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Rau: Deutsche Beteiligung an PISA-Studie überdenken

Der baden-württembergische Kultusminister Helmut Rau stellt die deutsche Teilnahme an der PISA-Studie 2012 in Frage. Er kritisiert, dass die OECD die Deutungshoheit der Ergebnisse übernehme und es keine Geschäftsgrundlage für die künftige Zusammenarbeit mit der Organisation gebe.

Helmut Rau im Gespräch mit Ulrike Burgwinkel |
    Ulrike Burgwinkel: Vermutlich hat er die Tagesordnung der Kultusministerkonferenz in Berlin etwas durcheinandergebracht mit seinem Vorstoß: der baden-württembergische Kultusminister Helmut Rau. Er stellte die deutsche Teilnahme an der nächsten PISA-Studie infrage. Guten Tag nach Berlin, guten Tag, Herr Rau!

    Helmut Rau: Guten Tag!

    Burgwinkel: Herr Rau, war das ein gezielter Vorstoß?

    Rau: Natürlich war er gezielt. Es gibt ja Gründe dafür. Wir haben in der Kultusministerkonferenz jetzt schon mehrfach erlebt, dass uns die OECD nicht nur die PISA-Ergebnisse vorlegt, sondern dass sie sich gleich die Deutungshoheit an Land gezogen hat. Und wir haben nach Veröffentlichung der letzten PISA-Studie sehr deutlich gesagt: Wir wollen darüber mit der OECD, mit der Führung des Bildungsbereiches in der OECD, ein gründliches Gespräch führen, wir müssen die Geschäftsgrundlage für die künftige Zusammenarbeit sichern. Und die OECD ist diesem Gesprächsersuchen bisher nicht nachgekommen. Ich sehe also jetzt keine Voraussetzungen als gegeben, die wir brauchen, um weiterhin eine gute Zusammenarbeit einzutreten. Das ist das eine. Und das Zweite: Die OECD hat noch gar kein Angebot vorgelegt für PISA 2012. Ich kann auch keinen Beschluss fassen, in dem drin steht: Also wir machen schon mal mit und schicken Sie uns dann die Rechnung. Also das ist natürlich auch keine Geschäftsgrundlage.

    Burgwinkel: Das klingt für mich jetzt so danach, als sähen Sie grundsätzliche Probleme. Bei so internationalen Leistungsvergleichen an der Lehrerstudie der OECD hat Deutschland ja auch nicht teilgenommen auf Beschluss der KMK, und die, ja, sagen wir alternativen Ergebnisse der GEW, der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft aus der Befragung, die haben wir vorhin schon in "Campus & Karriere" vorgestellt. Welche grundsätzlichen Probleme sind das denn, die Sie sehen?

    Rau: Es ist ja nicht so, dass wir uns internationalen Leistungsvergleichen verweigern, ganz im Gegenteil. Wir haben einen Grundsatzbeschluss in der KMK, dass wir an internationalen Leistungsvergleichen teilnehmen wollen. Es sind allerdings sehr viele auf dem Markt, und nach der letzten Runde PISA, IGLU, TIMMS, die sehr schnell nacheinander veröffentlicht wurden, hat auch die geneigte Öffentlichkeit gesagt: Ja, und was sollen wir uns jetzt bitteschön orientieren? Ich glaube, man muss sehr deutlich das eigene Erkenntnisinteresse in den Vordergrund rücken und dann solche Studien ausgewählt heranziehen für die eigene Arbeit. Das geschieht, darüber verständigen wir uns auch in der KMK. Sicher wäre es auch nicht schlecht, wenn wir den PISA-Prozess fortführen könnten. Aber die Geschäftsgrundlage für die nächste Stufe ist meines Erachtens noch nicht gegeben.

    Burgwinkel: Das heißt, Sie werden die Entscheidung, PISA 2012 – Teilnahme oder nicht - erst mal vertagen?

    Rau: Das weiß ich nicht. Wir werden nachher darüber beraten, wie wir gegebenenfalls beschließen, aber wir können heute sicher nicht einfach beschließen, so wie es jetzt in der Vorlage drin steht, dass wir an PISA 2012 teilnehmen und so tun, wie wenn alles geklärt wäre, was für mich vor einer Beschlussfassung geklärt sein muss.

    Burgwinkel: Denken Sie, dass Ihre Kollegen Ihnen da voll und ganz zustimmen werden?

    Rau: Ich glaube, dass es dazu unterschiedliche Positionen in der KMK gibt, das ist bei 16 Ländern, die sich mit der Thematik befassen und die auch unterschiedliche politische Ausrichtungen haben, ziemlich normal.

    Burgwinkel: Eine Frage zum Schluss vielleicht noch: Die ganzen PISA-Studien, die ganzen Leistungsvergleiche scheinen mir ein Diagnoseinstrument zu sein. Wäre es nicht auch sinnvoll, nach einer Therapie zu suchen?

    Rau: Auch für die Therapie gibt es sehr viele Vorschläge, die allerdings nicht Teil der empirischen Bildungsforschung sind, sondern die empirische Bildungsforschung schafft Voraussetzungen, damit wir über die Maßnahmen beraten können, die sinnvoll sind. Und das ist ja genau das, was ich auch kritisiere, dass diejenigen, die die empirischen Forschungsergebnisse vorlegen, dann gleich dazusagen: Und wir wissen auch, was ihr tun müsst, um die Defizite auszugleichen. Das ergibt sich eben nicht aus der Empirie, obwohl dort immer so getan wird, als ob das die logische Folge aus der Empirie sei. Und genau diesen Prozess müssen wir jetzt einmal in Ordnung bringen. Und deswegen brauchen wir die Klärung der Geschäftsgrundlage mit der OECD.

    Burgwinkel: Sie hätten also gerne die Interpretationshoheit über die erfassten Daten?

    Rau: Das wollen wir sowieso. Aber wir wollen nicht, dass uns von der Seite, die die Untersuchungen durchführt, nicht nur die Ergebnisse der Untersuchung präsentiert werden, sondern dann auch noch gleich in der deutschen Öffentlichkeit Patentrezepte verteilt werden, die sich eben nicht logisch aus der empirischen Untersuchung ergeben. Aber man tut so, als ob das die Konsequenz wäre, die man sehen müsste.

    Burgwinkel: Danke für das Gespräch! Der baden-württembergische Kultusminister Helmut Rau über seine Zweifel an PISA und Co.