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Raubkunst: Deutsche und Polen weiter uneins

Beatrix Novy: Diese Verhandlungen haben schon drei Bundeskanzler überlebt. 1992 begannen Deutsche und Polen über die Rückgabe von im Krieg geraubten Kulturgütern zu reden, ohne dass allzu viel dabei herausgekommen wäre. Während die Deutschen sich zugute halten, alle bedeutenden Schätze restituiert zu haben, blieb es im Gegenzug bei einer mageren Luther-Bibel, die, wie die "FAZ" spitz anmerkte, vom weitgehend katholischen Polen zurückerstattet wurde. Die Töne der Verhandlungspartner entsprechen dem aktuellen politischen Klima. Zum Beispiel sagt der polnische Experte Kalicki, die Mozart- und Bachdokumente in Krakau sollten da als Geiseln auch bleiben. Martin Sander, in Berlin zugeschaltet, hält Deutschland denn also noch Beutekunst aus dem besetzten Polen zurück, wie das jetzt auch die Kunsthistorikerin Nawojka Cieślińska-Lobkowicz im "Spiegel" suggerierte?

    Martin Sander: Ganz offenbar ist das so. Und es ist nicht nur eine Information des "Spiegels", sondern es gibt da einen Bericht der wissenschaftlichen Zeitschrift "Osteuropa" aus dem Jahr 2006. Die erste Doppelnummer beschäftigt sich unter dem Titel "Kunst im Konflikt" unter anderem mit Polen und auch mit geraubter Kunst aus Polen in Deutschland. Und da geht es zum Beispiel auch um den im "Spiegel" zitierten Fall.

    Die Heidelberger Universität soll über ein Bild von Francesco Guardi, dieses italienischen Künstlers, verfügen. Ich habe übrigens heute dort angerufen im Rektorat. Und der Prorektor Jochen Tröger hat mir gesagt, nach kurzen oder nicht allzu langen Recherchen, er kann dazu im Moment nichts sagen, er weiß es nicht, es würde nachgeforscht. Sollte es so sein, würde die Heidelberger Universität dieses Bild unverzüglich dorthin zurückgeben, wo es herkommt, nämlich aus dem Warschauer Nationalmuseum. Es soll während der Zeit des Warschauer Aufstands geraubt worden und nach Deutschland verschleppt worden sein.

    Das ist aber nicht das einzige. Es gibt auch von dem gleichen Künstler, von Francesco Guardi, ein Bild, das soll in der Stuttgarter Staatsgalerie hängen und weitere Fälle. Das ist aber noch nicht mal das Entscheidende.

    Denn der große Zusammenhang ist der, dass in Polen im Zweiten Weltkrieg hunderttausende von Kunstwerken geraubt wurden, zum großen Teil aber vernichtet wurden. Man muss sich daran erinnern, die Historiker wissen es, dass der Totale Krieg gegen Polen auch ein Krieg gegen die polnische Kultur gewesen ist und dass etwa ganze Bibliotheken vernichtet, zerstört wurden. Dann gab es natürlich die hohe Kunst von den großen Meistern, die sich die Größen des Nazi-Regimes selbst angeeignet haben und dann schließlich natürlich auch noch die Masse der geraubten Kunstwerke von Soldaten von Angehörigen der Deutschen, die dort irgendwo in der Verwaltung tätig werden.

    Also, man wird es nicht genau beziffern können. Polen beziffern das ganz unterschiedlich in dem heutigen Wert von einer bis zehn Milliarden Euro. Es ist ganz klar, dass der aller-, allergrößte Teil von dem, was nicht unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg zurückgegeben wurde, jetzt heute wohl auch kaum noch auffindbar ist, also verschwunden in Privatbesitz. Aber einiges hängt eben in öffentlichen Museen und das wäre ja und ist ein Skandal.

    Novy: Die Frage ist dann aber, wenn das nun zurückgegeben wird, was bedeutet das umgekehrt für die deutschen Kunstschätze oder ehemals deutschen Kunstschätze in Polen? Kann man sagen "wir dealen das jetzt, wir geben euch und dafür gebt ihr aber auch gefälligst"?

    Sander: Ja, also, bei den deutschen Kulturgütern in Polen geht es ja im Wesentlichen immer um einen Fall: Es geht um die Bestände der preußischen Staatsbibliothek. Da verhält es sich so, dass rund 300.000 Bände, Sie haben es eingangs auch schon erwähnt, wertvoller deutscher Handschriften, Autografen, Musikhandschriften heute in Krakau in der Universitätsbibliothek lagern. Sie sind dort seit ungefähr 25 Jahren zugänglich.

    Das ist eine zu diskutierende Frage, ob es sich dabei um Beutekunst oder Raubkunst überhaupt handelt. Denn diese Bestände sind während des Zweiten Weltkriegs von den Bibliothekaren aus Berlin ausgelagert worden nach Niederschlesien und dann durch die Grenzverschiebung, also praktisch durch das Abkommen von Jalta und Potsdam auf polnischem Gebiet gelandet und sie sind dort ja auch gerettet worden, und sie sind heute zugänglich.

    Natürlich ist es ein verständliches Interesse der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und anderer Kulturpolitiker, einen Teil oder das Ganze zurückzubekommen. Aber es ist die Frage, ob das unter den klassischen Titel "Raubkunst" fällt. Und da liegt eben auch der Widerspruch in den Verhandlungen zwischen Deutschland und Polen. Deutschland, die deutschen Politiker und Diplomaten wollen das zurückhaben. Sie nennen das Restitution. Sie haben bestimmte rechtliche Vorstellungen. Die Polen würden das auch, diese Berliner Bestände auch zurückgeben. Sie sehen das aber als Teil einer großen Verhandlung darüber, was macht man mit den zerstörten und geraubten und unauffindbaren Kunstgegenständen und Kulturgütern aus Polen.

    Novy: Schlägt sich eigentlich die jüngste Verschlechterung der Beziehungen, der politischen Beziehungen nieder in den Verhandlungen wie sie jetzt sind?

    Sander: Na ja, also, ich habe gehört, dass es seit zwei Jahren einen Stillstand in den Verhandlungen gibt. Sehr viel Bewegung gab es aber vorher in den vergangenen 15 Jahren auch nicht sehr viel ärger. Ich muss sagen, das ist einer der Punkte, der immer viele Polen verärgert hat, auch liberale, auch viele Menschen, die mit dem derzeitigen, ich nenne es einfach mal das Kaczyński-Regime nichts am Hute haben. Es ist so, dass gerade die Unnachgiebigkeit, glaube ich, in diesem Fall, wie auch in manchen anderen politischen Fragen der Deutschen, eigentlich der nationalkonservativen Regierung, sie eigentlich noch begünstigt, da Öl ins Feuer gießt, denn sie kann der eigenen Bevölkerung gegenüber wieder mal den Feind, Deutschland, am besten aufzeigen.

    Novy: Vielen Dank. Martin Sander über die deutsch-polnischen Restitutionsverhandlungen.