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Raue Schale, weicher Kern

Den Spitznamen "Kiwi" verdanken die Neuseeländer einem Vogel und nicht der gleichnamigen ovalen Frucht. Dabei dürfte diese - außen schlammigfarben und rau, innen grün und weich - wahrscheinlich den meisten geläufiger sein. Die Kiwi ist längst zum neuseeländischen Exportschlager geworden. Obwohl nach und nach auch andere Länder auf den Geschmack gekommen sind, die süße Pelzfrucht inzwischen in den USA, in Chile, Südafrika und Italien wächst, bedient Neuseeland noch immer knapp ein Drittel des Weltmarktes - dank der Chinesen und einer reiselustigen Lehrerin.

Von Andreas Stummer |
    Sie ist nicht größer als ein Ei, außen pelzig und matschbraun, innen giftgrün. Mit der schrumpeligen, ledrigen Haut ist sie nicht gerade eine Schönheit. Aber in Neuseeland ist die Kiwi ein Star.

    In Te Puke, dem Zentrum der neuseeländischen Kiwi-Industrie, hat man der Nationalfrucht ein Denkmal gesetzt. Am Fuß einer 20 Meter hohen Riesen-Kiwi erzählt Farmer Simon Elton wie eine Schullehrerin im Jahr 1904 die Samen einer wilden Stachelbeere von China mit zurück nach Neuseeland brachte. Obstbauern begannen die kleinen, harten Früchte immer größer und saftiger zu züchten, tauften sie Ende der 50iger in "Kiwi" um und pflanzten sie in riesigen Plantagen an:

    Viele Leute sind erstaunt, wenn sie erfahren wie Kiwi-Früchte angebaut werden. Denn sie wachsen an einer Rebe nicht an einem Busch oder einem Baum. Auch nicht unter der Erde wie einige glauben. Kiwis wachsen an Reben, die von weiter weg betrachtet, fast wie Weinstöcke aussehen.

    An einem Holzspalier schlingen sich die einzelnen Triebe bis zu einer Höhe von zwei Metern empor. Oben ranken sie zusammen und bilden ein grünes Dach unter dem der Kiwi-Farmer bequem spazieren kann. Etwa im Verhältnis 1:5 werden männliche und weibliche Reben gesetzt. Nur die weiblichen tragen Früchte und stehen erst nach sieben Jahren in voller Produktion. Zur Ernte, im Frühjahr, baumeln dann mehr als 1000 Kiwis an einer einzigen Rebe.

    Pflücken, waschen, sortieren und dann einzeln verpacken: Die Kiwi-Ernte ist reine Handarbeit. Allein in Neuseeland werden jährlich 60 Millionen Kisten produziert. Und in jeder Frucht steckt alles, was der Hausarzt empfiehlt. Doppelt so viel Vitamin C wie eine Orange und fast dreimal mehr Vitamin E als eine Avocado, wenig Kalorien und so viel Ballaststoffe wie eine Banane. Eine Gruppe deutscher Touristen ist beeindruckt, dass es eine kleine Kiwi mit einer ganzen Obstschale aufnehmen kann:

    Alles drin, was man zum Leben bräuchte. Von allen eisenhaltigen Sachen über Mineralien - also man könnte sich von Kiwis über Wasser halten.

    Doch längst nicht alle Früchte landen im Obstregal der Supermärkte. Es gibt Kiwi-Kekse und - Pralinen, Kiwi-Tee, -Likör, -Wein oder Marmelade, Kiwi-Handcreme, -Haarwasser und -Seife. Die neuseeländischen Farmer haben jetzt sogar eine neue Variante gezüchtet. Die Gold-Kiwi ist innen gelb statt grün, hat ein süßeres Fruchtfleisch und außen keinen Pelz mehr:

    Wir in Neuseeland haben die längste Erfahrung beim Kiwi-Anbau. Wir haben all die Fehler zuerst gemacht und jeder hat von uns gelernt,

    sagt Kiwi-Farmer Simon Elton.

    Mit der Gold-Frucht sind wir allen einen Schritt voraus - sie wird exklusiv bei uns angebaut. Ein Extra-Trumpf im Weltmarkt. Und wir Neuseeländer sind sowieso davon überzeugt, dass wir die besten Kiwis der Welt ernten.

    Ein Früchtchen geht um die Welt. Obwohl sie heute auch in Australien, Südafrika, Asien und Europa angebaut wird, heißt die Kiwi überall Kiwi. Sie ist das ganze Jahr zu haben, weil sie in der südlichen und der nördlichen Hemisphäre geerntet wird. Doch am anderen Ende der Welt ist man stolz auf die 100jährige Erfolgsgeschichte wie aus der wilden, chinesischen Stachelbeere Neuseelands Nationalfrucht wurde. Denn Neuseeländer sind wie Kiwis: Außen eine raue Schale, aber dahinter haben sie einen weichen Kern.