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Rauhnächte
Stille Tage, wilde Nächte

Böse Geister treiben ihr Unwesen, Tiere können sprechen, Wäsche aufhängen ist gefährlich: Für die 12 Tage nach der Wintersonnenwende gab es schon in vorchristlicher Zeit besondere Erzählungen und Bräuche. Bis heute regt die Zeit "zwischen den Jahren" die Fantasie an - und den Aberglauben.

Von Ana Suhr |
Das Bild zeigt vier junge Frauen mit Nachbauten mittelalterlicher Instrumente - sie bilden gemeinsam die Mittelalter-Musikgruppe "Die Irrlichter". Von links nach rechts: Brigitta Jaroschek, Annika Thoma, Stephanie Keup-Büser, Anna Karin
Die Irrlichter haben den Rauhnächten ein ganzes Album gewidmet (Die Irrlichter)
"In den zwölf Rauhnächten sind die Grenzen zwischen den Welten dünn. Die Zeit zwischen der Wintersonnenwende und der Epiphaniasnacht ist eine geheimnisvolle, aber auch eine gefährliche Zeit, die in ganz Europa mit verschiedensten Bräuchen begangen wird, in denen Heidentum und Christentum untrennbar verwoben sind. Es ist eine Zeit zwischen den Zeiten, die Zeit der wilden Jagd, der Geister und der sprechenden Tiere, eine Zeit der Einkehr und des Feierns."
So heißt es im Booklet von "Rauhnächte", einer CD, die von der Mittelalter-Musikgruppe Die Irrlichter vor einigen Jahren eingespielt wurde.
"Jahr für Jahr spielen wir Weihnachtskonzerte, vor allen Dingen in der Adventszeit, und da sind viele Lieder, die eigentlich gar nicht direkt im Advent sind, sondern in der Weihnachtszeit im Allgemeinen, also wirklich sich darüber hinaus erstrecken. Und da dachten wir, dem müssten wir eigentlich auch mal ein Album widmen."

"Eine ganz besondere Zeit"

Brigitta Jaroschek hat Die Irrlichter vor fast 20 Jahren gegründet. Die Besetzung der Gruppe wechselte im Laufe der Jahre immer mal wieder, seit 2004 ist sie ein reines Frauen-Ensemble. Sie singen mehrstimmig, und alle beherrschen mehrere Instrumente. Brigitta Jaroschek spielt hauptsächlich Saitenintrumente, darunter Laute, Mandoline und Harfe. Die meisten eigenen Stücke der Gruppe hat sie komponiert. "Rauhnächte" ist ein Konzeptalbum, auf dem sich neben Eigenkompositionen auch Stücke aus vielen Ländern Europas aus verschiedenen Epochen finden.
"Es sind keine bekannten Weihnachtslieder, die man an jeder Ecke kennen würde. Das heißt, man kann die CD auch das ganze Jahr über hören. Darüber hinaus sagt man ja den Rauhnächten nach, dass sie auch auf die zwölf Monate des neuen Jahres hin verweisen. Uns hat es besonders gut gefallen mit den zwölf Rauhnächten, weil wir gesagt haben, wir machen dann elf Tracks, die dazu passen, und ein Track fehlt quasi: Eine Nacht ist stille."
"Wir sind ja gerade mitten in den Rauhnächten. Wenn man draußen sich umtut, ist es eine sehr ruhige Zeit, eine sehr stille Zeit. Unter diesem Corona-Aspekt ist alles noch viel stiller als sonst. Aber auch wenn man historisch zurückblickt, ist diese Zeit zwischen den Jahren immer eine ganz besondere Zeit."
Sagt die Volkskundlerin Katrin Bauer. Sie erforscht am Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte des Landschaftsverbands Rheinland unter anderem, wie sich überlieferte Rituale verändern und neue entstehen.
Dr. Katrin Bauer, Kulturwissenschaftlerin im LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte
Dr. Katrin Bauer, Kulturwissenschaftlerin im LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte (Foto: Deutschlandradio - Jan-Martin Altgeld )
Bei den Katholiken beginnen die zwölf Rauhnächte meistens mit der Nacht der Wintersonnenwende am 21. Dezember und enden nach Neujahr. Protestanten dagegen zählen eher die Nächte zwischen Heiligabend und dem Dreikönigstag. Die sogenannte "Zeit zwischen den Jahren" bezieht sich auf eine Lücke zwischen Mond- und Sonnenkalender. Das Mondjahr ist nur 354 Tage lang, somit fehlen 11 Tage zum astronomisch korrekten Jahreslauf der Sonne. Bevor der Gregorianische Kalender ab dem 16. Jahrhundert die Zeitzählung vereinheitlichte, endete das alte Jahr in weiten Teilen Europas mit dem 24. Dezember. Das neue begann am 6. Januar. Die fehlenden elf Tage – oder 12 Nächte – wurden einfach hinten angehängt, so entstand der Begriff "zwischen den Jahren".
Katrin Bauer erklärt: "Es war eine Zeit, in der das Gesinde nicht arbeiten durfte, wo die Menschen einfach dann auch viel zusammensaßen. Es war eine Zeit, in der es ja auch noch keine Elektrizität gab, das heißt, man hatte nur wenige Stunden am Tag, in denen man irgendwie draußen überhaupt was machen konnte und sehr viel Zeit, sich miteinander zu unterhalten. Und in dieser Zeit sponnen sich dann natürlich auch Geschichten, was so in dieser dunkelsten Jahreszeit, die wir überhaupt haben, passiert."

Böse Götter, Gespenster und Zauberei

Diese dunkle und oft stürmische und schneereiche Zeit ließ die Fantasie der Menschen blühen. Angeblich gab es schon zu vorchristlicher Zeit Erzählungen über böse Götter und Geister – oftmals zottelige Gestalten, die um die Häuser schlichen und ihr Unwesen trieben. Im Zuge der Christianisierung wurden sie dann durch den Teufel und seine Dämonen ersetzt.
"Man kann sich sicher auch vorstellen, dass das auch so war, nur da ist unsere Quellenlage natürlich schwierig. Also, wir haben Quellen tatsächlich erst seit dem Mittelalter oder Spätmittelalter, wo wir Treiben oder Rituale in den Rauhnächten auch belegen können."
Eine der frühesten schriftlichen Quellen für Bräuche in den Rauhnächten ist das 1534 erschienene "Weltbuch" von Sebastian Franck, die erste Kosmographie in deutscher Sprache. Die Mediävistin Anna Karin spielt bei den Irrlichtern vor allem die Schlaginstrumente. Sie zitiert aus dem "Weltbuch":
"'Die zwolff naecht zwischen Weihenacht und Heyligen drey Künig tag ist kein hauß das nit all tag weiroch rauch in yr herberg mache für alle teüfel gespenst vnd zauberey.' Also man wollte sich gegen Teufel, Gespenster und Zauberei, was natürlich auch ein wichtiges Thema in der frühen Neuzeit war, wehren und wappnen können."
Glaube unter Tage - Berggeister im Harz
Wo die Sonne nie scheint, gehen Geister um: Im ehemaligen Bergwerk Rammelsberg im Harz lernen Museumsbesucher den "Schwarzen Abt" kennen, der die Kumpel beschützte – oder in den Schacht stieß.
Wann aus den zwölf Nächten die Rauhnächte wurden und worauf der Begriff genau zurückgeht, das ist umstritten. Dazu Anna Karin:
"Die einen Leute sagen, das geht auf das mittelhochdeutsche Wort 'ruch' zurück, und das würde erst einmal so etwas wie fellig, behaart bedeuten. Und das hat man sich dann so ein bisschen hergeleitet, dass man sich vorgestellt hat, wie die Dämonen mit Fell durch die Nacht geflogen sind. Die andere Möglichkeit ist, dass früher – und auch heute zum Teil noch – viel geweihräuchert wurde in der Zeit, um die Gespenster fernzuhalten, um Segen natürlich auch über das Haus zu bringen.
Aber das hatte tatsächlich einen ursprünglichen Grund im Aberglauben noch, dass man, noch bevor die Christianisierung stattgefunden hat, schon mit Wacholder zum Beispiel geräuchert hat, und dann später, nach der Christianisierung, tatsächlich mit Weihrauch in den Stall gegangen ist."

Der Aberglaube blüht

Neben dem Räuchern gibt es noch weitere Bräuche, die sich bis in unsere Zeit hinein erhalten haben. Das Orakeln findet sich beispielsweise im Bleigießen an Silvester wieder, und Dämonen sollten in der Silvesternacht mit lautem Böllern vertrieben werden. Die Rauhnächte werden auch von der Kirche als eine wichtige Zeit der inneren Einkehr bezeichnet, die meisten der heute noch oder wieder zelebrierten Bräuche findet man aber eher in anderen spirituellen Kreisen. Katrin Bauer:
"Wir leben heute im Grunde in einer total säkularen Gesellschaft, wo Religion für einen Großteil der Menschen nicht mehr die Bedeutung hat, wie es das vielleicht mal war. Und da gibt es natürlich sehr viele Anbieter in so einem religiösen Spektrum, die dann in diese Nische sozusagen gehen und Anregungen bieten, wie man sein Leben gestalten kann.
Und da würde ich dann so esoterische Zirkel dazu zählen, die sich eben auch mit Rauhnächten zum Beispiel beschäftigen. Also, es gibt so – ich sage jetzt auch bewusst – abergläubische Rituale, die dann auch in diesen Büchern oder auf diesen Blogs immer wieder transportiert werden, wie dass man zum Beispiel keine Wäsche aufhängen darf."
Auch die Musikerinnen der Irrlichter kennen oder praktizieren einige diese Bräuche, aber sie erzählen davon mit viel Gelächter und Augenzwinkern. Stephanie Keup-Büser gehört seit vielen Jahren zum festen Kern der Gruppe. Sie spielt neben der Schlüsselharfe verschiedene Flöten und Blasinstrumente:
"Ich persönlich finde in den Rauhnächten ganz faszinierend, dass man auch sagt, dass die Tiere in dieser Zeit sprechen können. Da wir auch selber viele Tiere haben, ist das – finde ich zumindest – ein ganz zauberhafter Gedanke. Und ja, wir haben lange versucht, gehört und gewartet, aber bis jetzt noch keinen Ton erhaschen können von unseren Tieren."

Der Geist in der Wäsche

Das Gebot, keine Wäsche aufzuhängen, ist auch bei Brigitta Jaroschek und ihrer Schwester Anna Karin ein Thema.
Brigitta Jaroschek: "Was ich sehr charmant fand bei den Recherchen zur CD war, dass man keine weiße Wäsche aufhängen soll, weil sonst wird daraus das Leichentuch gewebt. Das heißt, ich weigere mich, in diesen zwölf Nächten die Wäsche zu machen."
Anna Karin: "Für mich ist es tatsächlich auch diese Wäschegeschichte, weil das das einzige ist, was ich als Brauchtum sogar kenne, weil meine Mutter mir als Kind immer gesagt hat, dass ich zwischen Weihnachten und Neujahr keine Wäsche aufhängen darf, damit sich da keine bösen Geister darin verfangen würden. Und da ich natürlich keine bösen Geister in meiner Wäsche haben möchte, halte ich mich da jedes Jahr sehr, sehr penibel dran."
Also alles nur ein großer säkularer Spaß? Ganz ohne Kirche geht es dann aber zumindest bei ihrer Musik dann doch nicht. Viele Lieder der "Rauhnächte"-CD sind live in einer Kirche eingespielt worden. Der laute, mehrstimmige Gesang soll auch an Zeiten erinnern, in denen es Frauen nicht erlaubt war, öffentlich aufzutreten oder in einer Kirche zu singen, sagt Brigitta Jaroschek. Und ihre Band-Kollegin Stephanie Keup-Büser ergänzt:
"Der Klang in einer Kirche kommt auch dem Klang unsere Instrumente sehr entgegen. Wir spielen ja vorwiegend auf Nachbauten historischer Instrumente, und der Natursound und auch, dass viele Obertöne in dieser Art der Musik zu hören sind, kommt einfach in einem Gebäude wie der Kirche mit so einem wunderschönen Hall auch noch einmal ganz besonders zur Geltung."