Archiv


Ratlose Spielzeiteröffnung

Der Wagner-Verehrer Engelbert Humperdinck schrieb im Schatten des Meisters sechs Opern, von denen "Hänsel und Gretel" seine berühmteste ist. In München wurde nun seine Oper "Königskinder" aufgeführt und hinterließ ein ratloses Publikum. Die romantische Botschaft wirkte unzeitgemäß.

Von Susanne Lettenbauer |
    Nun hat er sich durchgesetzt, Sir Peter Jonas, Noch-Staatsintendant an Bayerns Staatsoper, britischer Charmeur mit glasklarem Programm. Humperdincks Königskinder sollten die Eröffnung seiner "Spielzeit der Abschiede" krönen, seine Spielzeit der letzten "Abenteuer, der Experimente", so die viel versprechende Versicherung. Eine Reminiszenz an die bayerische Prinzregentenzeit, als Elsa Bernstein, Tochter des einflussreichen Münchner Musikschriftstellers Heinrich Porges, ihr Schauspiel der "Königskinder" mit der Zwischenaktmusik des gefeierten Engelbert Humperdinck garnieren wollte.

    Ein dreieinhalbstündiges Abschiedsgeschenk des quirligen Intendanten an die Münchner samt überdimensionalem Flutlicht vor dem Opernhaus. Gefeiert hätte man gern mit ihm, wäre man nicht so ratlos aus der Premiere entlassen worden.

    Der, sagen wir, ironische Ansatz von Regisseur Andreas Homoki im märchenhaften ersten von drei Teilen des Abends entführt das Publikum in eine Parallelwelt von Hänsel und Gretel: Zauberflackern, Hexenstarre, Besenfuchteln vor Waldkulisse – der bekannte Humperdinck eben. Dräuende Harmonien des Wagner-Epigonen verführen Homoki zu romantischem Edelkitsch auf sparsamer, nahezu unveränderter Bühne.

    Die Geschichte von der gedemütigten, verwaisten Gänsemagd und dem Sinn suchenden Königssohn versteht Regisseur Andreas Homoki in München anfangs als bunte Welt, die wie seine Kulissenbäume auf dem Kopf steht. Aus dem weißen Bauernschrank in der Bühnenmitte kreischt die bösartige Großmutter ihre Flüche - wenig überzeugend Dagmar Peckova.

    Noch ist es ein Her und Hin zwischen Klamauk und Ernst, zwischen eines spindeldürren Spielmanns Geschichte und der hoffnungslosen Realität eines Waisenkindes hinter Schranktüren. Wo endet der Schein, wo beginnt das Sein? Wie es im Märchen so ginge, käme dann der Königssohn und befreite das Mädchen aus den Fängen der bösartigen Großmutter. Zwar kommt der Königssohn unbeschwert daher im grünen Overall, bezeichnenderweise der Münchner Tannhäuser Robert Gambill. Der erste Fluchtversuch der Gänsemagd und ihres blaublütigen Liebhabers endet jedoch in Streit und Verwirrung.

    Eine Buhlschaft bedeutet Verpflichtung, ein Kuss Verantwortung. Für Homoki Grund genug, die kindlich-unbeschwerte Waldkulisse alsbald aufzubrechen. Das heraufziehende Dunkel wird zur Heimat der zwei spätromantischen Königskinder.

    Ehe das Dunkel im Schlussakt allzu tief wird, lärmt das Volk von Hellastadt im zweiten Teil der Oper überdreht herum. FC Bayern-Fans, Trachtler, Stewardessen und Krankenschwestern samt den städtischen Huren, alle in aggressives Pink getaucht, ergehen sich in trauter Einigkeit. Ihr Ruf nach einem König ist laut, doch das ans Tor klopfende Paar, Gänsemagd und Königssohn, wird dem Spott der rosaroten Menge ausgesetzt.

    Nur die Kinder erkennen die Bestimmung der Beiden. Eine verschwurbelte metaphorische Geschichte von Macht und Ohnmacht in menschlichen Gesellschaften - die heute einfach scheitern muss.

    Die kindliche Intuition wäre der Ausweg aus diesem Antimärchen, meinte die romantische Autorin im 19. Jahrhundert. Was im naturalistischen Sinne stark an Gerhard Hauptmann angelehnt ist, soll die Frage aufwerfen, inwieweit der einzelne Mensch eine Gesellschaft verändern kann.

    Selbst die glockenklar singende Talia Or als Besenbindertochter kann diese Botschaft nicht einen zäh dahin fließenden Abend lang tragen. Auch nicht das Schlussbild, in dem ein Kind die verdrehte Waldkulisse vom Anfang malt – der König sind die Kinder, so simpel kann die Botschaft des Abends nicht gelautet haben.

    Erst spät im letzten dritten Teil hätte man sich mit Sir Peter Jonas Eröffnungsoper anfreunden können: Die beiden Auserwählten wollten der Welt helfen und irren am Schluss krank und wirr durch Schnee und Nacht. Der Spielmann wurde verstoßen, die Hexe verbrannt, was bleibt ist der lange Abschied von den Idealen einer besseren Welt voller Königskinder. Leider auch hier ein ermüdend langer Weg vom grauen Rollstuhl als Symbol der überalterten Gesellschaft zum erlösenden totbringenden Zauberbrot der Hexe.

    Unschwer ist Humperdincks Hänsel- und Gretel-Handschrift in seiner Königskinderoper zu hören, von Fabio Luisi betörend und wirklich einstiegstauglich in eine Abschiedsspielzeit dirigiert. Doch dass die ersten aus dem hochrangigen Premierenpublikum nach der Pause gingen, zeigte, dass Humperdincks zweite Oper entweder ihre Aktualität verloren hat, die Musik zu sehr nach Weihnachtsmärchen klingt oder die Regie kläglich versagte an dem pessimistischen Schwermut der deutschen Kaiserzeit.

    An Humperdincks Musik lag es letztlich nicht, wie der donnernde Applaus einzig für Fabio Luisi zeigte. Außer Roman Trekel als very british Melone tragendem Spielmann konnten Robert Gambill und die überzeugende Annette Dasch in den Hauptrollen den Abend nicht retten.

    Eine verwirrende Spielzeiteröffnung in München, eine Inszenierung, über die man nicht länger reden wird. Die angekündigte "Spielzeit der Abschiede", der "Abenteuer, der Experimente", hat ein wenig ratlos begonnen. Richtig knallen wird es vielleicht später.