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Ran an den Bauchspeck

Medizin. - Fettleibigkeit ist eins der großen medizinischen Probleme der entwickelten Länder. Falsche Ernährung und zu wenig Bewegung kommen zusammen mit verschiedenen physiologischen, auch mit genetischen Faktoren. In Paris findet zurzeit der 1. Weltkongress zur Fettleibigkeit statt, auf dem Experten das komplexe Bild dieser Erkrankung erörtern. Der Wissenschaftsjournalist Martin Winkelheide berichtet darüber im Gespräch mit Gerd Pasch.

    Pasch: Herr Winkelheide, was hat denn die Grundlagenforschung inzwischen zu den Ursachen der Fettleibigkeit herausgefunden?

    Winkelheide: Was die Forschung weiß, ist, dass wir eigentlich für moderne Zeiten nicht ausgelegt sind. Der Mensch ist so gebaut, dass er viel laufen muss, um sein Futter zu finden, sein Essen zu finden und dass er sich sehr stark dafür anstrengen muss und dass es Essen eigentlich nicht immer geben soll. Heute leben wir aber in Zeiten, wo es eben überall zu Essen gibt, und wir müssen uns sehr wenig bewegen. Das ist das grundsätzliche Problem, mit dem man kämpfen muss, und vor allen Dingen, wie man dann gegensteuert, wenn Menschen eben zu dick werden. Hier auf der Konferenz ging es aber auch um Risikofaktoren. Und ein Risikofaktor, der von der Grundlagenforschung so langsam ins Visier genommen wird, ist, dass man gesehen hat, dass auch der Schlaf, oder genauer gesagt, der Schlafmangel etwas mit dem Risiko zu tun hat, dick zu werden. Denn auf der einen Seite ist es so, dass die Zahl der Übergewichtigen in den USA zum Beispiel sehr stark angestiegen ist: Über 30 Prozent der Menschen dort sind stark übergewichtig, 60 Prozent sind über dem Normalgewicht. Auf der anderen Seite hat die Zeit, die die Menschen sich zum Schlafen Zeit genommen haben, deutlich abgenommen: Um 1900 haben die Menschen in den USA noch um die zehn Stunden geschlafen, heute sind es noch 7,5 maximal. Das ist, kann man sagen, jetzt eine Zufallsbeobachtung. Aber die Forscher haben genauer hingeguckt und sie haben gesehen, dass Schlafentzug eben nicht nur müde macht, während des Tages, sondern auch den Stoffwechsel ordentlich durcheinander wirbelt. Das heißt, plötzlich werden Hormone ausgeschüttet, die dem Körper sagen, iss mehr, iss noch mehr, du hast Hunger, und auf der anderen Seite fallen Bremsen weg. Und was sie noch gesehen haben, wenn unsere innere Uhr sozusagen durcheinander gewirbelt wird, dann passiert das nicht nur im Gehirn, wo man ja weiß, dass die zentrale Steuerung für die 24-Stunden-Rhythmen liegen, sondern auch in den Geweben selbst. Das heißt auch, in den Verdauungsorganen. Und da läuft so einiges schief. Was genau, das versucht man jetzt herauszubekommen.

    Pasch: Innere Uhr, das klingt erst mal nicht nach falscher Ernährung!

    Winkelheide: Die innere Uhr, das klingt erst mal nicht nach falscher Ernährung. Das Problem ist, wenn der Körper gesagt bekommt, iss mehr, diese Hormone, die den Appetit ankurbeln, dann wird er mehr essen, und wenn er weniger schläft, hat er ja auch mehr Zeit zum Essen, das ist das große Problem, und er bewegt sich nicht automatisch mehr.

    Pasch: Welche Rolle spielen denn genetische Faktoren?

    Winkelheide: Man weiß, dass es die Störungen, die auf wenige genetische Veränderungen zurückzuführen sind, sehr, sehr selten sind. Dann wäre es ja relativ einfach einzugreifen. Man weiß aber, dass an dem Problem Übergewicht wahrscheinlich mehrere Dutzend, einige sagen, es könnte je nach Typ von Übergewicht bis zu 600 Genvarianten sein, das müssen noch nicht einmal direkt krankmachende Gene sein. Das ist also ein komplexes Zusammenwirken, das man auch nicht von heute auf morgen erforscht bekommt.

    Pasch: Wie kann Fettleibigkeit denn therapiert werden? Ist die Schlankheitspille ein Mittel?

    Winkelheide: Also die Experten hier in Paris sagen, die Schlankheitspille ist ein Mittel, aber man sollte sie nicht überschätzen. Es gibt ja, na sagen wir, drei Hauptgruppen von Wirkstoffen, die versuchen, dem Übergewicht entgegenzuwirken. Das eine ist, dass eben die Medikamente dem Gehirn vorgaukeln, der Körper sei schon satt, auf der anderen Seite gibt es Mittel, die die Fettaufnahme in den Körper reduzieren. Und dann gibt es noch eine dritte Klasse, und die ist sehr neu: Man weiß ja, dass Cannabis den Appetit anregt. Deshalb haben sich Forscher in den letzten Jahren überlegt, wenn man sich die Struktur in den Zellen, an die das Cannabis, das THC, der Wirkstoff des Cannabis, herangeht, blockiert, dann müsste das eben einen Effekt haben und den Appetit hemmen. Was man gesehen hat, bei allen drei Substanzklassen, ist, dass die Medikamente nur wirken, wenn man sie länger nimmt, dass sie nur einen beschränkten Effekt haben, also, dass sie vier Kilo, zehn Kilo Maximum helfen abzunehmen, und dass sie aber auch alle Nebenwirkungen haben, das ist eben das Problem, dass man sie gleichzeitig auch alle länger nehmen muss. Und drittens, und das ist glaub ich das entscheidende, dass sie nicht unendlich lange wirksam sind und dass sie immer flankiert werden müssen mit Verhaltensänderungen. Das heißt, dann tatsächlich hinterher weniger essen und mehr bewegen, und das zeigt sich nun ganz deutlich, dass man mit der Pille allein nicht weiter kommt, und dass sie nur ein Mittel sein kann, in einem großen komplizierten Behandlungskonzept.