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Rare Grooves und Vinyl

Soul, Funk und Jazz der 60er- und 70er-Jahre - am besten auf Vinyl-Singles und von unbekannten Bands - für diesen Sound lebt der Tramp-Records-Gründer Tobias Kirmayer. Reich macht ihn seine Leidenschaft nicht, aber glücklich.

Von Camilla Hildebrandt |
    Camilla Hildebrandt: Herr Kirmayer, Ihre Liebe für den Funk, den Soul, Hip-Hop haben Sie entdeckt, als Sie noch sehr jung waren - mit zwölf.; und es war der ältere Bruder, der Sie dahin gebracht hat. Warum hat der denn diese Musik gehört? In den 80ern - Sie sind 78 geboren - hat man doch andere Sachen gehört?

    Tobias Kirmayer: Das ist eine gute Frage, ich weiß auch nicht, wie er dazu gekommen ist, das war sicher nicht der normale Musikgeschmack damals. Aber mein Bruder ist damals abgefahren auf diese noch sehr gute Hip-Hop-Szene – will ich mal behaupten -, wie Jungle Brothers, NWA. Und bei diesem guten Hip-Hop war es damals so, dass da viel Funk als Basis gedient hat- Sample-technisch wurde da sehr viel von James Brown benutzt, Cool and the Gang. Also, das ging dann Hand in Hand, wenn man diesen Hip-Hop gehört hat, dann war es klar, dass ihm das andere, also Soul, Funk auch gefällt. So war´s dann auch bei mir. Um 1990 rum hat es sich ergeben, dass mir die Musik sehr gefallen hat und ich mich vertieft mit dem Ganzen befasst habe.


    Hildebrandt: Vertieft vor allem auch über eine Radiosendung, und zwar auf Bayern 3 "Black Friday". Was war das?

    Kirmayer: Genau. Das war ne Sendung moderiert von Fritz Egner, jeden Freitag, schon mit Fokus auf klassische Sachen. Aber dann hat er auch ab und zu Rare Grooves eingespielt, damit bezeichnet man Musik von unbekannten Künstlern, die qualitativ nicht ganz optimal aufgenommen waren, das lag daran, dass das Equipment nicht das Beste war, aber das hatte auch sein eigenes Flair. Und die Rare Grooves, auf die bin ich voll abgefahren. Und da hat mir der Herr Egner sicher sehr weitergeholfen und war zusammen mit meinem Bruder sicher der ausschlaggebende Punkt.

    Hildebrandt: Rare Grooves, das muss man vielleicht noch ein wenig mehr erklären. Sie haben mal geschrieben, das waren vor allem lokale Bands in den USA, die nebenher aufgetreten sind und dann vielleicht nur ein oder zwei Singles herausgebracht haben.

    Kirmayer: Ja, genau, da haben sich die jungen College-Leute gedacht, wir machen mal eine Band, wir können alle ein Instrument spielen. Und dann kam es sogar dazu, dass sie eine Single aufgenommen haben, aber es ging nur darum, die auf Konzerten zu verschenken. Der Gedanke, dass man vielleicht mal einen Hit damit landet, war im Kopf dabei, aber das war nicht das primäre Ziel, die wollten Spaß haben. Und so sind diese Bands, so schnell wie sie entstanden sind eben auch wieder verschwunden. Und das sind die Sachen, die ein paar Leute weltweit - da gehöre auch ich dazu - suchen. Die Platten haben wir dann meistens schon, das ist allerdings auch sehr schwer, die zu finden. Das sind meist Kleinstauflagen gewesen, man spricht so von 500 bis 1000 Stück. Und da geht es jetzt darum, die Musiker ausfindig zu machen, sofern sie noch leben.

    Hildebrandt: Eine leidenschaftliche Arbeit, nehme ich an. So ist dann auch das Label entstanden. Sie haben mal gesagt, das war eher zufällig, denn Ihnen ist eine CD, bzw. eine Aufnahme in die Hände gefallen von den "Poets of Rythm".


    Kirmayer: Ich kannte die Band gut, weil ich sehr fanatisch auf diesen Sound war, und hab mich dann informiert, was es da so gab. Aktuell gab es damals eigentlich sehr Wenige, die diesen Sound gespielt haben, da waren die "Poets of Rythm" wirkliche Vorreiter. Und dann hat es sich ergeben, dass der Gitarrist – ich war mit dem dann sehr gut befreundet – dass der mal erwähnt hat, dass es noch sehr viele unveröffentlichte Aufnahmen von der Band gibt. Mir ging es letztendlich primär darum, die Musik zu veröffentlichen, damit sie die Leute hören. Und so hat das begonnen.

    Hildebrandt: Heute steckt aber hinter dieser Label-Arbeit eine ganze Ideologie. Denn zunächst geht es darum, diese Rare Grooves legal zu veröffentlichen, das ist viel Arbeit. Und die andere Sache ist: Es wird viel auf 7inch-Platten gepresst und nicht auf CD – auf CDs jetzt auch, wie ich gesehen habe - , aber das ist schon ein großer Teil der Ideologie.


    Kirmayer: Das liegt daran, dass im Original diese Musik im 7-inch-Single-Format erschienen ist. Früher in den 60ern, 70ern war das das Format, was die DJs als Promo-Bemusterung bekommen haben in den Staaten. Das war dann auch das Medium, wo letztendlich mal ein Hit entstanden ist. Da gibt es ja genügend Beispiele. Ich hab gehört von Carl Douglas – der Song "Kung Fu Fighting", der ist deswegen ein Nr. 1 Hit geworden, weil der Radio-DJ aus Versehen die B-Seite gespielt hat. Das war gar nicht vorgesehen, dass dieser Song der Hit werden sollte, sondern die andere Seite. Letztendlich waren die 7-inch das Medium, um einem Künstler mal eine Plattform zu geben, um im Radio gespielt zu werden. Eine LP-Produktion war viel zu teuer und aufwendig, man hat versucht, das vorab mit Singles zu machen. Und ich denke, darauf zielt die Szene jetzt auch ab, dass man die Liebe fürs Vinyl nicht verloren hat."

    Hildebrandt: Tramp bedeutet, -Lexikon -, Landstreicher. Was natürlich in Ihrem Fall nicht zutrifft. Sondern ich würde es eher als Nischen-Musik verstehen, oder eine Musik, die sich in keine Schublade pressen lässt.

    Kirmayer: Was sich bei Tramp durchzieht als roter Faden, auch wenn die Musikstile unterschiedlich sind, ist meine persönliche Liebe zu dem Sound und der Ästhetik der 60er-, 70er-Jahre. Dieser warme, analoge Sound ist mir sehr wichtig. Aber mein Spektrum ist schon etwas weiter, es kann Soul, Funk sein, ich mag auch mal Afro-Beat, Jazz, Latin, da schlägt einfach mein Herz für die Produktionsweise. Und ich fänd´s furchtbar schade, wenn das verloren geht. Denn der Sound, die Ästhetik von Soul und Funk und Jazz der Aufnahmen in den 60ern, 70ern ist für mich das Optimum, was man erreichen kann."

    Hildebrandt: Das ist auch der Grund, warum Sie mit Ihrem Label nicht nur auf alte Bands zurückgreifen, sondern auch lokale, aktuelle Bands unterstützen.

    Kirmayer: Ich bin nicht abgeneigt auch neue Bands zu veröffentlichen. Aber die müssen dann eben meinem Geschmack entsprechen, der sehr speziell ist (lachen). Und da gibt es jetzt nicht so viele. Aber ich hab mich da mal schlau gemacht und hab vor drei Jahren eine Compilation rausgebracht mit dem Namen "Contemporary Funk". Und da sind dann tatsächlich Bands drauf, die in den letzten fünf Jahren ihre Sachen rausgebracht haben. Das klingt sehr authentisch. Für jemanden, der einfach die CD einlegt, klingt es sehr James-Brown-stylig, aber das waren neue Bands, die sich dieser Ästhetik verschrieben haben, die Wert drauflegen, wie es klingt und nicht einfach nur einen Verstärker einstecken.
    Es gibt weltweit schon eine Szene, die gar nicht mehr so klein ist. Man kennt eben die "Sharon Jones und Band", die haben es nach Jahrzehnte langer Arbeit verdienterweise geschafft, dass sie mal einen größeren Zuspruch bekommen - auch bei den Konzerten. Die sind jetzt auch meist ausverkauft mit 2000 bis 3000 Leuten. Das ist super, ist aber eine Ausnahme. In Japan sind es die Jungs um "Osaka Monaurail", das ist eine Truppe, die sich sehr stark an dem James-Brown-Sound orientiert. In Australien gibt es "The Bamboos". England, das ist das Epizentrum kann man sagen, da gibt es sehr viele Bands, "New Mastersounds", "Quantic". Das sind jetzt alles Namen, die dem normalen Radiohörer nichts sagen. Aber wenn man sich dafür interessiert und ein bisschen Eigeninitiative mit einbringt, dann gibt es noch sehr viel zu entdecken.


    Hildebrandt: Wie sieht es überhaupt aus mit so kleinen Labels wie Ihrem, haben die Zukunft? Oder wird das immer mehr eine Arbeit von passionierten Leuten, die Sie es einer sind?

    Kirmayer: Ich denke schon, dass es weiter geht, auf alle Fälle. Mittlerweile ist man von den Stückzahlen her so weit unten, was eigentlich ein bisschen tragisch ist. Aber ich denke, dass sich das auch weiterhin verkaufen wird. Es gibt einfach die 500 bis 1000 Leute weltweit, die sich ab und zu mal so eine CD kaufen. Vielleicht wird es sogar noch exzessiver, dass noch mehr solche Spezial-Labels entstehen werden, weil die Leute angenervt sind, von dem Sound, den man immer hört. Aber es wird sicher weitergehen.

    Hildebrandt: Sie arbeiten außerdem seit Sie 18 sind als DJ und seit 2001 professionell überall auf der Welt. Da legen Sie auch nur Ihre Musik auf. Ist das sehr nachgefragt, oder ist das auch ein eher kleinerer Kreis?

    Kirmayer: Ne, das sind alles kleinere Läden mit 200 vielleicht 400 Leuten. Man muss einfach sagen: In dem Ganzen steckt nicht wirklich viel Geld mit drin. Das macht kein Club aus finanziellen oder wirtschaftlichen Gründen. Auch die Label-Leute, meine Kollegen und ich, wir machen das nicht, um da Geld zu verdienen. Das ist immer relativ knapp, und man wird dadurch nicht reich werden. Aber, das wollen wir auch gar nicht. Wir wollen unser Ding machen, den Sound verbreiten. Und da legen wir auch gerne mal in einem kleinen Club mit 200 Leuten auf. Und sehen dann aber, dass die Leute voll auf die Musik abfahren. Also, da sind mir die kleinen Clubs lieber, und ich glaube, ich spreche da auch für meine Kollegen.

    Hildebrandt: Als DJ kann man nicht viel verdienen, sagen Sie, mit dem Label auch nicht, von was leben Sie dann?

    Kirmayer: Ja, von der Freude an dem Ganzen natürlich. Ich denke, dass die Euphorie und die Liebe zur Musik so stark sind, dass uns das sekundär ist, was finanziell hängen bleibt. Es muss halt irgendwie reichen. Diese Singles, die damals gepresst wurden, oder auch Schallplatten, das ist wirklich heute schwer zu finden, und es wird immer schwieriger. Und da muss es Leute geben, die das aufrechterhalten, am Leben erhalten.