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Raketenschirm für Deutschland

Technik. - Am kommenden Mittwoch steht im Haushaltsausschuss des Bundestages eine wichtige Entscheidung an – es geht um MEADS, ein neues Raketenabwehrsystem für mittlere Reichweite. Doch ob das Mini-SDI für Deutschland hält, was es verspricht, ist unklar.

Von Jan Lublinski |
    Das Medium Extended Air Defense System, kurz MEADS soll im Jahr 2012 die Nachfolge antreten für die Patriot-Raketen, jene Abwehrtechnik, die bereits im ersten Golfkrieg zum Einsatz kam und die damals keine einzige irakische Rakete abfangen konnte – auch wenn die Kriegspropaganda anderes verbreitete. Wie erfolgreich das System im zweiten Irakkrieg war, ist bislang noch nicht publik geworden, fest steht nur, dass eine amerikanische Patriot-Rakete versehentlich ein britisches Flugzeug abschoss. Mit MEADS soll das alles besser werden: das neue System soll in der Lage sein, Flugzeuge von Raketen zu unterscheiden. Es soll erkennen, ob es feindliche oder eigene Truppen anvisiert. Ein neues Hochleistungsradar soll nicht nur in eine Richtung schauen, sondern den Luftraum in allen Richtungen überwachen können. Und das System soll mit einer neuen Generation von Raketen ausgestattet sein, die über einen genannten "hit to kill"-Kopf verfügen, der sich vom Rumpf der Rakete löst, um feindliche Raketen direkt zu treffen und zu zerstören. - Soweit die Vision der Militärplaner. Tatsächlich aber sind die beteiligten Rüstungsfirmen weit davon entfernt, dies alles realisieren zu können. Fred Lamb von der Universität von Illinos in Urbana-Champaign genießt als unabhängiger Gutachter in Verteidigungsfragen hohes Ansehen bei verschiedenen Gruppen, von der Militärführung bis zur Friedensbewegung - und er hält viele technische Probleme in diesem Bereich für so groß, dass sie auch mittelfristig nicht gelöst werden können.

    "Ich halte es für ziemlich optimistisch, zu sagen, dass das System 2012 einsatzbereit sein wird. Auf jeden Fall muss man da die Frage stellen: was genau wird da im Jahr 2012 einsatzbereit sein? Die Raketenabwehr wird bei uns leider so geplant, dass man sagt: "Ihr gebt uns das Geld, das wir haben wollen, und egal, was dann dabei herauskommt, wir werden es einen Erfolg nennen.""

    Dieselbe Strategie also, wie sie George W. Bushs Militärplaner auch bei der großen Raketenabwehr anwenden, dem System also, das eines Tages Raketen abfangen soll, die beispielsweise aus Nordkorea in die USA geflogen kommen.

    Vor seiner Wiederwahl hatte der Präsident versprochen, dass im Herbst 2004 die Raketenabwehr in Alaska erste Teile des Schutzschildes in Betrieb gehen sollten. Bislang ist nichts dergleichen geschehen, außer dass einige alte Raketen in Silos versenkt wurden. Ein planloses System, mit dem die Verantwortlichen bei der US-Luftwaffe nichts anfangen konnten. Sie haben darum die Inbetriebnahme des Systems bis auf weiteres verschoben. Die technologische Herausforderung des mittelreichweitigen MEADS ist nicht ganz so groß wie bei der großen nationalen Raketenabwehr der Amerikaner, weil bei MEADS die feindlichen Raketen wesentlich tiefer und langsamer fliegen und so im Prinzip etwas leichter abgefangen werden können. Dennoch bleibt dies eine ungeheuer schwierige Anforderung. MEADS wird in sehr kleinen Schritten Verbesserungen gegenüber dem Patriot-System bringen, und so wird ein deutsches Engagement in diesem Bereich langfristig deutlich teurer werden als die bislang veranschlagten vier Milliarden Euro. Ob es dann ein System sein wird, mit dem die Bundeswehr wirklich arbeiten kann, bezweifelt der Verteidigungsexperte Philip Coyle. Er hat einst den Präsidenten Clinton beraten und arbeitet jetzt am Center for Defense Information in Los Angeles.

    "Die Tatsache, dass an MEADS mehrere Länder beteiligt sind – Deutschland, Italien, die USA - macht das ohnehin sehr komplexe System noch komplexer. Es könnte am Ende sein, dass das deutsche Militär so reagieren wird wie die amerikanische Luftwaffe, es wird dann sagen: Wir müssen endlich wissen, was dieses System wirklich leistet. Wir werden unser Geld hier nur investieren, wenn wir genau wissen, wie es funktioniert, wenn das System getestet wurde, unter sehr realitätsnahen Kampfbedingungen."

    Aber genau an oder in diesen realitätsnahen Tests könnte MEADS am Ende scheitern, vermutet Philip Coyle. Er und die anderen amerikanischen Experten warten nun gespannt darauf, ob die Deutschen sich dafür entscheiden werden, sich mit den Amerikanern auf die Entwicklung von Raketenabwehrtechnologien einlassen, und damit auch auf den schweren Kampf um die Teilhabe an den Schlüsseltechnologien von MEADS – oder ob die Deutschen ihr Geld lieber für andere Dinge ausgeben.

    "Es gab viel Kritik, hier in den USA, dass wir Milliarden Dollar für eine Raketenabwehr ausgeben, die bislang noch gar nichts gebracht hat - während wir unsere Soldaten in Fahrzeugen in den Krieg schicken, die keine Schutzummantelungen haben, die sie vor gewöhnlichen Gewehrkugeln schützen. Das ist eine der Gefahren der Raketenabwehr: Dass man vor lauter High-Tech andere Bedrohungen nicht sieht oder nicht ernst genug nimmt, Bedrohungen die möglicherweise viel größer und unmittelbarer sind."