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Rasten vor dem Marathonflug

Im Spätsommer und Herbst rasten Millionen Zugvögel auf dem Weg in den Süden im Niedersächsischen Wattenmeer. Wer die großen Vogelschwärme selbst sehen und mehr dazu erfahren möchte, der kann noch bis Sonntag an den ersten Zugvogeltagen im Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer teilnehmen. Erfahrene Vogelkundler erklären Vogelzug, Fressverhalten und die Bedeutung des Wattenmeeres für die Langstreckenflieger.

Von Jutta Przygoda | 12.10.2009
    Besonders beliebt: Die Beobachtung der Wildgänse. Zu Tausenden kommen die stattlichen Vögel ins ostfriesische Rheiderland, den westlichsten Teil Niedersachsens, um dort zu rasten und zu fressen, sagt Vogelkundler Gundolf Reichert. Die jungen Gänse sind im Sommer in Sibirien geschlüpft:

    "Und dann geht´s mit den Eltern in die Winterquartiere und darüber erfolgt eben auch so ´ne Ausbildung von Rasttradition und Zugwegstradition, ja, das ist sehr wichtig."

    Denn die Vogel-Eltern wissen, wo es gutes Futter und sichere Schlafplätze gibt. Der Dollart, ein flaches Binnenmeer, in welches die Ems mündet, ist so ein Platz. In großen keilförmigen Formationen steuern die Gänse dieses Ziel an. Auf ihrem Weg orientieren sich alle Zugvögel am Magnetfeld der Erde. Sie können es spüren, sagt der ehrenamtliche Vogelwart:

    "Mit bestimmten körpereigenen Organen eben wahrnehmen, diese sogenannten Erdmagnetlinien, und anhand derer können sie sich orientieren auf der Erdhalbkugel, auf der gesamten Welt."

    Ortswechsel an ein zweites, wichtiges Binnenmeer, den Jadebusen bei Wilhelmshaven. Mit lauten Rufen sammelt sich ein Schwarm zierlicher schwarzweißer Vögel bei Ebbe an ihrem Futterplatz im Watt. Für Gundolf Reichert und andere Ornithologen ist die Küstenseeschwalbe so etwas wie der "Marathon-Vogel" unter den Zugvögeln:

    "Und die schafft es tatsächlich, weil sie in der Arktis lebt, zum Winter auf die Südhalbkugel zu fliegen, in die Antarktis."

    Bis zu 30.000 Kilometer legt der Vogel dabei zurück. Einen Großteil davon fliegt die Küstenseeschwalbe über das stürmische offene Meer.

    "Das sind echte Kunstflieger, das macht sich zum Beispiel an der Form der Flügel bemerkbar, an der ganzen Körperform und die Küstenseeschwalbe mit den langen spitzen Flügeln ist ein ausgesprochener Langstreckenzieher."

    Die Salzwiesen und Wattflächen am Jadebusen sind ein beliebter Ort zum Rasten und ein wichtiges Nahrungsgebiet auch für viele andere Vögel. Für die Besucher der Zugvogeltage ist deshalb am Vareler Hafen eine vier Meter hoch gelegene Plattform errichtet worden. Von dort oben blickt Vogelkundler Reichert durch´s Fernglas:

    "Da vorne fliegt ein Trupp Alpenstandläufer, ganz beeindruckendes Schauspiel, Säbelschnäbler sind hier zu sehen, Brandgänse, Mantelmöwen rasten da vorne, einen Graureiher hab ich da vorne im seichten Wasser stehen sehen, einige Rotschenkel, einige Grünschenkel sind noch da..."

    Jede Menge los im Watt und auf den rot schimmernden Salzwiesen, denn hier blüht gerade der Queller, eine Pflanze, die das salzige Nordseewasser verträgt. Ein Kibitz ruft. Auf der anderen Seite des Jadebusens, im Wattenmeerhaus Wilhelmshaven und in den 14 niedersächsischen Nationalparkhäusern, werden während der Zugvogeltage die nötigen Informationen bereit gehalten.
    Jugendliche helfen während der Herbstferien als sogenannte Junior-Ranger mit und erklären den Besuchern den Vogelzug. Sie haben einen Kurs in Natur- und Vogelkunde absolviert und helfen auch bei Vogelzählungen.
    Ino Kampen aus Ostfriesland ist einer der Junior-Ranger und mag den Knutt ganz besonders. Der amselgroße Zugvogel fliegt von seinem Brutgebiet in der Arktis bis nach Südafrika. Hier bei uns macht er eine längere Pause, weiß der 14-Jährige:

    "Im Winter sieht er ganz weiß aus, so wie Schnee, und im Sommer wird er dann so brauner, heller orange. Also der wiegt normal 120 Gramm und legt dann 80 Gramm zu."

    Das Wattenmeer mit seinen Würmern, Muscheln und Krebsen ist ein regelrechtes Schlaraffenland. Und warum frisst der kleine Knutt so viel?

    "Damit er weiterziehen kann, damit er das überlebt. Das ist hier eine Raststätte."

    Zusammen mit dem Knutt machen das Millionen Vögel so. Rasten, ruhen, fressen - immer im Wechsel von Ebbe und Flut, bis es auf der weiten Reise weiter geht. Auch deshalb ist seit diesem Jahr das Wattenmeer Weltnaturerbe. Peter Südbeck, Leiter der Nationalparkverwaltung Niedersächsisches Wattenmeer, will durch die Zugvogeltage auf das einmalige Schauspiel Vogelzug aufmerksam machen.

    "Weil Zugvögel was Wunderschönes sind, weil Zugvögel das ganze Wattenmeer kennzeichnen und charakteristisch sind und weil sie aufzeigen können, und zwar für ganz viele Menschen, wie wichtig das Wattenmeer ist und wie toll es hier ist, für die Vögel, aber natürlich auch für uns Menschen."

    Online-Hinweis: Das ausführliche Programm zu den ersten Niedersächsischen Zugvogeltagen gibt es unter www.zugvogeltage.de