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Raketenabwehr für die Türkei
Deal mit Russland, Streit mit den USA

Erste Teile eines russischen Raketenabwehrsystems, mit dem sich das NATO-Mitglied Türkei gegen Militärangriffe wappnen will, könnten heute in dem Land eintreffen. Der Verkäufer Russland ist umstritten. Und der Türkei drohen US-Sanktionen.

Thomas Seibert im Gespräch mit Ann-Kathrin Jeske | 09.07.2019
Russische Luftabwehrraketen vom Typ S-400 bei einer Militärparade (05.07) in St. Petersburg.
Russische Luftabwehrraketen vom Typ S-400 bei einer Militärparade (05.07) in St. Petersburg. (dpa picture alliance /Sputnik/Igor Russak)
Ann-Kathrin Jeske: Die Türkei grenzt im Süden an Syrien und den Irak, im Osten an den Iran. Nicht gerade eine sichere Nachbarschaft also. Und deshalb will Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan die Türkei mit einem Raketenabwehrsystem gegen Militärangriffe wappnen. Um den Kauf dieses Systems ist nun aber ein internationaler Streit entfacht, denn insbesondere die USA finden, die Türkei – Mitglied in der NATO - hat sich den falschen Verkäufer ausgesucht, nämlich Russland. Die USA haben der Türkei deshalb mit Sanktionen gedroht. Die heikle Fracht aber, die ist in diesen Tagen und Stunden schon längst auf dem Weg. Die ersten Teile des Abwehrsystem S-400 könnten heute in der Türkei eintreffen. Thomas Seibert in Istanbul, warum hat die Türkei das Raketenabwehrsystem denn gerade von Russland gekauft?
Russland machte das beste Angebot
Thomas Seibert: Die Türkei ist schon seit längerem auf der Suche nach einem solchen Luftabwehrsystem. Ankara argumentiert, man müsse sich schützen gegen potentielle Angriffe etwa aus Syrien. Die Türken haben mit vielen potentiellen Verkäufern gesprochen. Mit den Chinesen, auch mit den Amerikanern. Am Ende sind sie mit den Russen handelseinig geworden. Ankara sagt, besonders drei Gründe sprechen dafür, für dieses russische System S-400. Das ist der Preis, das ist die günstige Lieferzeit und das ist die russische Zustimmung zum Technologietransfer. Die Türkei möchte ihren eigenen Rüstungssektor ausbauen. Da sind solche Deals mit Technologietransfer sehr, sehr wertvoll für Ankara.
Jeske: Ist das denn das erste Mal, dass ein NATO-Mitglied von Russland Militärausrüstung kauft, oder kommen solche Fälle häufiger vor?
Seibert: In der NATO gibt es keine Vorschriften darüber, wer was zu kaufen hat. Also die einzelnen Mitgliedsländer sind frei. Es gibt auch andere NATO-Staaten, die schon bei Russland gekauft haben, allerdings ist dies das erste Mal, dass so ein hochwertiges, so ein hochmodernes russischen System in ein NATO-Land geht und das stößt bei vielen NATO-Mitgliedern auf Unverständnis und auf Ärger.
USA fürchten Spionage
Jeske: Warum reagieren jetzt insbesondere die USA in diesem Fall so scharf?
Seibert: Es geht zum einen um die Befürchtung des Westens, dass die Türkei sich abwendet von ihren traditionellen Partner in Europa und in den USA. Die Erdoğan-Regierung arbeitet sehr, sehr eng mit Russland zusammen im Syrienkonflikt. Die Russen bauen das erste türkische Atomkraftwerk. Es gibt sehr, sehr enge persönliche Beziehungen zwischen Erdoğan und Putin. Die beiden kommen sehr gut miteinander aus. Und jetzt kaufen die Türken auch noch ein hochmodernes, russisches Raketensystem. Das befördert Besorgnisse insbesondere in den USA hinsichtlich des Kurses von Erdogan. Im Konkreten geht es den Amerikanern um die Befürchtung, dass mit Hilfe dieser S-400 Technologie der hochmoderne amerikanische Kampfjet F35 ausspioniert werden könnte.
Jeske: Ist die Angst, ausspioniert zu werden denn berechtigt?
Seibert: Das ist umstritten zwischen der Türkei und den USA. Die Türken haben mehrmals vorgeschlagen, eine gemeinsame Kommission bilden zu wollen mit den Amerikanern, um diese Frage zu klären. Washington will sich aber darauf nicht einlassen. Viele Politiker in der amerikanischen Hauptstadt sagen, es kommt nicht in die Tüte, dass hier russische Hochtechnologie in der NATO verwendet wird. Dabei geht es auch um die Befürchtung der Amerikaner, dass wenn der Türkei diese Erlaubnis gegeben wird, dass dann auch andere NATO-Staaten auf den Gedanken kommen könnten. Das will man verhindern. Die Amerikaner sagen also zu den Türken, entweder S-400 oder F35, beides auf einmal geht nicht.
Jeske: Jetzt haben die USA der Türkei Sanktionen angedroht, gleichzeitig kommen die ersten Teile dieses System schon wohlmöglich heute an. Muss sich die Türkei jetzt auf diese Sanktionen einstellen, oder gibt es da noch einen Ausweg?
US-Präsident Donald Trump kann Sanktionen nicht stoppen
Seibert: Im Moment sieht es eher nach Sanktionen aus. Es gibt ein amerikanisches Sanktionsgesetz, das in Kraft ist, dass also nicht mehr verabschiedet werden muss. Dabei geht es um die Zusammenarbeit mit dem russischen Rüstungssektor. Dieses Gesetz sieht vor, dass bei Eintreffen zum Beispiel dieser S-400 hier in der Türkei dieser Sanktionsfall festgestellt wird. Dann wird dem Präsidenten, also Donald Trump eine Liste von Sanktionen vorgelegt, aus denen er sich einige aussuchen muss. Diese Sanktionen reichen von einem Verbot für amerikanische Institutionen, türkische Staatsanleihen zu kaufen bis zu Einreiseverboten für einzelne Politiker aus der Türkei. Trump muss einige dieser Sanktionen verhängen. Es ist nur die Frage, ob er das sofort macht oder ob er das hinauszögert, um sich irgendwie noch mit den Türken einigen zu können.
Jeske: Wie empfindlich könnte das denn die Türkei treffen?
Seibert: Potentiell ist das katastrophal für die Türkei. Die türkische Wirtschaft steckt in der Krise. Wenn jetzt noch Wirtschafssanktionen des wichtigsten westlichen Partners dazukommen, dann könnte sich diese Krise noch erheblich verschärfen. Bisher allerdings lässt Erdoğan keinerlei Bereitschaft erkennen, sich das ganz noch einmal anders zu überlegen. Das S-400 Raketenabwehrsystem soll schon heute oder in den nächsten Tagen hier in der Türkei ankommen.