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Ratlosigkeit über die mobile Erdkruste

Geologie. - Es steht in allen Lehrbüchern der Geologie: Die Inselkette von Hawaii entstand, weil die pazifische Krustenplatte über eine ganz besondere Magmenquelle hinwegzieht. Die Vulkaninseln bilden sich dabei genau über dieser Hitzeanomalie im Erdinneren. Die Pazifische Platte zieht weiter, und zurück bleibt eine Insel, die langsam wieder im Meer versinkt. So soll im Lauf von Jahrmillionen die gesamte Inselkette entstanden sein, deren äußerste untermeerische Ausläufer noch vor dem russischen Kamtschatka zu finden sind. Nach neuen Untersuchungen des ''ocean-drilling-programs'', die heute auf der Wintertagung der Amerikanischen Geophysikalischen Gesellschaft vorgestellt worden sind, muss dieses Kapitel der Geologie wahrscheinlich umgeschrieben werden.

    Vom Imperator-Rücken sieht man an der Wasseroberfläche so gut wie nichts. Aber unter dem Meer zieht sich eine Kette aus Vulkanen vom russischen Kamtschatka bis zur Inselkette von Hawaii, wo derzeit die Lava gefördert wird. David Scholl von der Stanford University:

    Es gibt seit langem die Theorie, dass diese Linie von untermeerischen Vulkanen und Vulkaninseln zwischen Hawaii und dem Nordwest-Pazifik einmal da entstanden ist, wo heute Hawaii liegt.

    Seit vielleicht 100 Millionen Jahren soll dort eine fixe Quelle im Erdinneren Lava fördern, über die die Pazifische Platte langsam aber stetig hinwegzieht. Folgt man dem Lauf dieser Berge, so heißt es, lässt sich die Bewegung dieser Meeresplatte nachvollziehen. Um diese Theorie zu überprüfen, waren die Geologen mit dem Bohrschiff Joides Resolution aufgebrochen. Unter anderem haben sie dazu hoch im Norden den letzten untermeerischen Berg vor der russischen Hoheitszone untersucht. John Tarduno von der Universität Rochester:

    Wenn wir dieser Kette von Hawaii in Richtung Kamtschatka folgen, macht sie bei den Vulkanen, die vor rund 45 Millionen Jahren entstanden sind, einen Knick. Der sollte entstanden sein, weil sich die Bewegung der Pazifischen Platte geändert hat. Aber die paläomagnetischen Messungen zeigen ein anderes Bild: Anscheinend hat sich die Quelle der Vulkane bewegt.

    Und zwar etwa mit der Geschwindigkeit, mit der ein Fingernagel wächst – und damit fast ebenso schnell wie die Pazifische Platte. Das paläomagnetische Signal beweist, dass die Imperatorberge eben nicht auf der Position des heutigen Hawaii entstanden, sondern 17.000 Kilometer entfernt und weiter nördlich. Für den Knick in der Kette der Vulkaninseln war die Bewegung der Quelle verantwortlich, die Platte blieb ihrer Richtung treu. Die Daten beweisen, dass die Millionen Jahre alten Vulkanen ebenso wie die modernen von ein- und demselben Hotspot aufgebaut worden sind, einer extrem heißen Stelle tief im Erdinneren, die sich wie ein Schneidbrenner bis zur Erdoberfläche frisst und für ständigen Lava-Nachschub sorgt.

    All’ diese Vulkane stammen tatsächlich aus ein- und derselben Quelle, bekräftigt auch der Geochemiker Robert Duncan von der Oregon State University.

    Es sieht so aus, als sei die Quelle über die 80 Millionen Jahre erstaunlich stabil geblieben. Diese Magma-Quelle lag sehr tief im Mantel – vielleicht sogar an der Grenze zum Erdkern und schwamm mit der Konvektionsbewegung im unteren Erdmantel. Dieses Reservoir muss gewaltig sein, sonst wäre es schon nach den ersten Inseln erschöpft worden.

    Die plattentektonischen Konvektionsströmen drehen den Erdmantel um wie Brei in einem Kochtopf und führen so die Hitze aus dem Erdinneren nach außen. Der Hotspot wäre damit – anders als bislang angenommen – Teil dieser Konvektionen – nur, dass er nicht mit der oberen Teil der Walze schwimmt, sondern mit dem unteren in die Gegenrichtung gezogen wird.

    Das bringt die Geologen um eine bequeme Möglichkeit, die Bewegungen der Kontinente zu verfolgen. Zusammen mit dem dritten in San Francisco vorgestellten Befund löst sich nämlich das Koordinatensystem dazu auf. Denn die Daten der Forscher zeigen auch, dass sich die magnetischen Pole der Erde bewegen. Das macht Berechnungen der Kontinentalverschiebung schwierig. Die Daten aus dem Nordwestpazifik werden von Messungen an anderen Inselketten gestützt, und auch von Modellrechnungen. Sollte das alles einer Überprüfung standhalten, müssten einige Kapitel in den geologischen Lehrbüchern neu geschrieben werden.

    [Quelle: Dagmar Röhrlich]