Freitag, 17. Mai 2024

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Rainer Rother: Leni Riefenstahl. Die Verführung des Talents.

Zu einer weiteren Biographie über eine Person, die sich - ob sie es nun will oder nicht -ebenfalls pausenlos an ihre Vergangenheit erinnern lassen muß: Leni Riefenstahl, die im vergangenen Jahr ihren 98. Geburtstag feierte - und nach wie vor trotzig die unpolitische Künstlerin mimt, die - obwohl Regisseurin der NS-Parteitagsfilme und der ebenso berühmten wie umstrittenen Olympia-Streifen - nie etwas mit Propaganda im Sinn gehabt haben will. Jahrzehntelang hat sich die deutsche Öffentlichkeit damit schwer getan, Riefenstahls oft geniales handwerkliches Können und Ihre bizarre Selbstinszenierung als politisches Unschuldslamm gesondert zu betrachten: wer sie als Künstlerin lobte, machte sich automatisch totalitärer Tendenzen verdächtig. Seit den 70er Jahren ist jedoch ein Bewertungswandel in Gang gekommen, der sich auch in der neuen, im Berliner Hernschel-Verlag erschienenen Riefenstahl-Biografie niederschlägt. Constanze Hacke hat das Buch für Sie gelesen.

Constanze Hacke | 15.01.2001
    Leni Riefenthal:

    "Auf der anderen Seite sagt man, sie ist eine Blinde, die nichts wissen will, die immer eine Nazi bleibt. Und dabei hat das alles mit meiner Person gar nichts zu tun: Ich war nie eine Nazi und will auch keine Nazi bleiben, ich verurteile das alles, was geschehen ist, auf das Tiefste. Aber das nützt ja gar nichts, man glaubt mir ja nicht."

    Auch Rainer Rother glaubt dieser Dame nicht so ganz, zumindest nicht, was ihre eigene Legendenbildung angeht. Erklärtes Ziel seines Buchs "Leni Riefenstahl. Die Verführung des Talents" ist nicht nur, ihr Werk und ihre Karriere in den geschichtlichen Kontext einzuordnen, sondern sich in der Darstellung nicht allein mit der Alternative "Propagandistin oder Genie" zu begnügen.

    "Ihre seit Jahrzehnten immer erneut vorgetragene Selbst-Erklärung spielt in der öffentlichen Wahrnehmung mittlerweile eine ebenso große Rolle wie es die künstlerischen Werke selbst tun. Leni Riefenstahl hat sich, mit der Apologie des eigenen Lebens, als eine Kunstfigur entworfen, der nun gleiche Aufmerksamkeit gebührt wie den Werken selbst."

    Das Buch ist eine Wohltat verglichen mit den populär-wissenschaftlichen Neuerscheinungen der vergangenen Jahre zu dieser Thematik und bietet zugleich eine durchaus zutreffende und präzise Analyse der Person Riefenstahl. Es gerät zu einer direkten Auseinandersetzung mit dieser Figur – eine Konfrontation, die durchgängig nicht an Schärfe verliert: Immer wieder beschreibt Rainer Rother, wie Leni Riefenstahl den Faszinationen ihres Lebens erlag: Zuerst dem Tanz, später dem Schauspiel und der Regiearbeit und schließlich Hitler; eine fatale Wendung in ihrem Leben, aber durchaus auch eine zwangsläufige, folgt man der Argumentationslinie des Autors. Zwangsläufig nicht aus politischer Motivation heraus, sondern begründet durch die Persönlichkeitsstruktur Leni Riefenstahls.

    "Es entsprach nicht ihrem künstlerischen Temperament, aus eleganten Variationen eigener Ideen wie im Handumdrehen erfolgreiche Filme zu entwickeln. Sie bedurfte einer besonderen Faszination, einer ‚Ergriffenheit‘ vom Stoff, um ihre besten Möglichkeiten zu entfalten. Eigentlich war sie nichts weniger als eine originäre Erzählerin – ihr fielen die Ideen nicht zu, sie ging bei ihren Projekten folglich nicht von der Story aus, sondern von Bild-Ideen, von Stimmungen, von allgemeinen Strukturen wie der Legende. Für sie scheint die Drehbucharbeit immer mühsam gewesen zu sein, sie benötigte dabei die Hilfe anderer. Insofern verfügte sie nach ihrem Erstling "Das Blaue Licht" über kein neues eigenes Projekt – tatsächlich sah sie sich 1933 eher als Schauspielerin denn als ausschließlich verantwortliche Regisseurin. Dem die Fachwelt überraschenden, viele auch begeisternden ‚Coup‘ mit dem ‚Blauen Licht‘ wäre daher vielleicht erst sehr viel später eine reine Regiearbeit gefolgt, wenn die Künstlerin nicht erneut einer gänzlich unerwarteten Faszination erlegen und ihr in schon bekannt konsequenter Weise gefolgt wäre. Diesmal aber hieß die Faszination Adolf Hitler".

    Bereits zuvor hatte sich Riefenstahl für alles, was sie beruflich und künstlerisch erreichen wollte, mit Vehemenz eingesetzt. Gegen den Willen ihres Vaters wurde sie mit Anfang 20 zunächst Tänzerin, nach einer schweren Knieverletzung wechselte sie, durch einen Film von Arnold Fanck inspiriert, ins Schauspielfach. Mit Fanck macht sie Filme wie "Der Heilige Berg", "Die weiße Hölle vom Piz Palü" oder "Stürme über dem Montblanc" - und nutzt die Arbeit mit dem Bergfilm-Regisseur zielstrebig, um sich mit allen Aspekten der Filmherstellung vertraut zu machen. Der Wunsch, selbst etwas zu schaffen und aus den männlich dominierten Gebirgsfilmen Fancks herauszutreten, brachte sie zu ihrer ersten eigenen Regiearbeit, "Das Blaue Licht" – ein Märchensujet, das sowohl vom expressionistischen Inhalt als auch von der stilistischen Umsetzung 1932 Seltenheitswert besaß.

    "Wie immer man sie als Tänzerin und Schauspielerin bewertet: Mit ‚Das blaue Licht‘ hatte Leni Riefenstahl ihren Stil gefunden. Damals schien es so, als müsste ihr zukünftiger Weg daran anknüpfen. Dass er keine konsequente Fortsetzung des Erstlings wurde, hat den Blick auf ihr Regiedebüt nach 1945 verstellt. Die Parteitagsfilme schoben sich wie eine Folie über die ‚Berglegende‘, deren Eigenart sozusagen nur noch getrübt wahrgenommen wurde. Die Kritik ihrer Propagandawerke brachte die früheren Leistungen Riefenstahls fast ganz zum Verschwinden."

    Riefenstahl als widersprüchliche Person und zugleich doch von fast vorhersagbarer Berechenbarkeit – im künstlerischen Sinne, in der eigenen und der öffentlichen Reflektion. Übersteigertes Selbstbewusstsein, Ehrgeiz gepaart mit einer möglicherweise gespielten Naivität – Rother gelingt es, das Bild dieser Person auf eine sehr eindrucksvolle Weise zu zeichnen. Immer wieder stellt er Riefenstahls Aussagen, sei es in ihren Memoiren, sei es in Interviews von einst und heute, der 'Aktenlage' gegenüber: den Unterlagen über ihre Filme, Zeugnissen der zeitgenössischen Rezeption oder auch Verhörprotokollen der Alliierten. Dass Leni Riefenstahl, nachdem so viel Zeit vergangen ist, immer noch nicht ihre eigene Vergangenheit reflektiert und stattdessen halsstarrig auf einer von ihr selbst produzierten Figur beharrt, sagt eine Menge über ihre Geisteshaltung aus. Wiewohl sie sicherlich oft – gerade in der Nachkriegspresse – von Journalisten zu Recht angegriffen oder auch gelegentlich verleumdet wurde, so stellt Rother doch heraus, dass die NS-Regisseurin durch ihre Selbstdarstellung – nicht zuletzt in ihren Memoiren – einen guten Teil zu dieser öffentlichen Reaktion beigetragen hat: Keine Reflektion, keine Wertung aus heutiger Sicht, keine Einschränkungen, keine Distanz. So streicht Rother heraus, dass Riefenstahl falsch liegt, wenn sie glaubt, dass die Presse sich auf wüste Behauptungen und Anschuldigungen beschränkt habe. Er weigert sich, in ihr ein Opfer zu sehen und weist ihr eine Mitschuld zu:

    "Nicht das Phantombild der Hitler-Geliebten, sondern das sich aus zahlreichen Details speisende Bild der Propagandistin, der privilegierten Regisseurin, schließlich das Image der Unbelehrbaren machten schon bald die öffentliche 'Figur' Riefenstahl aus."

    Der Autor nimmt zugleich eine exzellente Analyse ihres filmischen Schaffens vor, die sich nicht darauf kapriziert, faschistische Wesenszüge der Filme oder aber eine einzigartige Genialität der umstrittenen Regisseurin herauszuarbeiten.Ein gutes Beispiel dafür ist die Untersuchung von Riefenstahls erstem Parteitagsfilm – "Der Sieg des Glaubens" von 1933: Rother behandelt den Film als solchen und seine Bedeutung für den Nationalsozialismus nicht getrennt voneinander, sondern verschränkt die Analyse, indem er Auftrag, Rezension und Rezeption der eigentlichen Beschreibung der Inszenierung voranstellt; ein durchaus effektives Stilmittel, damit der Film nicht vom politischen Kontext losgelöst und isoliert betrachtet werden kann.

    "Es liegt nahe, die politische Bedeutung von ‚Sieg des Glaubens‘ für Riefenstahls spätere reservierte Haltung dem Film gegenüber verantwortlich zu machen. Doch ist ihre Unzufriedenheit in einer Hinsicht anders begründet: Der Film entsprach – trotz der positiven Kritiken – durchaus noch nicht in allen Zügen ihrem Ideal. Kein anderes ihrer Werke ist ähnlich unausgewogen, ihr sonst dominierender Stilwille nur in einigen Passagen zu spüren. Gerade die Unvollkommenheit des Films spricht für eine unzureichende Vorbereitungszeit. Noch hatte Riefenstahl keine vollständige Kontrolle über die Aufnahmesituation."

    Zitat aus den Memoiren Leni Riefenstahls:

    "Lustlos begann ich das Filmmaterial zu sortieren und bemühte mich, irgend etwas Brauchbares zusammenzuschneiden. Da der Film weder eine Handlung noch ein Manuskript hatte, konnte ich nur versuchen, die Bilder aneinanderzureihen, dass eine optische Abwechslung und ein gewisser Bildrhythmus entstand. Der mir sooft gemachte Vorwurf, ich hätte Propagandafilme gemacht, ist abwegig. Es war ein Dokumentarfilm, was einen großen Unterschied macht: Niemand, auch nicht die Partei, hatte mir irgendeine Anweisung, wie ich den Film machen sollte, gegeben. Auch wurden die Aufnahmen nicht für die Kamera gestellt. Das mir zur Verfügung stehende Filmmaterial bestand aus Dokumentar-Aufnahmen, die nur während des Parteitags an Ort und Stelle gemacht wurden. An Propaganda habe ich während meiner Arbeit nicht einen Augenblick gedacht."

    Hat sie das wirklich nicht? Rother ist davon überzeugt, dass Leni Riefenstahl das NS-Regime zumindest für das Vorantreiben ihrer Karriere genutzt hat. Seiner Ansicht nach nahm sie im nationalsozialistischen Deutschland als Künstlerin und Produzentin eine einzigartige Position ein und diente dem Regime auf ihre Art, mit ihren Fähigkeiten. Obwohl nicht Mitglied einer Parteiorganisation, war sie doch stets in der Lage, ihre Projekte mit Beharrlichkeit und vor allem mit den entsprechenden Mitteln voranzutreiben. Beim zweiten Parteitagsfilm – "Triumph des Willens" - verfügte sie über einen Stab von 120 Personen; noch größer war der Aufwand bei "Olympia", ihrem Lieblingskind, das sie mit Hingabe inszenierte.

    "Die Parteitage – und auch die Filme über sie – enthalten die Definition des Feindlichen, Ausgestoßenen. Die Olympischen Spiele – und auch der "Olympia"-Film – verschweigen die Ausgrenzung. Die heile Welt der Spiele ist die KdF-Version des Parteitages und "Olympia" die KdF-Version eines Parteitagsfilms. Nicht zuletzt deswegen markiert der "Olympia"-Film die Glanzzeit der Leni Riefenstahl. Ihre Fähigkeiten hatten ein Objekt gefunden, das ihr mehr entsprach als die Rituale der NSDAP."

    Rother bietet insgesamt eine differenzierte Bestandsaufnahme und Einordnung von Riefenstahls filmischen Schaffen, kombiniert mit einer Analyse der von ihr geschaffenen öffentlichen Figur. Dies gelingt ihm zu weiten Teilen hervorragend, nicht zuletzt dank eines umfangreichen und exzellent recherchierten Anmerkungsapparats. Dass "einige der bekanntesten Legenden anhand bisher unberücksichtigter Akten und Dokumente korrigiert werden", wie es der Umschlagtext ankündigt, trifft zwar nicht ganz zu. Schließlich ist vieles davon schon seit langem öffentlich zugänglich und wurde, vor allem von US-Autoren wie Hinton oder Cooper, bereits zur Analyse der Riefenstahl-Filme herangezogen. Eine so umfassende und zugleich hervorragend recherchierte Darstellung des Lebens und Werks Leni Riefenstahls, mit einer gleichzeitigen Konfrontation von Selbstdarstellung und Realität ist allerdings in der Tat bislang selten.

    Riefenstahl wäre ohne das Berüchtigte als Regisseurin bloß interessant, denn ihr ästhetisches Ideal war 'harmonisch', ihr Desinteresse an allem Zweideutigen, Widerständigen, auch nur Alltäglichen oder gar Unschönen prägte die Stilisierungen. Der Stilwille durchzieht alle Bilder, die Filme sind frei von Ambivalenzen. Der Zuschauer soll nicht verunsichert, sondern umgarnt und eingefangen werden. Riefenstahl hat ihre Zuschauer nie aufrütteln, nie provozieren wollen. Ihre Kunst zielte auf einen anderen Effekt; ob mit der romantischen 'Legende', dem 'Erlebnis von Nürnberg' oder der 'Schönheit im olympischen Kampf': Riefenstahl wollte ihr Publikum verführen. Hierzu Leni Riefenstahl:

    "Wo liegt meine Schuld? Ich kann bedauern. Ich bedaure, dass ich den Parteitagsfilm 1934, den ‚Triumph des Willens‘, gemacht habe. Ich bedaure, dass ich, ja ich kann doch nicht bedauern, dass ich in der Zeit gelebt habe! Über meine Lippen ist nie ein antisemitisches Wort gekommen, auch nicht geschrieben. Ich war niemals antisemitisch und bin deshalb auch nicht in die Partei eingetreten. Ich habe keine Atombomben geworfen, ich habe niemanden verleugnet, wo liegt denn meine Schuld?"

    Constanze Hacke über: Rainer Rother: Leni Riefenstahl. Die Verführung des Talents. Erschienen im Henschelverlag Berlin, 256 Seiten für 39,80 DM.