Donnerstag, 25. April 2024

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Rasant und göttlich

In LA gerät ein braver Stunt-Fahrer in ein blutiges Gemetzel, in Deutschland geht eine Fensterscheibe zu Bruch, durch die ein Apfel fliegt, aber die Zukunft heißt Heinrich Steinfest.

26.10.2007
    Der Tatort, nachdem die Spurensicherung schon da war
    Der Tatort, nachdem die Spurensicherung schon da war (Stock.XCHNG / Nate Nolting)
    ... aber wenig später beginnt eine Hetzjagd um den gesamten Planeten, bei der selbst die Götter nicht länger untätig zuschauen ...

    All das und vieles mehr, jetzt
    ... in der Krimikolumne.

    Nur echt mit dem Rezensenten.

    ... heute garantiert fast ohne Andrea Maria Schenkel.

    Unser Rezensent ist ganz aus dem Häuschen. Er hat ein Erweckungserlebnis gehabt ...
    Ich habe die Zukunft des Krimis gesehen ...

    Er hat Halluzinationen,

    Einfach gut zureden. Frag ihn, wie die Zukunft heißt

    ... und wie heißt sie?

    Sie heißt Heinrich ... Heinrich Steinfest.

    Er meint: Heinrich Steinfest, Die feine Nase der Lilli Steinbeck, als Tachenbuch-Originalausgabe erschienen bei Piper. 12 europäische Euro.

    12 Euro für die Zukunft des Krimis? Das ist günstig.

    ... und kein bisschen übertrieben.

    Das kann man von Steinfests Romanen allerdings nicht behaupten Deren Handlung als "kein bisschen übertrieben" zu bezeichnen, hieße stark zu untertreiben. Steinfest ist wild und wirr und übertreibt wo er nur kann.

    Wer an dem Gedanken Gefallen findet, ob man, wenn man eine Mücke erschlägt, die das eigene Blut geschluckt hat, ein klein wenig auch sich selbst erschlägt, der wird von diesem Buch erschlagen werden.

    Der Gedanke über die Selbsttötung qua Mückenerschlagung findet sich gleich am Anfang von "Die feine Nase der Lilli Steinbeck", den Rest des Buches geht es um noch größere Probleme.

    Es geht um Verschwörungen, die größer sind als diese schnöde Welt. Denn die Welt ist hier nur ein Spielball der Götter. Die Götter aber spielen um die und mit den Menschen. Steinfest ...

    ... so entblödet sich unser Rezensent nicht zu behaupten ...

    Steinfests neuer Roman ist göttlich.

    Irdisch an ihm ist nur seine Protagonistin: Lilli Steinbeck, die einem früheren Steinfest-Krimi entsprungen ist: zweifelsohne ein Mensch. Spezialistin für Entführungsfragen.

    Eine Spezialistin mit äußerst gepflegtem, fast perfektem Äußeren, das nur von einer extrem abstoßenden Nase konterkariert wird.

    Zum Inhalt!

    Ein Mann wird entführt.

    Lilli Steinbeck soll ihn finden.

    Toll

    Bald stellt sich aber heraus: Die Entführung ist nur Teil einer groß angelegten Wette zwischen weltumspannenden Prinzipien,. Diese Prinzipien könnten sein: Superreiche, Konzerne oder gar Götter.

    Eine rasante Verfolgungsjagd rund um die Welt beginnt. Irgendwie wichtig in diesem Zusammenhang: kleine Spielzeugfiguren und der ausgestorbene Riesenvogel Dronte, von dem ein Exemplar sich ausgestopft im Stuttgarter Naturkundemuseum befindet.

    Immer an der Seite von Lilli Steinbeck: der griechische Privatdetektiv und Kettenraucher Kallimachos, der so unförmig und fett ist, dass er sich kaum bewegen kann, dafür aber völlig unverletzlich ist. Er übersteht jeden Kugelhagel. Eine Art Gott eben.

    Klingt auch nach einer Art Schmarren.

    So etwas muss man mögen, um an Steinfest Freude zu finden. So wie unser Rezensent.
    Steinfest ist Gott, oder Gangster oder beides!

    Urteilt unser Rezensent über "Die feine Nase der Lilli Steinbeck", erschienen als Taschenbuch-Originalausgabe bei Piper. Literaturkritisch hätte es unser Rezensent - wenn er noch bei Sinnen wäre - vielleicht so ausgedrückt:

    Steinfests Romane bieten eine höchst amüsante und gleichzeitig höchst intelligente Kreuzung aus dem 60ies-geschwängerten Agententrash einer Modesty Blaise und einem vor lauter absurder Details explodierenden Großroman vom Format eines Thomas Pynchon.

    Wow!

    Das nächste Buch ist ganz anders.

    Aber auch in ihm kommt Gott vor, allerdings nur in einer einzigen Zeile.

    Dort heißt es angesichts der Landschaft von Arizona auf Seite 127, dort sähe es aus, Zitat,

    "als hätte Gott sich hingehockt , gefurzt und ein Streichholz drangehalten."

    Ein schöner Vergleich, ein wunderschönes Buch. Furztrocken.

    Es heißt schlicht "Driver", also "Fahrer", ist im Münchner Verlag Liebeskind erschienen, und ist - abgesehen von Steinfests Geniestück - der faszinierendste Krimi des Herbstes.

    Ans Herz gelegt werden kann er gerade auch all den Andrea Maria Schenkel Lesern, die sich nach schnörkellos, knappem Erzählen emotional dichter Geschichten sehnen.

    Drivers Name ist sein Beruf. Er ist Fahrer und nichts als der Fahrer.

    "Ich fahre. Das ist alles, was ich mache. Du sagst mir, wo es losgeht, wohin wir fahren und wo es anschließend hingeht. Du bestimmst die Uhrzeit. Ich beteilige mich an nichts, ich kenne niemanden, ich bin unbewaffnet. Ich fahre."

    Das ist das Ethos des "drivers". Davon lebt er gut. In LA arbeitet er als gewissenhafter Stunt-Fahrer beim Film, aber gerne auch als Fahrer für das eine oder andere krumme Ding. Er ist ein Spezialist, der beste in seinem Beruf. Ein Profi.

    Aber wenn Profis an Dilettanten geraten, dann gerät die Welt aus den Fugen. So auch die Welt des Drivers, der plötzlich mit einigen Leichen und einer Viertelmillion zu viel die Straßen hinunterfährt.
    Soviel sei verraten: Er kriegt es nicht mehr auf die Reihe. Er wird ausgestoßen. Die Mafia im Rücken. Ein Gejagter bis ans Ende. Ein Killer. Eiskalt wie der Autor, der ihn beschreibt:
    James Sallis ist die größte Entdeckung dieses Herbstes.

    Eine Andrea Maria Schenkel des amerikanischen LA-Krimi-Genres: Kalt, schneidend, genau. Eine schnelle Sprache in einem schmalen Band.

    Poetisch und brutal.

    ... meint unser Rezensent zu "Driver" von James Sallis, erschienen im Verlag Liebeskind.
    "Poetisch und brutal"? ... genau das steht doch hinten auf dem Einband: Da wird die Los Angeles Times zitiert mit: "Humorvoll, poetisch und brutal".

    Sag ich doch. Der Kollege hat recht.

    Ich wittere: Eine weltweite Verschwörung der Rezensenten!

    Von wegen weltweite Verschwörungen.

    Von einer Verschwörung im ganz ganz großen Stil handelt "Das fünfte Flugzeug", der Thiller eines gewissen John. S. Cooper.

    Wer ist John S. Cooper?
    Eine gute Frage!
    Laut Klappentext
    ... die unser Rezensent offensichtlich gerne liest ...
    ... ist John S. Cooper ein amerikanischer Historiker, dessen Debutroman "The Fifth Plane" ein gewisser Sam van Heist ins Deutsche übertragen habe.

    Nun ist Sam von Heist noch unbekannter als John S. Cooper. Er ist so unbekannt, das er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht existiert, dass es sich bei beiden also um eine Verschwörung des Verlages Kiepenheuer & Witsch handelt.

    Was insofern logisch ist, da der Roman "Das Fünfte Flugzeug" die gigantische Verschwörung beschreibt, die hinter dem 11. September gestanden haben soll. Damals habe es nämlich ein fünftes Flugzeug gegeben, das ...

    Ist doch alles Quatsch!

    Dieser Verschwörung kommt ein abgehalfteter amerikanischer Journalist auf die Schliche,
    ... so etwas wie unser Rezensent?

    Dieser Journalist wird bald schon von allen Geheimdiensten Amerikas gejagt. Seine Informanten sterben reihenweise.

    Es kommt zu herrlichen Verfolgungsjagden und zu grotesken Liebesgeschichten.
    Keine große Kunst!

    Aber ein grandios spannender Trivialroman, der einige der gängigsten Verschwörungstheorien um den 11. September wohl recherchiert zu erzählen weiß.

    Bildung? Spannung? Geheimes Wissen? Klingt nach Trivialkitsch!

    Aber der Roman hält dem übergroßen Thema stand. Man glaubt plötzlich den Verschwörungstheorien.
    Kein Wunder, dass bei solch brisantem Wissen sich der Autor nicht zu erkennen gibt.
    Ein großes Wunder aber, dass dieser Roman obendrein ein großes Vergnügen bereitet. Unser Rezensent gesteht, dass er so begeistert war, dass er keinen geringeren
    ... als Deutschlands Thrillerkönig Frank Schätzing ...

    ... im Verdacht hatte, hinter dem Pseudonym John S. Cooper zu stehen. Allerdings streitet dieser jede Beteiligung vehement ab.

    Egal, das Buch ist gut, die Verschwörung auch.

    "Das fünfte Flugzeug" von John S. Cooper oder sonst wem, erschienen als KiWi Paperback, ist - obwohl es einige recht wirre Verschwörungstheorien zum Thema hat -
    Ein exzellentes, spannendes Buch!

    Und zum Schluss, weil eine kurze Kolumne kaum ausreicht, den Lesestoff für all die immer länger werdenden Nächte zu liefern: 3 Empfehlungen in einer langen Minute.

    Die Uhr läuft. Nummer 1.

    Jean-Patrick Manchette & Jean-Pierre Bastid, Laß die Kadaver bräunen, erschienen bei Distel.
    Hard Boiled auf französisch! Der Krimi beginnt mit dem Satz;
    "Die 22er-Kugel riß ein kleines Loch in die Leinwand"
    ... und ähnlich rasant geht es weiter. "Laß die Kadaver bräunen" ist das Debut des französischen Krimi-Stars Jean-Patrick Manchette und der letzte, aber nicht der schlechteste seiner 10 Krimis, die jetzt allesamt bei Distel auf Deutsch vorliegen.

    Nummer 2.
    Noch ein Taschenbuch: Der Titel als Programm:

    "Kaputt in El Paso" von Rick DeMarinis, pulp master. Erster Satz:

    "Eine Horde Schnüffler, die sich in 7-A eingenistet hatte, versaute mir den Nachmittag"
    Auch nicht schlecht; auch ziemlich hart, etwas amerikanisch. ""

    Der Held von "Kaputt in ElPaso" war Bodybuilder und ist jetzt Hausmeister und Henker im SM-Studio ... aber es kommt noch schlimmer. "Kaputt in El Paso" von Rick DeMarinis, ein echter Geheimtipp
    Weiter, Nummer 3.

    Noch etwas Deutsches, auf die Schnelle, zum Abschied!
    Deutsche Krimis heißen nicht "Kaputt in El Paso" oder "Laß die Kadaver bräunen!", sondern "Im Auftrag der Väter".und sie beginnen nicht mit einem Schuß oder einer Horde Schnüffler, sondern eher klassisch mit dem Satz:

    "Brahms weckte ihn, das Requien, eine Woge ferner, dunkler Stimmen, die aus dem Obergeschoß ins Wohnzimmer herunter drangen."

    So geschrieben in Oliver Bottinis drittem Krimi "Im Auftrag der Väter," erschienen im Scherz- Verlag.
    Wir über queren die Minutengrenze, schneller!

    Das Fazit, Herr Rezensent.

    Ein gutes Buch, ein deutsches Buch. Es spielt in Freiburg und Freiburg ist 2. Liga.
    Zu spät!

    Wenn Sie anderer Meinung sein sollten als unser Rezensent. Wenn sie Spiele der 2. Liga spannender finden als jeden Chrichton oder Heinrich Steinfest nicht für Gott halten, dann gilt auch diesmal wieder, was jedes Mal am Ende dieser Kolumne steht.

    Besprochene Titel:
    John S. Cooper: "Das fünfte Flugzeug"
    (Kiepenheuer & Witsch KiWi1001)

    James Sallis: "Driver"
    (liebeskind)

    Heinrich Steinfest: "Die feine Nase der Lilli Steinbeck"
    (Piper 7137)

    Kurzempfehlungen:
    Oliver Bottini: "Im Auftrag der Väter"
    (Scherz-Verlag)

    Rick DeMarinis: "Kaputt in El Paso"
    (pulp master)

    Jean-Patrick Manchette & Jean Pierre Bastid:
    "Laßt die Kadaver bräunen! "
    (Distel Literatur Verlag)In Amerika rasen Killerkommandos hinter dem einzigem Journalisten her, der die Wahrheit über den 11. September kennt.