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Raubkunst sozialistisch

Die Behörden dder DDR zeigten große Fantasie, wenn es darum ging, den wenigen privaten Kunstsammlern ihren Besitz abzupressen. Mit einem Fall sieht sich nun die Stadt Erfurt konfrontiert: Es geht um die Sammlung Heinz Dietel. Bis heute befinden sich Teile der wertvollen Sammlung im städtischen Angermuseum - die Verwaltung will über eine Rückgabe nicht mal verhandeln.

Von Stefan Koldehoff | 18.01.2010
    Dass Heinz Dietel Kunst und Kunsthandwerk gesammelt hatte, wusste sein in den USA lebender Sohn Matthias. Dass die Sammlung Dietel aber zu den bedeutendsten Privatsammlungen der DDR zählte, wurde auch ihm erst bewusst, als er im Dezember 1975 nach seiner Ankunft in der Wohnung des Vaters auf gepackte Kisten stieß. Das meiste stand schon bereit zum Abtransport ins Angermuseum der Stadt Erfurt. Dort befinden sich bis heute mindesten 77 Stücke aus der Sammlung Dietel.

    "Das Angermuseum besitzt diese Kunstgegenstände ohne jede Rechtsgrundlage", sagt der Berliner Rechtsanwalt Ulf Bischof, der den Dietel-Erben vertritt. "Sie hätten nur mit dem Einverständnis des Erben an das Museum übergeben werden dürfen." So regelte es das bis Ende 1975 in der DDR gültige Bürgerliche Gesetzbuch, und dies änderte sich auch durch das ab 1976 gültige Zivilgesetzbuch der DDR nicht. Ein Einverständnis von Matthias Dietel zum Abtransport ins Angermuseum hat es aber nie gegeben.

    Um der Sammlung habhaft zu werden, konstruierten die DDR-Behörden den Vorwurf, Heinz Dietel sei kein Sammler; er habe sich ausschließlich als Kunsthändler betätigt. Deshalb schulde er der sozialistischen Volksgemeinschaft mehr als 1,1 Million Mark – vor allem an nicht gezahlter Einkommensteuer. Diese Behandlung von Kunstsammlern als Kunsthändler hatte Methode in der DDR. Sie wurde von einem Untersuchungsausschuss des 12. Deutschen Bundestages als rechtsstaatswidrig charakterisiert.

    Dietel versuchte zunächst, die Vorwürfe zu entkräften. Irgendwann aber musste der alte Mann seinen Widerstand gegen das Regime aufgeben. Über das Ankaufsgeschäft des Staatlichen Kunsthandels der DDR in Erfurt verkaufte er schließlich, um die Steuern zahlen zu können, kurz vor seinem Tod Objekte im Wert von rund einer halben Million Mark.

    Als Heinz Dietel Mitte November 1975 starb, machte sein ehemaliger Rechtsberater die Finanzabteilung in Erfurt darauf aufmerksam, dass die Steuerschuld des Sammlers noch nicht vollständig beglichen sei. Fünf Tage später wählte in Dietels Wohnung der Direktor des städtischen Angermuseums, Karl Römpler, geeignete Stücke für sein Haus aus. Gegen ihren Erwerb sollte die angebliche Steuerschuld verrechnet werden. Dass der Sohn, Matthias Dietel, sofort anbot, die Schulden seines Vaters in bar zu begleichen oder wenigstens selbst die abzutransportierenden Kunstwerke auszusuchen, wurde einfach ignoriert.

    Als die DDR-Behörden den Fall Dietel später wegen Zollformalitäten untersuchten, ließen sie erstaunliche Aussagen protokollieren. So antwortete der damalige Erfurter Stadtrat für Finanzen, Horst Wenig, 1977 auf die Frage nach einer Zustimmung der Erben: "Daran hat keiner gedacht. Vom logischen Standpunkt wurde hier meiner Meinung nach unberechtigt in die Erbmasse eingegriffen. Eine rechtliche Grundlage hierfür kann ich nicht nennen."

    Von diesen selbstkritischen Einschätzungen selbst zu DDR-Zeiten will man in Erfurt heute nichts mehr wissen. Kulturdezernentin Tamara Thierbach von der Linkspartei hat bislang nicht einmal den Rat der Stadt oder seinen Kulturausschuss mit der Angelegenheit offiziell befasst. Der Kulturausschuss wird erst in dieser Woche offiziell informiert. Die Steuerschulden waren nicht konstruiert, sie bestanden zu Recht, heißt es in Erfurt. Deshalb waren da Freiwilligkeiten vorhanden." Nach zahlreichen Terminverschiebungen, hinhaltenden Briefen und einem Treffen im Büro der Kulturdezernentin ließ die Stadt Erfurt die Gespräche mit Matthias Dietel und seinem Anwalt Mitte November für gescheitert erklären. Ein Rechtsgutachten bestätigt angeblich, dass die Stadt nicht viel zu befürchten habe, wenn Matthias Dietel gegen Erfurt klagt.

    Im Juni diesen Jahres will Erfurt das Angermuseum, das zurzeit wegen Umbau- und Sanierungsmaßnahmen geschlossen ist, feierlich wiedereröffnen. Zu sehen sollen dann auch jene Objekte sein, die die Stadt 1975 unter fragwürdigen Umständen aus der Sammlung Heinz Dietel erworben hat.