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"Raum. Orte der Kunst"

Der Raum sei ein konstituierendes Moment der Kunst des letzten Jahrhunderts, teilt die Berliner Akademie der Künste der Presse mit. Herausgekommen ist eine Riesenausstellung mit Leihgaben aus aller Welt mit Werken von Francis Bacon, Constantin Brancusi, Max Ernst, Alberto Giacometti, Paul Klee, Henri Matisse, Piet Mondrian und Pablo Picasso.

Von Carsten Probst |
    Die Frage, wie sich die Kunst zum Raum verhält, ist fürwahr ein weites Feld. Man könnte mit der Reihe der einleuchtenden Beispiele bei den Höhlenzeichnungen der Frühsteinzeit beginnen und ohne Mühe fünfzigtausend Jahre Kunstgeschichte bis heute Revue passieren lassen. Eine solche Allgemeingültigkeit des Themas zwingt also zur Zuspitzung und Thesenbildung, für die es heute, da seit langem schon das Verschwinden des Raumes debattiert wird, besonders viele Möglichkeiten gäbe.

    Die Akademie der Künste hat sich leider für die mit Abstand langweiligste entschieden, für ein halb enzyklopädisches, halb pädagogisierendes Herunterleiern künstlerischer Positionen seit der Moderne, das zudem noch mit fragwürdigen, völlig unklaren, willkürlich anmutenden Begriffszuteilungen arbeitet und in seiner Undurchdachtheit nur ärgerlich ist.

    Womit soll nicht gesagt sein soll, dass es in dieser opulent bestückten Ausstellung nicht großartige Bilder zu sehen gäbe. Gleich zu Beginn des Ausstellungsteils am Hanseatenweg die pionierhaften Filmexperimente eines Jean Painlevé vom Ende der zwanziger Jahre mit Mikroorganismen, mit denen er das Vordringen des Bildes ins bis dahin unsichtbar Kleine demonstriert. Man Rays "Objets Mathématiques” aus den dreißiger Jahren stehen für abstrakte Raumstrukturen, die zum einen die Frage nach der Abbildhaftigkeit von Bildern aufwerfen, gleichzeitig aber durch das zweidimensionale Medium der Fotografie plötzlich ganz konkret "bildlich" werden; die großartigen geisterhaften Fotografien des italienischen Symbolisten Medardo Rosso von seinen eigenen Skulpturen Ende des 19. Jahrhunderts; natürlich auch die zusammengesetzten Straßenpanoramen von Gordon Matta-Clark; eine schön arrangierte Ecke mit Filmen von Beckett und Bruce Nauman bis hin zu den grandiosen Wandgemälden aus Giacomettis Studio und einer spektakulären Nachbildung des Mondrian-Ateliers im Akademie-Neubau am Pariser Platz, die das Denken von Raum als Fläche bei den abstrakten Kompositionen auf höchst gegensätzliche Weise nachvollziehbar machen.

    Manch schöne einzelne Bildmomente also, die einen am Ende staunen lassen, wie das Kuratorenteam es dennoch fertigbringen kann, aus einer Ansammlung solch hochkarätiger Werke eine Schau mit so flacher und verstaubter Gesamtwirkung herzustellen. Ist das wohl dem mehrjährigen Projektcharakter dieses Vorhabens geschuldet, fragt man sich, den Arbeitsgruppen und Symposien im Vorfeld? Wurde das Konzept zerredet?

    Ein Grundproblem dieser Ausstellung ist, dass sie in ihrem Konzept nur von pseudo-historisierenden Einordnungen ausgeht und kaum einmal direkt von Raumerfahrung. Gerade wenn "Räumlichkeit" heute durch die digitalen Welten und die Beschleunigung so bedroht ist, wie die Kuratoren meinen, wirkt eine in ihrem Raumkonzept völlig uninspirierte Ausstellung eigentlich absurd. Die Einteilungen in verschiedene kunsthistorische Strategien, wie Künstler mit dem Raum im Bild umgegangen seien, bringen überhaupt keinen Erkenntnisgewinn und zwingen im Gegenteil die Bilder in das kleine Karo eines zwanghaft anmutenden Ordnungswahns, als wären die Werke gerade gut genug zur Illustration sinnloser Kunstgeschichtsthesen.

    Deren Aneinanderreihung ebenfalls wie ein nicht zu Ende gedachtes Kuratoren-Brainstorming wirkt: Den fotografischen Raum, den montierten Raum, den bildnerischen, den fiktiven, den reale und den sozialen Raum, schließlich auch "Körper im Raum" hat man als Gliederung für die Schau kapitelweise hintereinander angeordnet, während aber schon jedes einzelne der ausgestellten Werke die meisten dieser Kategorien gemeinsam in sich vereint. Jedes dieser Bilder ist in seinem Umgang mit Raum nun einmal bildnerisch, fiktiv, real, sozial, körperhaft und montiert, während der fotografische Raum überraschend mit der Isolierung einer bestimmten Kunsttechnik aufwartet, die heute wohl kaum mehr zeitgemäß ist.

    Die Akademie bezeichnet diese Schau selbst reichlich emphatisch als ihr wichtigstes Ausstellungsprojekt des Jahres, was angesichts dieses Ergebnisses besonders bedenklich stimmen muss. War es denn nicht so, dass man sich nach den großen Selbstfindungsdebatten des letzten Jahres miteinander verschworen hatte, aus der programmatischen Mumifizierung wieder in die Gegenwart zurückzufinden? Diese Ausstellung zeugt dagegen vom unguten Gegenteil, von ängstlichem Rückzug hinter das Gediegene und Hochamtliche, das seinen Grauschleier längst auch wieder auf die anderen Akademiesektionen wirft.