine "Treibstoffautarkie" erreichen.
Schon 1936 sahen die I.G. Farben-Berater in Görings Vierjahresplanbehörde "die Produktion von synthetischen Treibstoffen freilich nur als vorübergehende Entlastung an. Die Lösung des 'Ölengpasses’ sollte die Eroberung der großen Ölfelder im Kaukasus und Irak bringen.
Die im März 1941 als public-private partnership gegründete Kontinentale Öl AG erhielt auf 99 Jahre das Monopol zur Ausbeutung der Erdölschätze in den besetzten und noch zu erobernden Gebieten. In ihren Osttöchtern schufteten sich ungezählte Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter zu Tode. Von Tausenden jüdischen Fachkräften überlebten ein paar hundert.
Ab Mai 1944 konzentrierten sich die alliierten Luftangriffe auf die Hydrierwerke. Nach Kriegsende stellte der US Strategic Bombing Survey fest, "dass die Schäden in den meisten der untersuchten Anlagen reparabel waren.
Mit der Massenmobilisierung nach 1945 erweiterte sich das Oligopol, zumal durch US-Konzerne, die vom Marshall-Plan begünstigt wurden. Allein in der Erdölchemie gelang es den I.G. Farben-Nachfolgern, oft durch joint ventures mit Ölmultis, im globalen Chemie-Oligopol vordere Plätze zu erkämpfen.
Bemühungen der Bundesregierung zur Selbstversorgung - durch Finanzhilfen für Hydrierwerke oder zur Etablierung der Deutschen Erdölversorgung DEMINEX, blieben praktisch folgenlos. 1971 floss noch jeder dritte Liter Super aus einem deutschen Zapfhahn. Inzwischen gehören nahezu alle deutschen Tankstellen transnationalen Konzernen.
Die beiden Autoren haben die Entwicklung der Mineralölwirtschaft in Deutschland zwar in ihren ökonomischen und technischen Aspekten ordentlich dargestellt, aber auf jegliche politische Analyse verzichtet. Karlsch erklärt das kriminelle Gebaren der Konzerne im Ersten Weltkrieg wie unter der NS-Herrschaft mit Zwangslagen, obwohl deren geschilderte Geschäftspraxis diese Deutung widerlegt. Stokes blendet die für die Versorgung der Bundesrepublik bedeutsamen Erdölkriege der USA in Afrika und im Orient aus. Stattdessen würdigt er ...
...den westdeutschen Mineralölmarkt (als einen) der liberalsten...
und fügt dem lediglich die banale Bemerkung an:
Abhängigkeit von multinationalen Unternehmen bedeutet eine gewisse 'Geiselhaft’ für jeden Staat, während die mächtigen Wirtschaftsinteressen, die diese Konzerne repräsentieren, große - und nicht immer wünschenswerte - Auswirkungen auf die Politik haben.
Mit dieser durchaus aktuellen Feststellung leiten die Historiker Rainer Karlsch und Raymond G. Stokes ihre Geschichte der Mineralölwirtschaft in Deutschland ein. Finanziert von der RWE Dea AG, dem letzten noch in der Exploration und Förderung von Erdöl und Erdgas engagierten deutschen Multi, stellen die Autoren dar, dass ein an Kohlenwasserstoffen armes Land wie das unsrige ausländischen Ölgiganten untertänig war und ist. Die Abhängigkeit begann um 1860 mit dem ersten Erdölprodukt, dem Petroleum als primärer Lichtquelle.
Kurz nachdem Edwin Drakes "Bohrung in Titusville (Pennsylvania) 1859 erfolgreich war", ließ John D. Rockefeller Raffinerien bauen, um durch Cracken Petroleum aus dem Öl zu gewinnen. Leichtere Bestandteile wie Benzin wurden abgefackelt, schwerere wie Heizöl verseuchten Bäche und Flüsse. Rockefellers Standard Oil monopolisierte die Tanklagerung, den Vertrieb mit Fässern, Kesselwagen, Pipelines und die Absatzmärkte.
Die besten Kunden der Standard Oil in Deutschland waren die Importeure Riedemann und Gebrüder Schütte. Gemeinsam legten sie Mitte der 1860er Jahre in Geestemünde ein großes Petroleum-Tanklager an. Die Eisenbahnen gewährten ihnen "Vorzugstarife". 1879 pachtete Riedemann den neuen Hamburger Petroleumhafen und ließ 1886 den ersten Tankdampfer bauen.
Diese Aktivitäten weckten "das Interesse von Standard Oil und führten 1890 zur Gründung der Deutsch-Amerikanischen Petroleumgesellschaft (DAPG)", an der die Schüttes und Riedemann beteiligt waren, deren Kapital und Aufsichtsrat aber Standard Oil majorisierte.
Nach 1900 schufen Brennstoffmotoren, Lastkraftwagen, Autos und Motorräder wachsende Märkte für Diesel, Benzin und Schmierstoffe. Gas und Elektrizität verdrängten das Petroleum für Lichtspender. 1902 errichtete die holländisch-britische Royal Dutch Shell eine Benzinraffinerie in Düsseldorf. 1911 fusionierten die größten deutschen Fördergesellschaften zur Deutschen Erdöl AG (DEA), die 1912 die galizische Olex übernahm. Kraft neuer Ölfunde in den USA entstanden konkurrierende Konzerne wie Gulf Oil oder Texaco.
Standard Oil blieb das größte Unternehmen in der Ölbranche, verlor aber Marktanteile. Es bildeten sich Oligopolstrukturen heraus.
Um im Ölgeschäft mitzumischen, hatten deutsche Großbanken seit 1904 rumänische Ölfirmen aufgekauft und mit Staatshilfe versucht, den Bau der Bagdadbahn bis in den heutigen Irak voranzutreiben. Das Engagement in Rumänien machte sich 1914 bezahlt.
Denn im Ersten Weltkrieg "gewann das Erdöl (...) als Heizöl für die Marine" an Bedeutung. "Der Motorisierungsgrad der Heere war (noch) gering", nahm aber im Kriegsverlauf durch Panzer und Flugzeuge zu.
Die Steinkohlendestillation lieferte Benzol, die Landwirtschaft Spiritus. Beide Produkte dienten als Beimengungen zum Benzin.
Ohne die amerikanische DAPG wäre eine Versorgung der deutschen Truppen unmöglich gewesen. "Auch die Rhenania AG (die deutsche Tochter von Shell) stellte sich in den Dienst der Kriegswirtschaft." Dank solch massiven Beistands und der Kontrolle der galizischen und rumänischen Ölproduzenten "konnte Deutschland seinen Mineralölbedarf und den seiner Verbündeten zu 80 Prozent decken.
Während der Weimarer Republik nahm die Motorisierung zu und damit der Bedarf an Benzin, Benzol, Spezialölen und Asphalt für den Straßenbau. Um 1930 lieferten rund 40.000 Tankstellen Benzin. Ins Oligopol von Standard Oil, Shell und Juniorpartner DEA drängte sich 1931 die Olex Deutsche BP, die Tochter der Anglo Iranian Oil Company. Um Devisen zu sparen und weniger ausländische Ölderivate importieren zu müssen, wurde an der "katalytischen Hochdruckhydrierung" zur Treibstoffsynthese aus Kohle gearbeitet. I.G. Farben betrieb die Forschung, erwarb von Shell Patentrechte hinzu und kooperierte bei der Weiterentwicklung mit Standard Oil.
Ab 1927 produzierte I.G. Farben im Hydrierwerk Leuna synthetisches Benzin. Mit der DEA und anderen gründete sie 1934 die Braunkohle-Benzin AG (BRABAG), die weitere Hydrierwerke anlegte. Leuna-Benzin war zu teuer. Zum Geschäft wurde es erst, als die NS-Regierung Ende 1933 einen kostendeckenden Preis nebst Profit garantierte.
Das 1934 vom NS-Regime mitfinanzierte "Reichsbohrprogramm" gab der einheimischen Erdölförderung Auftrieb. Mit "deutschen" Ölerzeugnissen und Leuna-Benzin wollte man bis 1940 eine "Treibstoffautarkie" erreichen.
Schon 1936 sahen die I.G. Farben-Berater in Görings Vierjahresplanbehörde "die Produktion von synthetischen Treibstoffen freilich nur als vorübergehende Entlastung an. Die Lösung des 'Ölengpasses’ sollte die Eroberung der großen Ölfelder im Kaukasus und Irak bringen.
Die im März 1941 als public-private partnership gegründete Kontinentale Öl AG erhielt auf 99 Jahre das Monopol zur Ausbeutung der Erdölschätze in den besetzten und noch zu erobernden Gebieten. In ihren Osttöchtern schufteten sich ungezählte Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter zu Tode. Von Tausenden jüdischen Fachkräften überlebten ein paar hundert.
Ab Mai 1944 konzentrierten sich die alliierten Luftangriffe auf die Hydrierwerke. Nach Kriegsende stellte der US Strategic Bombing Survey fest, "dass die Schäden in den meisten der untersuchten Anlagen reparabel waren.
Mit der Massenmobilisierung nach 1945 erweiterte sich das Oligopol, zumal durch US-Konzerne, die vom Marshall-Plan begünstigt wurden. Allein in der Erdölchemie gelang es den I.G. Farben-Nachfolgern, oft durch joint ventures mit Ölmultis, im globalen Chemie-Oligopol vordere Plätze zu erkämpfen.
Bemühungen der Bundesregierung zur Selbstversorgung - durch Finanzhilfen für Hydrierwerke oder zur Etablierung der Deutschen Erdölversorgung DEMINEX, blieben praktisch folgenlos. 1971 floss noch jeder dritte Liter Super aus einem deutschen Zapfhahn. Inzwischen gehören nahezu alle deutschen Tankstellen transnationalen Konzernen.
Die beiden Autoren haben die Entwicklung der Mineralölwirtschaft in Deutschland zwar in ihren ökonomischen und technischen Aspekten ordentlich dargestellt, aber auf jegliche politische Analyse verzichtet. Karlsch erklärt das kriminelle Gebaren der Konzerne im Ersten Weltkrieg wie unter der NS-Herrschaft mit Zwangslagen, obwohl deren geschilderte Geschäftspraxis diese Deutung widerlegt. Stokes blendet die für die Versorgung der Bundesrepublik bedeutsamen Erdölkriege der USA in Afrika und im Orient aus. Stattdessen würdigt er ...
...den westdeutschen Mineralölmarkt (als einen) der liberalsten...
und fügt dem lediglich die banale Bemerkung an:
Abhängigkeit von multinationalen Unternehmen bedeutet eine gewisse 'Geiselhaft’ für jeden Staat, während die mächtigen Wirtschaftsinteressen, die diese Konzerne repräsentieren, große - und nicht immer wünschenswerte - Auswirkungen auf die Politik haben.