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Rassenhass und Schläge

Abstruse Rassenlehre, Gewalt und Gehirnwäsche - all das soll es in einer privaten Schule auf einem Gutshof im Allgäu gegeben haben. Gegründet wurde die Schule von Anhängern der Religionsgemeinschaft "Die zwölf Stämme".

Von Susanne Lettenbauer | 22.05.2012
    Die Vorwürfe klingen unglaublich. Systematisch sollen in den vergangenen Jahren auf dem Gutshof eines ehemaligen Zisterzienserinnenklosters im Allgäu Kinder in der Schule misshandelt worden sein. Von Rutenschlägen ist die Rede, aber auch von Lerninhalten, die dem Grundgesetz zuwiderlaufen. Eine abstruse Rassenlehre würde dort gelehrt werden, hat eine Gruppe von Aussteigern jetzt verlauten lassen. Die Bewohner des Guteshofes, rund 150 Personen, gehören der aus den USA stammenden Religionsgemeinschaft "Die Zwölf Stämme" an. Aus religiösen Gründen würde dort der Willen der Kinder gebrochen werden. Individuelle Entfaltungsmöglichkeiten gäbe es nicht. Die "Gehirnwäsche" mache Jugendliche "nahezu unfähig, außerhalb der Gemeinschaft zu existieren", sagen die ehemaligen Bewohner.
    2006 wurde die Schule vom bayerischen Staat als Ergänzungsschule genehmigt, gegen den Willen der Opposition. Martin Güll, SPD und heute Vorsitzender des Bildungsausschusses des bayerischen Landtages sieht sich in seiner Kritik bestätigt:

    "Also man konnte zumindest 2006 voraussehen, dass es problematisch werden würde...das es nicht unproblematisch ist, sieht man jetzt."

    Der Freistaat sei damals eingeknickt, sagt Güll. Der Kultusminister habe sich erpressen lassen von den Eltern, die sich bis heute vehement gegen einen regulären Schulbesuch ihrer Kinder wehren. Kultusministersprecher Ludwig Unger, weist die Kritik weit von sich und verweist auf das Grundgesetz:

    "Das Grundgesetz sieht in Artikel 7 vor, dass private Träger eine Schule einrichten können. Der Antrag wurde in einer schwierigen Situation an uns gestellt..."


    Der einzigen Alternative, Kinder mit der Polizei in die Schule zu bringen, Eltern in Beugehaft zu nehmen und damit Schulpflicht zu erzwingen, wollte der Freistaat immer aus dem Weg gehen. So wurde vor sechs Jahren der Lehrplan für die Gutshofschule gemeinsam erstellt und genehmigt, die privaten Lehrkräfte, die aus Baden-Württemberg geholt wurden, überprüft, ein einmaliger Fall in Bayern:

    "Ein Vorwurf gegenüber dem Schulamt wäre ungerechtfertigt, denn im letzten Halbjahr haben zehn Unterrichtsbesuche stattgefunden...dann können wir nicht zur Tagesordnung übergehen."

    Ob sich die Vorwürfe bewahrheiten, muss jetzt die Staatsanwaltschaft Augsburg überprüfen. Die Hoffnung anderer Eltern, dass der zeitweise positive Trend zum Homeschooling sich fortsetzt, dürfte sich damit zerschlagen. Kinder im eigenen Haushalt privat zu unterrichten bzw. einen Privatlehrer zu beschäftigen, ist in Deutschland untersagt, im Gegensatz zu den Niederlanden oder den USA. Dort geht der Trend hin zum E-Learning bereits im Grundschulalter, mit abwechselndem virtuellem Unterricht und Präsenzzeiten an regulären Schulen. Volker Ladenthin, Professor an der Universität Bonn, hat dazu ein Buch geschrieben und plädiert grundsätzlich für Homeschooling in Deutschland. Eltern zu verbieten, ihre Kinder privat unterrichten zu lassen, ist rechtlich fragwürdig:

    "Also wenn man das konsequent zu Ende denkt, dann müsste man den Eltern generell die Erziehung aus der Hand nehmen...das muss sich auch im Bildungssektor zeigen."

    Der bayerische Bildungspolitiker Martin Güll sieht für Homeschooling in Deutschland keine Chance, erst recht nicht nach dem Vorfall im Allgäu. Wichtiger wäre es, die bestehenden staatlichen Schulen zu optimieren, damit die Eltern ihr Kind guten Gewissens dort hinschicken könnten.