Barbara Roth: Herr Ramsauer, es ist das Wochenende von Barack Obama. Der neue US-Präsident zu Besuch in Europa, auch in Deutschland - G20-Gipfel, NATO-Jubiläum. Laut einer Infratest-Dimap-Umfrage, die die ARD veröffentlicht hat, wünschen sich 76 Prozent der Deutschen einen deutschen Obama. Sie auch?
Peter Ramsauer: Diese 76 Prozent oder wie viele auch immer haben eine geradezu messianische Heilserwartung an diesen Präsidenten. Trotz allem Verständnis dafür habe ich seit Obamas Auftritt in Berlin an der Siegessäule immer vor der politischen Realität gewarnt. Obama wird als amerikanischer Präsident in allen Fragen der internationalen Politik zuallererst amerikanische Interessen verfolgen, nicht europäische Interessen, nicht deutsche Interessen. Und er wird, das erwarten viele sicher nicht, er wird in vielen Fragen höchste zusätzliche Erwartungen an Europa und gerade an Deutschland knüpfen. Er hat ja jetzt schon mehr oder minder klargemacht, dass er sich wesentlich mehr deutsche Soldaten nach Afghanistan wünscht. Und wenn das alles einmal deutlicher wird, dann werden aus diesen 76 Prozent schnell, und zwar sehr schnell, viel, viel weniger werden.
Roth: Krisenbewältigung im Jahr einer Bundestagswahl kann sehr teuer werden. Ich nenne als Beispiel die Abwrackprämie. Nächste Woche wird das Bundeskabinett entscheiden. Was passiert mit der Abwrackprämie ab Juni?
Ramsauer: Ich rate dem Bundeskabinett, der Bundesregierung sehr dazu, keine Entscheidung in dieser Frage zu treffen, ohne sich vorher mit den Koalitionsfraktionen am besten ins Einvernehmen zu setzen. Die Abwrackprämie hat in den letzten Wochen und Monaten ja durchaus eine erstaunliche Wirkung entfaltet, eine stabilisierende Wirkung für die gesamte deutsche Automobilwirtschaft, den ganzen Zuliefererbereich, auch wenn natürlich auch ausländische Hersteller begünstigt sind. Aber diese ganzen ausländischen Hersteller haben wieder Teile von deutschen Zulieferern drin, das ist ja alles eng verwoben. Und wenn sich dieses Instrument in dieser Weise bewährt, dann sollte man es nicht unnötig einfach fallen lassen.
Roth: Also Sie bleiben bei den 2500 Euro?
Ramsauer: Es geistert hier seit einigen Tagen die Idee herum, abzuschmelzen oder zu halbieren. In allen entscheidenden Gremien, in denen der Koalitionspartner CSU beteiligt ist, wurde so etwas nie diskutiert.
Wir sind ja davon ausgegangen, dass das Volumen, was wir ursprünglich bereitgestellt haben, nämlich 1,5 Milliarden Euro, bis Jahresende vielleicht reichen würde. Die 600.000 Fahrzeuge sind viel, viel schneller erreicht worden. So schnell haben wir nicht gerechnet, dass es geht. Deswegen werden wir in der Frist Ende des Jahres, die wir gesetzlich festgelegt haben sozusagen, noch mal drauf legen.
Roth: Herr Ramsauer, wir sitzen im Kloster Banz beisammen, wo sich ja der Parteivorstand der CSU zu einer zweitägigen Klausurtagung traf - auf der Suche nach thematischer Inspiration. Auf der Tagesordnung: Gesundheitspolitik, Steuerkonzept, Europawahlprogramm. Doch zur allgemeinen Überraschung: Die CSU war nicht auf Krawall gebürstet. Wird es denn mit Ihrer Partei jetzt langweilig werden?
Ramsauer: Ich glaube, das Wort "Inspiration" ist gar nicht so schlecht, denn gerade in einer Klausurtagung soll man ja über das hinausblicken, was die unmittelbare Tagespolitik einem auferlegt. Wir arbeiten sachorientiert, wir arbeiten zielorientiert, wir arbeiten nicht an der vorsätzlichen Demontage des politischen Gegners. Ich weiß ganz genau, was die Bevölkerung von uns erwartet: Garantiert nicht Krawall, sondern zielorientierte Arbeit, obwohl natürlich streitige Auseinandersetzungen nicht ausbleiben können.
Roth: Weshalb in Berlin Ihre Koalitionspartner bereits genervt reagieren, wenn der bayerische Löwe mal wieder lautstark vernehmlich brüllt - Krawallmacher, Quertreiber, Querulant muss sich ja Ihr Parteivorsitzender Horst Seehofer bereits nennen lassen. Die CSU kann doch sehr anstrengend sein.
Ramsauer: Sie muss auch sehr anstrengend sein, denn wir haben die Werte und die Erfordernisse bürgerlicher Politik schlicht und einfach zu wahren, und zwar nicht nur für Bayern und für die bayerische Bevölkerung, sondern auch für das bürgerliche Lager weit über Bayern hinaus.
Ich möchte in dem Zusammenhang einen Vorwurf aufgreifen, der in den letzten Jahren, in den Jahren der Großen Koalition, immer stärker an uns gerichtet worden ist, nämlich dass durch das Kompromisserfordernis in der Großen Koalition die deutsche Regierungspolitik mehr und mehr in einem Kompromiss-Mischmasch untergeht. Da ist es gerade die Rolle der CSU, weil - sie kann es am ehesten tun wegen ihrer Eigenständigkeit aus Bayern heraus - innerhalb dieses Kompromiss-Mischmasch auch immer wieder klare Linien und Kanten vorzugeben und an ihnen entlang zu entscheiden und an diesen Kanten entlang natürlich zu streiten, wenn es erforderlich ist. Und wenn wir das anders gemacht hätten, hätten wir viele Erfolge für die CSU, für die Union und insgesamt für das bürgerliche Lager in Deutschland niemals erreicht.
Roth: Aber ein Eindruck lässt sich doch nicht wegwischen, der Eindruck nämlich, dass die CSU für unpopuläre Entscheidungen in der Großen Koalition nicht in Mithaftung genommen werden will. Nehmen wir mal als Beispiel ein aktuelles Thema von Banz, die Gesundheitspolitik.
Ramsauer: Das ist richtig. Deshalb habe ich ja auch vor Eingehen der Großen Koalition vor dreieinhalb Jahren vor diesen Risiken gewarnt. Hier gilt auch ein Stück weit das Wort von "mitgefangen, mitgehangen". Dann muss man natürlich auch da und dort auch kompromissfähig sein. Und Kompromisse sind immer schmerzhaft. Das Beispiel Gesundheitspolitik, das Sie erwähnen, ist ein gutes Beispiel dafür. Wir haben nach, man kann sagen, jahrelangen intensiven Verhandlungsprozess unter gewissen Voraussetzungen zugestimmt. Und diese Bedingungen sind jetzt nicht in Gänze eingetreten. Schmerzhaft vor allem Dingen für viele Leistungserbringer im Medizinbereich in Bayern. Und dass sich das ändert, dass dies korrigiert wird, dafür streiten wir.
Roth: Man hatte beim Gesundheitsfonds einen großen Knall eigentlich erwartet. Die Drohungen des bayerischen Gesundheitsminister Markus Söder hörten sich jedenfalls so an. Es scheint so zu sein, dass Sie jetzt zurückrudern. Sie fordern jetzt Korrekturen innerhalb des bestehenden Systems. Scheuen Sie denn den Konflikt? Mit der CDU beispielsweise?
Ramsauer: Einen großen Vorteil hat dieser Fonds auf alle Fälle erreicht. Nämlich, dass er Kostensteigerungen im Gesundheitswesen, die strukturell angelegt sind und die sich auch nicht beseitigen lassen, die ganz einfach auch eine Folge dessen sind, dass die Gesellschaft immer älter wird und immer mehr Krankheiten heilbar sind - dass wir diese steigenden Kosten alle abkoppeln wollten von den Lohnnebenkosten, von den Arbeitskosten. Das ist gelungen.
Ein großer Nachteil ist indes aber, dass in einem größeren Maße, wie zunächst von der Bundesgesundheitsministerin behauptet, Mittel - Geld - abfließt aus Bayern in andere Länder. Und darum kann ich nur sagen: So war das nicht ausgemacht, hier muss die SPD-Gesundheitsministerin ihre Aufgaben machen. Das haben die Leistungserbringer im Gesundheitswesen auch verstanden, sie deuten alle mit dem Finger auf die Schuldige, und die heißt Ulla Schmidt.
Roth: Bis zur Sommerpause will die CSU spätestens Lösungen sehen, also sie will eine Korrektur innerhalb des Systems. Was erwarten Sie denn von Ulla Schmidt?
Ramsauer: Man kann es ganz einfach sagen: Wir erwarten, dass der Gesundheitsfonds und vor allen Dingen die Honorarordnung, die neue Honorarordnung so funktioniert, wie die Gesundheitsministerin dies versprochen hat. Wir nehmen es unter keinen Umständen hin, dass gewisse Ärztegruppen, vor allen Dingen Facharztgruppen, im Einkommen deutlich schlechter gestellt werden. Das kann so nicht bleiben, das war nicht Gegenstand der Gesundheitsreform. Man muss ja auch sehen, dass wir über drei Milliarden Euro zusätzlich in die Vergütung der Ärztetätigkeit hineingepumpt haben, da muss auch bei den Ärzten mehr ankommen an Vergütung. In diesen Tagen und Wochen laufen fieberhafte Gespräche, um dieses Defizit des neuen Systems zu reparieren.
Roth: Wenn man das Defizit nicht reparieren kann oder reparieren will bis zur Sommerpause, was passiert dann?
Ramsauer: Dann müssen wir auf Sicht fahren und prüfen, welche Operationen, welche Einschnitte - größere oder kleinere - chirurgischer oder politischer Art erforderlich sind.
Roth: Sie behaupten, viele außerhalb von Bayern würden die CDU nur deshalb wählen, weil sie eben wissen, dass es die CSU gibt. Man hörte auch mahnende Worte von Ihrem Ehrenvorsitzenden Edmund Stoiber, eben an die Adresse der CDU. Er warnte die Schwesterpartei davor, sie dürfe die konservativen Stammwähler nicht vernachlässigen. Fürchten Sie denn so sehr um das konservative Profil der Union?
Ramsauer: Das konservative Profil ist eine jener politischen Dimensionen, die unter der Großen Koalition ganz besonders gelitten haben. Familienpolitik: Es deckt sich nicht mit dem konservativen Profil der CSU, im Grunde genommen auch der CDU, dass junge Väter und Mütter nur dann gesellschaftlich etwas wert sind, wenn beide kurz nach der Geburt eines Kindes wieder im Arbeitsprozess sind. Ich verstehe eines immer noch nicht: Dass die Pflege alter Familienmitglieder, die Pflege, für die man auch zuhause bleibt, eine hohe gesellschaftliche Wertschöpfung genießt; dass aber umgekehrt, das Kümmern um ein kleines Kind in den ersten Lebensjahren sozusagen etwas ist, was dann, wenn man das auch noch staatlich honoriert, als Herdprämie verunglimpft wird. Oder wenn man in solche Fällen sozusagen in die gesellschaftliche Schmuddelecke gestellt wird.
Roth: Ihre Kritik trifft doch vor allem die CDU, ihre Schwesterpartei. Hat die CDU in der Großen Koalition das konservative Profil verloren oder vernachlässigt.
Ramsauer: Ich sage ganz unumwunden, dass wir die CDU an ihren konservativen Auftrag und ihren konservativen Anspruch nicht ganz selten erinnern müssen. Ich weiß sehr wohl, dass innerhalb der CDU als Partei, aber auch innerhalb des CDU-Teils unserer gemeinsamen Bundestagsfraktion sehr viele CSU-ähnliche, um nicht zu sagen CSU-identische Milieus sind, und diese rufen uns - ich sage das jetzt in Anführungszeichen - uns von der CSU "oft zur Hilfe", weil sie wissen: Die CSU kann wegen ihrer Unabhängigkeit viele politische Inhalte wesentlich nachhaltiger - und ich sage jetzt auch ganz bewusst - eigensinniger vertreten, als dies innerhalb der CDU der Fall ist.
Wir haben es uns immer zum Maßstab gemacht, gerade auf die Stammwähler zu achten. Auf die kirchlich Orientierten, religiös orientieren Wähler. Auf den Bereich der Landwirtschaft. Auf alles was sich um Familien rangt. Auf Arbeitnehmerinteressen. Rentner nicht zu vergessen, die ältere Generation. Wir wissen aber, und das hat sich ja im letzten Jahr gezeigt, dass das immer schwieriger wird, denn seit dem letzten Jahr gilt die Formel "50 plus X" nicht mehr. Die Meinungsforscher haben uns gesagt seit Jahren -: Die Formel hieße eben schon lange nicht mehr - 50 plus X -, sondern "30 plus, 15 oder 20 plus X". Das heißt, der Kampf um den Kern eigener Stammwähler wird immer schwieriger.
Roth: Der ARD-Deutschlandtrend, der die Union im Augenblick - wäre heute Bundestagswahl - bei 34 Prozent der Stimmen sieht, der spiegelt eigentlich die augenblickliche Situation wieder. Es sind zwar zwei Prozent mehr als im Vormonat, aber zufrieden können Sie noch lange nicht sein.
Ramsauer: Hier haben wir 34 Prozent, in anderen Umfragen 37. Das kann uns alles nicht zufrieden stellen, das ist vollkommen klar. Wir müssen hier noch deutlich zulegen, um das richtige Polster für die Bundestagswahl zu haben. Aber genauso wichtig ist der Blick auf die Tatsache, dass zusammen mit der FDP bei allen Umfragen, die wir jetzt haben, eine bürgerliche Mehrheit im deutschen Parlament zustande kommt. Die Stärke der FDP ist allerdings für die FDP auch keine strukturell ganz feste Stärke. Sie hat zugelegt, weil sie in jetzt elf Jahren - seit 1998 Opposition - natürlich auch dem Volk immer nach dem Mund reden konnte. Wenn die FDP in Regierungsverantwortung tritt, wird dieser schöne Schein schnell nachlassen und damit auch die Werte.
Roth: Würde die FDP für Sie ein ähnlich anstrengender Regierungspartner werden, wenn es reicht bei der Bundestagswahl, wie die SPD jetzt?
Ramsauer: Das ist eine ganz, ganz wichtige Frage. Diejenigen Kollegen, die zu Recht - ich zähle mich ja da auch dazu - denen die Große Koalition Unterkante Oberlippe sozusagen steht, und die sich in eine Koalition mit der FDP hineinsehnen, denen sage ich aber auch immer unumwunden: "Einfach wird das mit der FDP natürlich auch nicht", denn wo FDP überall drauf steht, ist noch lange keine bürgerliche Politik drinnen. Dafür gibt es eine Reihe von Beispielen, etwa das Thema Spätabtreibung. Oder der Bereich Forschung an embryonalen Stammzellen. Die FDP verfolgt hier ein liberalistisches Weltbild, das sich nicht mit dem unsrigen deckt. Zuwanderung ist eine weitere solche Frage. Und so könnte man viele Dinge anführen, wo wir, wenn es zu Koalitionsverhandlungen mit der FDP kommt, auch richtig harte Auseinandersetzungen haben werden.
Roth: CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer im "Interview der Woche" des Deutschlandfunks. Herr Ramsauer, hinter den dicken Klostermauern ging es ja auch darum, die "CSU programmatisch zu festigen" - Zitat Ihres Parteivorsitzenden Horst Seehofer. Verabschiedet wurde mit Blick eben auf die Bundestagswahl ein Konzept zur Steuerpolitik. Sie, Herr Ramsauer, sind der Spitzenkandidat der CSU für die Bundestagswahl. Werden Sie denn im Wahlkampf die Diskussion zuspitzen auf die Frage "Steuern rauf - Steuern runter"?
Ramsauer: Genau so werden wir das zuspitzen. Es geht in der steuerpolitischen Auseinandersetzung auch um zwei Denkwelten, die hier zwischen der SPD einerseits und der Union andererseits aufeinander prallen. Die SPD geht davon aus, dass alles Steuergeld erst einmal Eigentum des Staates ist. Wir sehen das ganz genau umgekehrt. Frank-Walter Steinmeier hat ja kürzlich, in seiner Rolle als Kanzlerkandidat der SPD, den interessanten Satz verlauten lassen, es sei im Augenblick unverantwortlich, dem Staat durch Steuersenkungen Geld wegzunehmen. Das muss man sich auf der Zunge erst richtig zergehen lassen. Alles Steuergeld ist erst einmal Eigentum des Steuerzahlers, der dies erleistet und erwirtschaftet hat. Die Frage lautet also, wie viel können die öffentlichen Hände, kann der Staat, dem Steuerzahler von dem Erwirtschafteten wegnehmen. Also konträre Ansichten zwischen SPD einerseits und Union andererseits.
Wir wollen, dass möglichst viel vom erarbeiteten Netto in der Hand der Bürger bleibt. Hier haben wir ganz klare Schritte beschlossen, die wir uns nach der Bundestagswahl vornehmen. Das ist eine weitere Korrektur der Einkommens- beziehungsweise Lohnsteuer. Das ist eine Korrektur dessen was bei der Unternehmenssteuerreform dank SPD schief gelaufen ist. Das sind dringend erforderliche Korrekturen bei der Erbschaftssteuer. Und das sind Korrekturen, Reformen im Bereich des gesamten Umsatzsteuerwesens.
Roth: Sie haben im Fokus die Familien, die Arbeitnehmer und die mittelständischen Unternehmer.
Ramsauer: Aber auch Großunternehmen, die beispielsweise fürchterlich unter dem Unsinn der Zinsschranke leiden.
Roth: Was bieten Sie denen denn an? Was wird drin stehen? Beispielsweise für Familien mit Kindern?
Ramsauer: Wir haben uns darauf verständigt, dass wir den Kinderfreibetrag deutlich erhöhen wollen. Kinder sollen in Zukunft den gleichen Freibetrag wie Erwachsene haben. Wir wollen auch im Bereich der Eigentumsbildung von Familien, Wohneigentum, Familien mit Kindern deutlich besser stellen im Hinblick auf die Förderung, auch wenn das nicht die alte Eigenheimzulage wird, aber es wird Eigenheimförderung familienbezogen sein.
Roth: Diese Punkte müssen im Programm stehen, sonst gibt es kein gemeinsames Wahlprogramm? Ist das eine Lehre, vielleicht sogar Revanche aus der Pendlerpauschale, deren Wiedereinführung Ihnen die CDU ja vor der bayerischen Landtagswahl verweigert hat?
Ramsauer: Revanche, das kann man so nicht sagen. Die CDU wird zunächst einmal für sich genommen ein Vorwahl-Programm machen. Wir formulieren das und dann wird man das zusammenführen. Das wird zu 90 Prozent eine große gemeinsame Schnittmenge ergeben.
Roth: Und die restlichen zehn Prozent?
Ramsauer: Und die restlichen zehn Prozent, die werden voneinander abweichen. Da muss man jetzt noch nicht drüber reden, welche Punkte das sind.
Roth: Schade.
Ramsauer: Ja, aber man kann einige Dinge natürlich sich da schon vorstellen. Beispielsweise im Bereich der Mehrwertsteuerreform werden wir einiges deutlich machen. Da zieht die CDU noch nicht, aber trotzdem: Wir werden dafür werben, dass wir auch alle unserer CSU-Punkte bei der CDU unterbringen.
Roth: Noch im Mai will ja Bayern eine Bundesratsinitiative auf den Weg bringen. Da geht es um einen reduzierten Mehrwertsteuersatz für das Hotel- und Gaststättengewerbe, noch vor der Bundestagswahl. Herr Ramsauer, ist das denn klug? Sie provozieren ja damit die Frage, was ist mit dem Handwerk, was ist mit Katzenfutter beispielsweise, was ist mit Babynahrung?
Ramsauer: Also, wir werden keine Katzenfutterdebatte führen. Dass die Reform der Umsatzsteuersystematik, die Einteilung von Waren und Dienstleistungsgruppen in den 19-prozentigen Mehrwertsteuersatz oder in den 7-prozentigen, dass das endlich einmal bereinigt werden muss, das wissen wir und daran arbeiten wir auch seit Jahren. Das ist nicht ganz einfach. Jetzt geht es darum, dass wir die Spielräume nutzen, die die europäische Ebene uns gegeben hat. Die EU-Finanzminister, inklusiv dem deutschen Finanzminister von der SPD, Steinbrück, haben beschlossen, dass für die Gastronomie niedrigere Mehrwertsteuern möglich sind. Wir verlangen nur, dass das, was der deutsche Finanzminister auf europäischer Ebene mit seinen ganzen anderen 26 Kollegen in allen anderen Ländern ermöglicht hat, dass er das auch diesem deutschen Wirtschaftszweig zubilligt.
Die nächste Frage, warum nicht andere Bereiche? Wir prüfen das natürlich auch für andere Wirtschaftsbereiche, wo es gerechtfertigt ist. Das berühmte Beispiel: Babynahrung bei 19 Prozent, Tierfutter bei 7 Prozent, und - was uns ganz besonders am Herzen liegt - die Frage des dienstleistungsintensiven Handwerks. Da sind wir selbstverständlich dran, aber es muss alles ein in sich schlüssiges Gesamtpaket werden, und das ist nicht ganz leicht.
Roth: Die CSU macht sich aber auch angreifbar, denn Sie verzichten ja mit Ihrem Konzept komplett auf die Gegenfinanzierung.
Ramsauer: Da muss man wissen, wenn man hier lockert, bekommt man genau so schnell auch eine Gegenfinanzierung, weil man Wirtschaft wieder beflügelt. Aber dennoch mag unter dem Strich eine Steuermindereinnahme bleiben, und hier haben wir hier auch eine klare Antwort, und die heißt: Wenn wir nach dieser Krise wieder in eine Wachstumsphase hinein kommen und die Steuerquellen wieder stärker sprudeln, wenn wir zusätzliche Steuereinnahmen haben, dann wollen wir diese dreigeteilt verwenden, a) zu weiteren Steuerentlastungen, die es zu finanzieren gilt, für zweitens Schuldentilgung und drittens für konjunkturelle Erfordernisse, ich sage vor allen Dingen zusätzliche Investitionen. Wir können hier keine bestimmten Datums nennen, das geht nicht, aber das ist für die nächste Legislaturperiode von der Grundstruktur her unser Ziel.
Roth: Herr Ramsauer, hier in Banz wurde auch das Europawahlprogramm verabschiedet. Die Botschaft ist, die CSU will Europa demokratisieren. Die CSU will Volksentscheide zu wichtigen europäischen Fragen, zum Beispiel zum EU-Beitritt der Türkei. Ihre Schwesterpartei wird da wenig begeistert sein.
Ramsauer: Wir sind auch von manchem nicht begeistert, was aus der CDU kommt. Es geht uns vor allem darum: Wie bringen wir unseren Bürgerinnen und Bürgern Europa näher. Wir geben durch immer wiederkehrende politische Entscheidungen auf europäischer Ebene nationale Souveränitätsrechte auf die europäische Ebene in einer Weise ab, dass wir sie nicht zurückholen können, es sei denn, alle 27 Staaten würden wieder übereinstimmen. Wenn man das aus der Hand gibt, dann soll man das auch zum Gegenstand eines Volksentscheides machen, denn was sozusagen weg ist aus der eigenen Entscheidungshoheit, ist dann auf Dauer entfleucht auf die europäische Ebene.
Das ist das eine, und das andere die Frage der Beitritte, wie sich Europa gebietsmäßig verändert. Die deutsche Verfassung, das deutsche Grundgesetz sieht ja immer schon die Möglichkeit von Volksentscheiden vor, dann nämlich, wenn sich der Zuschnitt des Bundesgebietes hinsichtlich der Ländergrenzen ändert. Und das kann man ohne weiteres inhaltlich übertragen auf Europa. Wenn sich der Gebietszuschnitt Europas ändert, etwa durch einen Beitritt eines großen Landes wie die Türkei, was in weiter Ferne nicht einmal so der Fall sein wird, dann halten wir es parallel zu dem, was das deutsche Grundgesetz auch vorsieht für gerechtfertigt, eine solche Frage auch zum Gegenstand eines Volksentscheides zu machen.
Roth: Herr Ramsauer, Richtung Bundestagswahl die Frage, was trauen Sie sich denn zu? 2005 holte Ihre Partei knapp 50 Prozent der Stimmen. Orientieren Sie sich an diesem Wert oder müssen Sie sich nicht eher mit 43,4 Prozent - das war das Ergebnis bei der bayerischen Landtagswahl im vergangenen Herbst - zufrieden geben?
Ramsauer: Das Ergebnis der bayerischen Landtagswahl im letzten September war ja in der Tat mehr als ernüchternd. Ich bin ausgesprochen zuversichtlich, denn wir haben eine Fülle von Konsequenzen gezogen. Es hat in der Zeit, in der ich politisch tätig bin, noch nie eine derartig gründliche Wahlanalyse gegeben und noch nie ein so gründliches Konsequenzenziehen. Wir haben in der bayerischen Landespolitik, in der Parteipolitik, aber auch auf Bundesebene, neue Akzente gesetzt, was uns manchmal, ich muss es noch mal sagen, als Krawall ausgelegt wird. Aber damit können wir gut leben. Wir werden unsere Prozentzahl wieder deutlich Richtung 50 Prozent raufschieben.
Roth: Das Jahr 2009 ist ein Schicksalsjahr für die CSU, auch für Ihren neuen Parteivorsitzenden Horst Seehofer. Sollte der Fall doch eintreten, die Europawahl geht schief, die CSU fällt aus dem Europäischen Parlament raus, auch die Bundestagswahl geht schief - gibt es eine Diskussion um Horst Seehofer?
Ramsauer: Es gibt weder eine Diskussion um Wahlniederlagen noch irgendeine Diskussion um irgendwelche Personen. Unsere Partei hat sich gefestigt unter der Führung von Horst Seehofer. Wir arbeiten hart an einer vernünftigen Politik für Bayern, für Deutschland. Und wenn wir das ordentlich tun, dann haben wir überhaupt keine Bedenken.
Roth: Das heißt, Ende des Jahres wird der bayerische Ministerpräsident und Vorsitzende der CSU heißen?
Ramsauer: Genau so, wie er jetzt heißt.
Roth: Herr Ramsauer, ich danke Ihnen für das Gespräch.
Ramsauer: Gerne.
Peter Ramsauer: Diese 76 Prozent oder wie viele auch immer haben eine geradezu messianische Heilserwartung an diesen Präsidenten. Trotz allem Verständnis dafür habe ich seit Obamas Auftritt in Berlin an der Siegessäule immer vor der politischen Realität gewarnt. Obama wird als amerikanischer Präsident in allen Fragen der internationalen Politik zuallererst amerikanische Interessen verfolgen, nicht europäische Interessen, nicht deutsche Interessen. Und er wird, das erwarten viele sicher nicht, er wird in vielen Fragen höchste zusätzliche Erwartungen an Europa und gerade an Deutschland knüpfen. Er hat ja jetzt schon mehr oder minder klargemacht, dass er sich wesentlich mehr deutsche Soldaten nach Afghanistan wünscht. Und wenn das alles einmal deutlicher wird, dann werden aus diesen 76 Prozent schnell, und zwar sehr schnell, viel, viel weniger werden.
Roth: Krisenbewältigung im Jahr einer Bundestagswahl kann sehr teuer werden. Ich nenne als Beispiel die Abwrackprämie. Nächste Woche wird das Bundeskabinett entscheiden. Was passiert mit der Abwrackprämie ab Juni?
Ramsauer: Ich rate dem Bundeskabinett, der Bundesregierung sehr dazu, keine Entscheidung in dieser Frage zu treffen, ohne sich vorher mit den Koalitionsfraktionen am besten ins Einvernehmen zu setzen. Die Abwrackprämie hat in den letzten Wochen und Monaten ja durchaus eine erstaunliche Wirkung entfaltet, eine stabilisierende Wirkung für die gesamte deutsche Automobilwirtschaft, den ganzen Zuliefererbereich, auch wenn natürlich auch ausländische Hersteller begünstigt sind. Aber diese ganzen ausländischen Hersteller haben wieder Teile von deutschen Zulieferern drin, das ist ja alles eng verwoben. Und wenn sich dieses Instrument in dieser Weise bewährt, dann sollte man es nicht unnötig einfach fallen lassen.
Roth: Also Sie bleiben bei den 2500 Euro?
Ramsauer: Es geistert hier seit einigen Tagen die Idee herum, abzuschmelzen oder zu halbieren. In allen entscheidenden Gremien, in denen der Koalitionspartner CSU beteiligt ist, wurde so etwas nie diskutiert.
Wir sind ja davon ausgegangen, dass das Volumen, was wir ursprünglich bereitgestellt haben, nämlich 1,5 Milliarden Euro, bis Jahresende vielleicht reichen würde. Die 600.000 Fahrzeuge sind viel, viel schneller erreicht worden. So schnell haben wir nicht gerechnet, dass es geht. Deswegen werden wir in der Frist Ende des Jahres, die wir gesetzlich festgelegt haben sozusagen, noch mal drauf legen.
Roth: Herr Ramsauer, wir sitzen im Kloster Banz beisammen, wo sich ja der Parteivorstand der CSU zu einer zweitägigen Klausurtagung traf - auf der Suche nach thematischer Inspiration. Auf der Tagesordnung: Gesundheitspolitik, Steuerkonzept, Europawahlprogramm. Doch zur allgemeinen Überraschung: Die CSU war nicht auf Krawall gebürstet. Wird es denn mit Ihrer Partei jetzt langweilig werden?
Ramsauer: Ich glaube, das Wort "Inspiration" ist gar nicht so schlecht, denn gerade in einer Klausurtagung soll man ja über das hinausblicken, was die unmittelbare Tagespolitik einem auferlegt. Wir arbeiten sachorientiert, wir arbeiten zielorientiert, wir arbeiten nicht an der vorsätzlichen Demontage des politischen Gegners. Ich weiß ganz genau, was die Bevölkerung von uns erwartet: Garantiert nicht Krawall, sondern zielorientierte Arbeit, obwohl natürlich streitige Auseinandersetzungen nicht ausbleiben können.
Roth: Weshalb in Berlin Ihre Koalitionspartner bereits genervt reagieren, wenn der bayerische Löwe mal wieder lautstark vernehmlich brüllt - Krawallmacher, Quertreiber, Querulant muss sich ja Ihr Parteivorsitzender Horst Seehofer bereits nennen lassen. Die CSU kann doch sehr anstrengend sein.
Ramsauer: Sie muss auch sehr anstrengend sein, denn wir haben die Werte und die Erfordernisse bürgerlicher Politik schlicht und einfach zu wahren, und zwar nicht nur für Bayern und für die bayerische Bevölkerung, sondern auch für das bürgerliche Lager weit über Bayern hinaus.
Ich möchte in dem Zusammenhang einen Vorwurf aufgreifen, der in den letzten Jahren, in den Jahren der Großen Koalition, immer stärker an uns gerichtet worden ist, nämlich dass durch das Kompromisserfordernis in der Großen Koalition die deutsche Regierungspolitik mehr und mehr in einem Kompromiss-Mischmasch untergeht. Da ist es gerade die Rolle der CSU, weil - sie kann es am ehesten tun wegen ihrer Eigenständigkeit aus Bayern heraus - innerhalb dieses Kompromiss-Mischmasch auch immer wieder klare Linien und Kanten vorzugeben und an ihnen entlang zu entscheiden und an diesen Kanten entlang natürlich zu streiten, wenn es erforderlich ist. Und wenn wir das anders gemacht hätten, hätten wir viele Erfolge für die CSU, für die Union und insgesamt für das bürgerliche Lager in Deutschland niemals erreicht.
Roth: Aber ein Eindruck lässt sich doch nicht wegwischen, der Eindruck nämlich, dass die CSU für unpopuläre Entscheidungen in der Großen Koalition nicht in Mithaftung genommen werden will. Nehmen wir mal als Beispiel ein aktuelles Thema von Banz, die Gesundheitspolitik.
Ramsauer: Das ist richtig. Deshalb habe ich ja auch vor Eingehen der Großen Koalition vor dreieinhalb Jahren vor diesen Risiken gewarnt. Hier gilt auch ein Stück weit das Wort von "mitgefangen, mitgehangen". Dann muss man natürlich auch da und dort auch kompromissfähig sein. Und Kompromisse sind immer schmerzhaft. Das Beispiel Gesundheitspolitik, das Sie erwähnen, ist ein gutes Beispiel dafür. Wir haben nach, man kann sagen, jahrelangen intensiven Verhandlungsprozess unter gewissen Voraussetzungen zugestimmt. Und diese Bedingungen sind jetzt nicht in Gänze eingetreten. Schmerzhaft vor allem Dingen für viele Leistungserbringer im Medizinbereich in Bayern. Und dass sich das ändert, dass dies korrigiert wird, dafür streiten wir.
Roth: Man hatte beim Gesundheitsfonds einen großen Knall eigentlich erwartet. Die Drohungen des bayerischen Gesundheitsminister Markus Söder hörten sich jedenfalls so an. Es scheint so zu sein, dass Sie jetzt zurückrudern. Sie fordern jetzt Korrekturen innerhalb des bestehenden Systems. Scheuen Sie denn den Konflikt? Mit der CDU beispielsweise?
Ramsauer: Einen großen Vorteil hat dieser Fonds auf alle Fälle erreicht. Nämlich, dass er Kostensteigerungen im Gesundheitswesen, die strukturell angelegt sind und die sich auch nicht beseitigen lassen, die ganz einfach auch eine Folge dessen sind, dass die Gesellschaft immer älter wird und immer mehr Krankheiten heilbar sind - dass wir diese steigenden Kosten alle abkoppeln wollten von den Lohnnebenkosten, von den Arbeitskosten. Das ist gelungen.
Ein großer Nachteil ist indes aber, dass in einem größeren Maße, wie zunächst von der Bundesgesundheitsministerin behauptet, Mittel - Geld - abfließt aus Bayern in andere Länder. Und darum kann ich nur sagen: So war das nicht ausgemacht, hier muss die SPD-Gesundheitsministerin ihre Aufgaben machen. Das haben die Leistungserbringer im Gesundheitswesen auch verstanden, sie deuten alle mit dem Finger auf die Schuldige, und die heißt Ulla Schmidt.
Roth: Bis zur Sommerpause will die CSU spätestens Lösungen sehen, also sie will eine Korrektur innerhalb des Systems. Was erwarten Sie denn von Ulla Schmidt?
Ramsauer: Man kann es ganz einfach sagen: Wir erwarten, dass der Gesundheitsfonds und vor allen Dingen die Honorarordnung, die neue Honorarordnung so funktioniert, wie die Gesundheitsministerin dies versprochen hat. Wir nehmen es unter keinen Umständen hin, dass gewisse Ärztegruppen, vor allen Dingen Facharztgruppen, im Einkommen deutlich schlechter gestellt werden. Das kann so nicht bleiben, das war nicht Gegenstand der Gesundheitsreform. Man muss ja auch sehen, dass wir über drei Milliarden Euro zusätzlich in die Vergütung der Ärztetätigkeit hineingepumpt haben, da muss auch bei den Ärzten mehr ankommen an Vergütung. In diesen Tagen und Wochen laufen fieberhafte Gespräche, um dieses Defizit des neuen Systems zu reparieren.
Roth: Wenn man das Defizit nicht reparieren kann oder reparieren will bis zur Sommerpause, was passiert dann?
Ramsauer: Dann müssen wir auf Sicht fahren und prüfen, welche Operationen, welche Einschnitte - größere oder kleinere - chirurgischer oder politischer Art erforderlich sind.
Roth: Sie behaupten, viele außerhalb von Bayern würden die CDU nur deshalb wählen, weil sie eben wissen, dass es die CSU gibt. Man hörte auch mahnende Worte von Ihrem Ehrenvorsitzenden Edmund Stoiber, eben an die Adresse der CDU. Er warnte die Schwesterpartei davor, sie dürfe die konservativen Stammwähler nicht vernachlässigen. Fürchten Sie denn so sehr um das konservative Profil der Union?
Ramsauer: Das konservative Profil ist eine jener politischen Dimensionen, die unter der Großen Koalition ganz besonders gelitten haben. Familienpolitik: Es deckt sich nicht mit dem konservativen Profil der CSU, im Grunde genommen auch der CDU, dass junge Väter und Mütter nur dann gesellschaftlich etwas wert sind, wenn beide kurz nach der Geburt eines Kindes wieder im Arbeitsprozess sind. Ich verstehe eines immer noch nicht: Dass die Pflege alter Familienmitglieder, die Pflege, für die man auch zuhause bleibt, eine hohe gesellschaftliche Wertschöpfung genießt; dass aber umgekehrt, das Kümmern um ein kleines Kind in den ersten Lebensjahren sozusagen etwas ist, was dann, wenn man das auch noch staatlich honoriert, als Herdprämie verunglimpft wird. Oder wenn man in solche Fällen sozusagen in die gesellschaftliche Schmuddelecke gestellt wird.
Roth: Ihre Kritik trifft doch vor allem die CDU, ihre Schwesterpartei. Hat die CDU in der Großen Koalition das konservative Profil verloren oder vernachlässigt.
Ramsauer: Ich sage ganz unumwunden, dass wir die CDU an ihren konservativen Auftrag und ihren konservativen Anspruch nicht ganz selten erinnern müssen. Ich weiß sehr wohl, dass innerhalb der CDU als Partei, aber auch innerhalb des CDU-Teils unserer gemeinsamen Bundestagsfraktion sehr viele CSU-ähnliche, um nicht zu sagen CSU-identische Milieus sind, und diese rufen uns - ich sage das jetzt in Anführungszeichen - uns von der CSU "oft zur Hilfe", weil sie wissen: Die CSU kann wegen ihrer Unabhängigkeit viele politische Inhalte wesentlich nachhaltiger - und ich sage jetzt auch ganz bewusst - eigensinniger vertreten, als dies innerhalb der CDU der Fall ist.
Wir haben es uns immer zum Maßstab gemacht, gerade auf die Stammwähler zu achten. Auf die kirchlich Orientierten, religiös orientieren Wähler. Auf den Bereich der Landwirtschaft. Auf alles was sich um Familien rangt. Auf Arbeitnehmerinteressen. Rentner nicht zu vergessen, die ältere Generation. Wir wissen aber, und das hat sich ja im letzten Jahr gezeigt, dass das immer schwieriger wird, denn seit dem letzten Jahr gilt die Formel "50 plus X" nicht mehr. Die Meinungsforscher haben uns gesagt seit Jahren -: Die Formel hieße eben schon lange nicht mehr - 50 plus X -, sondern "30 plus, 15 oder 20 plus X". Das heißt, der Kampf um den Kern eigener Stammwähler wird immer schwieriger.
Roth: Der ARD-Deutschlandtrend, der die Union im Augenblick - wäre heute Bundestagswahl - bei 34 Prozent der Stimmen sieht, der spiegelt eigentlich die augenblickliche Situation wieder. Es sind zwar zwei Prozent mehr als im Vormonat, aber zufrieden können Sie noch lange nicht sein.
Ramsauer: Hier haben wir 34 Prozent, in anderen Umfragen 37. Das kann uns alles nicht zufrieden stellen, das ist vollkommen klar. Wir müssen hier noch deutlich zulegen, um das richtige Polster für die Bundestagswahl zu haben. Aber genauso wichtig ist der Blick auf die Tatsache, dass zusammen mit der FDP bei allen Umfragen, die wir jetzt haben, eine bürgerliche Mehrheit im deutschen Parlament zustande kommt. Die Stärke der FDP ist allerdings für die FDP auch keine strukturell ganz feste Stärke. Sie hat zugelegt, weil sie in jetzt elf Jahren - seit 1998 Opposition - natürlich auch dem Volk immer nach dem Mund reden konnte. Wenn die FDP in Regierungsverantwortung tritt, wird dieser schöne Schein schnell nachlassen und damit auch die Werte.
Roth: Würde die FDP für Sie ein ähnlich anstrengender Regierungspartner werden, wenn es reicht bei der Bundestagswahl, wie die SPD jetzt?
Ramsauer: Das ist eine ganz, ganz wichtige Frage. Diejenigen Kollegen, die zu Recht - ich zähle mich ja da auch dazu - denen die Große Koalition Unterkante Oberlippe sozusagen steht, und die sich in eine Koalition mit der FDP hineinsehnen, denen sage ich aber auch immer unumwunden: "Einfach wird das mit der FDP natürlich auch nicht", denn wo FDP überall drauf steht, ist noch lange keine bürgerliche Politik drinnen. Dafür gibt es eine Reihe von Beispielen, etwa das Thema Spätabtreibung. Oder der Bereich Forschung an embryonalen Stammzellen. Die FDP verfolgt hier ein liberalistisches Weltbild, das sich nicht mit dem unsrigen deckt. Zuwanderung ist eine weitere solche Frage. Und so könnte man viele Dinge anführen, wo wir, wenn es zu Koalitionsverhandlungen mit der FDP kommt, auch richtig harte Auseinandersetzungen haben werden.
Roth: CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer im "Interview der Woche" des Deutschlandfunks. Herr Ramsauer, hinter den dicken Klostermauern ging es ja auch darum, die "CSU programmatisch zu festigen" - Zitat Ihres Parteivorsitzenden Horst Seehofer. Verabschiedet wurde mit Blick eben auf die Bundestagswahl ein Konzept zur Steuerpolitik. Sie, Herr Ramsauer, sind der Spitzenkandidat der CSU für die Bundestagswahl. Werden Sie denn im Wahlkampf die Diskussion zuspitzen auf die Frage "Steuern rauf - Steuern runter"?
Ramsauer: Genau so werden wir das zuspitzen. Es geht in der steuerpolitischen Auseinandersetzung auch um zwei Denkwelten, die hier zwischen der SPD einerseits und der Union andererseits aufeinander prallen. Die SPD geht davon aus, dass alles Steuergeld erst einmal Eigentum des Staates ist. Wir sehen das ganz genau umgekehrt. Frank-Walter Steinmeier hat ja kürzlich, in seiner Rolle als Kanzlerkandidat der SPD, den interessanten Satz verlauten lassen, es sei im Augenblick unverantwortlich, dem Staat durch Steuersenkungen Geld wegzunehmen. Das muss man sich auf der Zunge erst richtig zergehen lassen. Alles Steuergeld ist erst einmal Eigentum des Steuerzahlers, der dies erleistet und erwirtschaftet hat. Die Frage lautet also, wie viel können die öffentlichen Hände, kann der Staat, dem Steuerzahler von dem Erwirtschafteten wegnehmen. Also konträre Ansichten zwischen SPD einerseits und Union andererseits.
Wir wollen, dass möglichst viel vom erarbeiteten Netto in der Hand der Bürger bleibt. Hier haben wir ganz klare Schritte beschlossen, die wir uns nach der Bundestagswahl vornehmen. Das ist eine weitere Korrektur der Einkommens- beziehungsweise Lohnsteuer. Das ist eine Korrektur dessen was bei der Unternehmenssteuerreform dank SPD schief gelaufen ist. Das sind dringend erforderliche Korrekturen bei der Erbschaftssteuer. Und das sind Korrekturen, Reformen im Bereich des gesamten Umsatzsteuerwesens.
Roth: Sie haben im Fokus die Familien, die Arbeitnehmer und die mittelständischen Unternehmer.
Ramsauer: Aber auch Großunternehmen, die beispielsweise fürchterlich unter dem Unsinn der Zinsschranke leiden.
Roth: Was bieten Sie denen denn an? Was wird drin stehen? Beispielsweise für Familien mit Kindern?
Ramsauer: Wir haben uns darauf verständigt, dass wir den Kinderfreibetrag deutlich erhöhen wollen. Kinder sollen in Zukunft den gleichen Freibetrag wie Erwachsene haben. Wir wollen auch im Bereich der Eigentumsbildung von Familien, Wohneigentum, Familien mit Kindern deutlich besser stellen im Hinblick auf die Förderung, auch wenn das nicht die alte Eigenheimzulage wird, aber es wird Eigenheimförderung familienbezogen sein.
Roth: Diese Punkte müssen im Programm stehen, sonst gibt es kein gemeinsames Wahlprogramm? Ist das eine Lehre, vielleicht sogar Revanche aus der Pendlerpauschale, deren Wiedereinführung Ihnen die CDU ja vor der bayerischen Landtagswahl verweigert hat?
Ramsauer: Revanche, das kann man so nicht sagen. Die CDU wird zunächst einmal für sich genommen ein Vorwahl-Programm machen. Wir formulieren das und dann wird man das zusammenführen. Das wird zu 90 Prozent eine große gemeinsame Schnittmenge ergeben.
Roth: Und die restlichen zehn Prozent?
Ramsauer: Und die restlichen zehn Prozent, die werden voneinander abweichen. Da muss man jetzt noch nicht drüber reden, welche Punkte das sind.
Roth: Schade.
Ramsauer: Ja, aber man kann einige Dinge natürlich sich da schon vorstellen. Beispielsweise im Bereich der Mehrwertsteuerreform werden wir einiges deutlich machen. Da zieht die CDU noch nicht, aber trotzdem: Wir werden dafür werben, dass wir auch alle unserer CSU-Punkte bei der CDU unterbringen.
Roth: Noch im Mai will ja Bayern eine Bundesratsinitiative auf den Weg bringen. Da geht es um einen reduzierten Mehrwertsteuersatz für das Hotel- und Gaststättengewerbe, noch vor der Bundestagswahl. Herr Ramsauer, ist das denn klug? Sie provozieren ja damit die Frage, was ist mit dem Handwerk, was ist mit Katzenfutter beispielsweise, was ist mit Babynahrung?
Ramsauer: Also, wir werden keine Katzenfutterdebatte führen. Dass die Reform der Umsatzsteuersystematik, die Einteilung von Waren und Dienstleistungsgruppen in den 19-prozentigen Mehrwertsteuersatz oder in den 7-prozentigen, dass das endlich einmal bereinigt werden muss, das wissen wir und daran arbeiten wir auch seit Jahren. Das ist nicht ganz einfach. Jetzt geht es darum, dass wir die Spielräume nutzen, die die europäische Ebene uns gegeben hat. Die EU-Finanzminister, inklusiv dem deutschen Finanzminister von der SPD, Steinbrück, haben beschlossen, dass für die Gastronomie niedrigere Mehrwertsteuern möglich sind. Wir verlangen nur, dass das, was der deutsche Finanzminister auf europäischer Ebene mit seinen ganzen anderen 26 Kollegen in allen anderen Ländern ermöglicht hat, dass er das auch diesem deutschen Wirtschaftszweig zubilligt.
Die nächste Frage, warum nicht andere Bereiche? Wir prüfen das natürlich auch für andere Wirtschaftsbereiche, wo es gerechtfertigt ist. Das berühmte Beispiel: Babynahrung bei 19 Prozent, Tierfutter bei 7 Prozent, und - was uns ganz besonders am Herzen liegt - die Frage des dienstleistungsintensiven Handwerks. Da sind wir selbstverständlich dran, aber es muss alles ein in sich schlüssiges Gesamtpaket werden, und das ist nicht ganz leicht.
Roth: Die CSU macht sich aber auch angreifbar, denn Sie verzichten ja mit Ihrem Konzept komplett auf die Gegenfinanzierung.
Ramsauer: Da muss man wissen, wenn man hier lockert, bekommt man genau so schnell auch eine Gegenfinanzierung, weil man Wirtschaft wieder beflügelt. Aber dennoch mag unter dem Strich eine Steuermindereinnahme bleiben, und hier haben wir hier auch eine klare Antwort, und die heißt: Wenn wir nach dieser Krise wieder in eine Wachstumsphase hinein kommen und die Steuerquellen wieder stärker sprudeln, wenn wir zusätzliche Steuereinnahmen haben, dann wollen wir diese dreigeteilt verwenden, a) zu weiteren Steuerentlastungen, die es zu finanzieren gilt, für zweitens Schuldentilgung und drittens für konjunkturelle Erfordernisse, ich sage vor allen Dingen zusätzliche Investitionen. Wir können hier keine bestimmten Datums nennen, das geht nicht, aber das ist für die nächste Legislaturperiode von der Grundstruktur her unser Ziel.
Roth: Herr Ramsauer, hier in Banz wurde auch das Europawahlprogramm verabschiedet. Die Botschaft ist, die CSU will Europa demokratisieren. Die CSU will Volksentscheide zu wichtigen europäischen Fragen, zum Beispiel zum EU-Beitritt der Türkei. Ihre Schwesterpartei wird da wenig begeistert sein.
Ramsauer: Wir sind auch von manchem nicht begeistert, was aus der CDU kommt. Es geht uns vor allem darum: Wie bringen wir unseren Bürgerinnen und Bürgern Europa näher. Wir geben durch immer wiederkehrende politische Entscheidungen auf europäischer Ebene nationale Souveränitätsrechte auf die europäische Ebene in einer Weise ab, dass wir sie nicht zurückholen können, es sei denn, alle 27 Staaten würden wieder übereinstimmen. Wenn man das aus der Hand gibt, dann soll man das auch zum Gegenstand eines Volksentscheides machen, denn was sozusagen weg ist aus der eigenen Entscheidungshoheit, ist dann auf Dauer entfleucht auf die europäische Ebene.
Das ist das eine, und das andere die Frage der Beitritte, wie sich Europa gebietsmäßig verändert. Die deutsche Verfassung, das deutsche Grundgesetz sieht ja immer schon die Möglichkeit von Volksentscheiden vor, dann nämlich, wenn sich der Zuschnitt des Bundesgebietes hinsichtlich der Ländergrenzen ändert. Und das kann man ohne weiteres inhaltlich übertragen auf Europa. Wenn sich der Gebietszuschnitt Europas ändert, etwa durch einen Beitritt eines großen Landes wie die Türkei, was in weiter Ferne nicht einmal so der Fall sein wird, dann halten wir es parallel zu dem, was das deutsche Grundgesetz auch vorsieht für gerechtfertigt, eine solche Frage auch zum Gegenstand eines Volksentscheides zu machen.
Roth: Herr Ramsauer, Richtung Bundestagswahl die Frage, was trauen Sie sich denn zu? 2005 holte Ihre Partei knapp 50 Prozent der Stimmen. Orientieren Sie sich an diesem Wert oder müssen Sie sich nicht eher mit 43,4 Prozent - das war das Ergebnis bei der bayerischen Landtagswahl im vergangenen Herbst - zufrieden geben?
Ramsauer: Das Ergebnis der bayerischen Landtagswahl im letzten September war ja in der Tat mehr als ernüchternd. Ich bin ausgesprochen zuversichtlich, denn wir haben eine Fülle von Konsequenzen gezogen. Es hat in der Zeit, in der ich politisch tätig bin, noch nie eine derartig gründliche Wahlanalyse gegeben und noch nie ein so gründliches Konsequenzenziehen. Wir haben in der bayerischen Landespolitik, in der Parteipolitik, aber auch auf Bundesebene, neue Akzente gesetzt, was uns manchmal, ich muss es noch mal sagen, als Krawall ausgelegt wird. Aber damit können wir gut leben. Wir werden unsere Prozentzahl wieder deutlich Richtung 50 Prozent raufschieben.
Roth: Das Jahr 2009 ist ein Schicksalsjahr für die CSU, auch für Ihren neuen Parteivorsitzenden Horst Seehofer. Sollte der Fall doch eintreten, die Europawahl geht schief, die CSU fällt aus dem Europäischen Parlament raus, auch die Bundestagswahl geht schief - gibt es eine Diskussion um Horst Seehofer?
Ramsauer: Es gibt weder eine Diskussion um Wahlniederlagen noch irgendeine Diskussion um irgendwelche Personen. Unsere Partei hat sich gefestigt unter der Führung von Horst Seehofer. Wir arbeiten hart an einer vernünftigen Politik für Bayern, für Deutschland. Und wenn wir das ordentlich tun, dann haben wir überhaupt keine Bedenken.
Roth: Das heißt, Ende des Jahres wird der bayerische Ministerpräsident und Vorsitzende der CSU heißen?
Ramsauer: Genau so, wie er jetzt heißt.
Roth: Herr Ramsauer, ich danke Ihnen für das Gespräch.
Ramsauer: Gerne.