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Raue Schönheit

Auf der Weide von Richard Kiene wächst alles durcheinander. Büsche, Wäldchen und Gras, soweit das Auge reicht - gelbe und braune Farbtöne herrschen jetzt im Herbst vor. Es macht einen ziemlich verwilderten Eindruck, aber das ist Absicht. Richard Kiene aus Behrensdorf an der Ostsee ist einer von rund 15 Landwirten, die in Schleswig Holstein so genannte Wilde Weiden betreiben.

Von Remo Kragt |
    Irgendwo auf der hügeligen Fläche, so groß wie fünfzehn Fußballfelder, grast eine kleine Rinderherde. Es sind zottige, schottische Highländer, so braun wie die Landschaft. Richard Kiene muss sie manchmal suchen:
    Oft ist das so, dass die Flächen so groß sind, dass man am anderen Ende nur kleine Punkte sieht und da geht dann eben viel Zeit bei drauf, da muss man dann doch hin und sich die Tiere angucken.
    Bei Wind und Wetter bleiben die robusten Tiere im Freien. Ihr Futter finden sie selbst, allenfalls ein bisschen Lockfutter gibt's vom Landwirt:
    Wenn ich schon mal herkomme – das passiert alle 4-6 Wochen – dann nehme ich ein bisschen Futter mit – mal Äpfel, mal die Bio-Pellets, damit die Tiere auch kommen – und wenn ich dann ein Tier einfangen will, damit die dann auch in eine Ecke kommen. Die finden den ganzen Winter genug Gras hier und sie sehen besser aus als Tiere, die zusammengepfercht werden und Heu kriegen.
    Die Tiere sind auf der großen Fläche sich selbst überlassen. Anders als etwa schwarzbunte Milchkühe brauchen sie nicht einmal beim Kalben Hilfe:
    Die Mütter ziehen sich dann irgendwo in eine Ecke zurück, kriegen ihr Kalb und kommen dann eben nach 2-3 Tagen wieder zur Herde zurück. Wie wenn sie wild leben.
    Und ganz nebenbei regulieren die schottischen Highländer die naturnahe Wildnis. Im Sommer beugen sie einseitiger Überwucherung der Landschaft vor. Im Winter fressen sie alte Pflanzen ab und schaffen Raum für neues Wachstum. Mit ihren Hufen reißen sie den Boden auf, so dass sich Samen einnisten können. Für Kleintiere und Pflanzen sind die Wilden Weiden ein Gewinn. Und auch der Tourismus, an dem viele Landwirte mitverdienen, profitiert. Die vielfältige Landschaft lädt zu Streifzügen ein. Wanderwege verlaufen quer durch die Weidegebiete. Denn trotz ihrer ausladenden Hörnerpracht sind Robustrinder völlig friedlich und ruhig.
    Verpachtet werden die Böden – vielfach aufgegebene Höfe oder stillgelegte Truppenübungsplätze - von der Stiftung Naturschutz Schleswig Holstein. Alles in allem sind die Projekte ein wichtiger Beitrag zur ökologischen Landesentwicklung, erläutert Stiftungsmitarbeiterin Antje Walter:
    Ja, das scheint ein Zukunftsmodell zu sein – nicht nur, weil man damit die Flächen bewirtschaften kann, sondern auch, weil man relativ ökonomisch Flächen naturschutzgerecht wiederherstellen oder pflegen kann, sie offen hält. Das, was bisher oft mit großen Kosten verbunden war – fürs Mähen – wird teilweise eben jetzt durch die Tiere erledigt und teilweise oft noch viel besser, als Maschinen das je könnten.
    Aber Naturschutz muss sich für die Pächter auch lohnen. Die Stiftung hat deshalb klären lassen, unter welchen Bedingungen sich die extensivierte Weidewirtschaft auszahlt. Mindestens 300 Hektar, heißt es, bräuchte ein Landwirt, damit er vom Fleisch seiner Rinder leben könne – für jedes Tier die Fläche von fast zwei Sportplätzen. Kleinere Einheiten seien nur als Betriebszweige rentabel - etwa neben der Milchviehhaltung. Wilde Weiden sind deshalb nicht immer attraktiv, sagt Antje Walter:
    Grundsätzlich ist das nicht für jeden Landwirt denkbar. Und das wäre auch gar nicht wünschenswert, denn man muss ja schon sagen, wir haben hier nur eine Fleischproduktion. Eine richtige Hochleistungs-Milchkuh kann auf solchen Weiden keine Milch produzieren ...
    Man solle schließlich auch den Aufwand nicht unterschätzen, meint Richard Kiene. Trotz geringer Investitionen sei auch die extensive Landwirtschaft nur rentabel, wenn weiterhin Prämien und Subventionen aus Kiel und Brüssel kämen. Darüber hinaus könne er das Fleisch seiner Tiere praktisch nur selbst vermarkten, sagt er - und seufzt:
    Ohne Familienhilfe ist das denn doch schwierig, ja.