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Schmutzige Weiten
Wie viel Raumfahrt verträgt die Erde?

Ein Kurz-Trip ins All, Menschen auf dem Mars, "Super-Konstellationen" mit zehntausenden Satelliten im Orbit - in der Raumfahrt herrscht momentan das Motto "alles geht". Ob die hochfliegenden Pläne allerdings Folgen für die Umwelt haben, ist noch nicht ansatzweise geklärt.

Von Karl Urban | 16.01.2022
Historische Rückkehr: Landung der ersten Stufe der New-Shepard-Rakete
Bis vor kurzem noch Utopie: Raketen starten und landen wieder, Touristen starten ins All - aber was bedeutet das für unsere Umwelt? (Blue Origin)
13. Oktober 2021, eine karge Wüstenlandschaft im Westen von Texas. Schnell entfernt sich eine Rakete mit vier Insassen an Bord. Es sind keine Astronauten, sondern Touristen. Weltraumtouristen. Weit kommen sie nicht. 107 Kilometer über dem Erdboden werfen sie einen Blick auf die gekrümmte Erdoberfläche und den dünnen Streifen der Atmosphäre, der darüber liegt.
Dann steht die Kapsel des Unternehmens Blue Origin schon wieder im Wüstensand. Drei der Passagiere feiern ausgelassen, ein Sektkorken knallt. Etwas abseits der vierte. Es ist William Shatner. Der Schauspieler, der jahrzehntelang als Raumschiffkapitän James T. Kirk vor der Kamera stand. Er ringt um Worte. Mitten im Trubel steht auch Jeff Bezos, Gründer von Amazon und Firmenchef von Blue Origin.
William Shatner (2. v.l.) und seine Mitreisenden kurz nach der Landung (Glen de Vries, ganz rechts, ist am 11. November 2021 bei einem Flugzeugabsturz gestorben)
Weltraumerfahrungen und Lebensrisiken: Die Passagiere des "Blue-Origin"-Fluges vom 13.10.2021 (Blue Origins)
Shatner versucht ihm etwas sagen. „Jeder sollte das sehen, die Erfahrung, die ich gemacht habe, das hätte ich nie erwartet.“
Am Anfang ging es bei der Raumfahrt um nationales Prestige. Der erste Satellit im Orbit, der erste Mensch auf dem Mond. Erst später wurde die Raumfahrt nützlich. Satelliten liefern Umweltdaten. Auf Raumstationen erproben Astronauten das Leben im Extremen. Sonden fliegen hinaus ins Universum. Jetzt aber bricht in der Raumfahrt ein ganz neues Zeitalter an.

Ein neues Zeitalter der Raumfahrt

Es geht nicht mehr darum, einzelne Satelliten zu starten, sondern tausende. Start-Ups planen Raumstationen nicht mehr nur für die Forschung, sondern auch als Fabriken und Hotels. Solarkraftwerke, hundert Mal größer als jede Raumstation, könnten Energie für die Erde liefern. Noch ist Vieles Vision, aber die Zahl der Starts nimmt stetig zu und der Erdorbit wird zum Gewerbegebiet. Die Frage ist: Was macht das alles mit der Erde?

Ich bin nach Holland gefahren. Das Europäische Zentrum für Forschung und Technologie ist die größte Einrichtung der Europäischen Raumfahrtagentur. Zwischen malerischen Teichen liegt ein Gebäudekomplex mit Büros, Reinräumen und Testanlagen. Jeder Satellit und jede Raumsonde der ESA wird, bevor sie ins All geschossen wird, hier auf Herz und Nieren geprüft. Es geht um die Erschütterung während des Starts, Materialeigenschaften zwischen prallem Sonnenlicht und bestialischer Kälte. Aber müsste man die Umweltfolgen der Raumfahrt nicht auch testen?

Luisa Innocenti hört diese Frage häufig – und reagiert allergisch. Sie leitet das Programm Clean Space der ESA seit über zehn Jahren. Eine saubere Raumfahrt fällt also eigentlich in ihre Zuständigkeit. „Das ist äußerst komplex. Zuerst müssten wir klären, was Umwelt überhaupt bedeutet. Reden wir von Treibhausgasemissionen? Reden wir von giftigen Stoffen? Geht es um Wasser? Der erste Punkt, den wir klären müssen, ist also: Welche Art von Einfluss betrachten wir eigentlich? Eine pauschale Antwort ist meiner Meinung nach aus wissenschaftlicher Sicht immer falsch.“

Im kleinen Stil scheint die Raumfahrt unbedenklich zu sein: Natürlich werden bei einem Raketenstart explosive Stoffe verwendet, auch giftige. All die werden mit großer Vorsicht und unter Wahrung von Vorschriften gehandhabt. "Bis vor ein paar Jahren wurde überhaupt nur eine sehr begrenzte Zahl von Satelliten gebaut und gestartet. Vielleicht 100 Objekte pro Jahr."

Natürlich erzeugen Raketen auch jetzt schon CO2, aber nur einen Bruchteil dessen, was Flugzeuge ausstoßen. Die globalen Umweltwirkungen der Raumfahrt haben bisher einfach keine Rolle gespielt.
Eine Falcon 9-Rakete startet vom Kennedy Space Center ins All.
Für die ambitionierten Pläne einer "Marsbesiedelung" müsste es tägliche Raketenstarts geben. (AP)

Kapitel 1: Der Startplatz

Wenigstens am Boden scheinen sich die Dinge aber langsam zu ändern. 20. Oktober 2021. Das Büro für Kommerziellen Weltraumtransport lädt zu einer öffentlichen Anhörung. Die Einrichtung gehört zur Bundesaufsicht für den Flugverkehr FAA der Vereinigten Staaten. Gut hundert Menschen sind der virtuellen Einladung gefolgt, um ihren Kommentar zu einem neuen Weltraumbahnhof im Osten von Texas abzugeben. Betreiben will ihn SpaceX.

Es geht um den Start einer Superrakete. Bezos-Konkurrent Elon Musk möchte damit Menschen zum Mars befördern. Den Startplatz nennt SpaceX bereits „Starbase“, also Sternenbasis, obwohl das 50 Meter lange „Starship“ samt seiner 70 Meter hohen Erststufe bisher nur Testflüge innerhalb der Atmosphäre absolviert hat. Das Gelände liegt zwischen Atlantik und dem Dorf Boca Chica, zwei Kilometer von der mexikanischen Grenze entfernt - in einer abgeschiedenen Küstenlandschaft, mit Salzwiesen und Mangroven, in der viele Vogelarten brüten und bedrohte Wasserschildkröten ihre Eier ablegen.

„Was das Starship tut, schadet unserer Umwelt. Die Tiere können nicht für sich selbst sprechen. Deshalb müssen wir sie verteidigen.“ Die Veranstaltung geht über vier Stunden. Es sprechen Anwohner aus Texas und Mexiko, Umweltschützerinnen und Biologen, einige sind kritisch.

„Musk sagt, dass jedes Starship, das zum Mars fliegt, zehn bis 15 Starts zum Auftanken braucht. Musk möchte drei astronautische Missionen pro Tag starten, sie im Orbit parken und dort betanken. Dieses Konzept erfordert 39 Starts jeden Tag!“

„Wenn es schon unverantwortlich ist, Flora und Fauna in ihrem Habitat zu zerstören, dann ist es erst recht verrückt, wenn wir hier bald Explosionen der bis jetzt ungetesteten, stärksten Rakete der Welt haben.“ „Wird es einen nennenswerten Einfluss geben? Wir können die bedrohten Gelbfuß-Regenpfeifer nicht fragen. Vor drei Jahren wurden noch 41 Nester gezählt, dieses Jahr nur noch eines.“

Begeisterung statt Bedenken

Die meisten Stimmen in der Anhörung aber klingen einfach nur begeistert. “Ich bin ein SpaceX-Fan.“ „Ich möchte öffentlich meine Unterstützung für SpaceX zum Ausdruck bringen, eine Start-Genehmigung für das Starship Superheavy-Programm in Boca Chica zu erhalten." „Ich will ja nicht die Erde verlassen, weil ich es muss. Ich unterstütze die Forschung. Und ich liebe euch, SpaceX. Ich liebe Elon Musk.“

Wie in Texas werden derzeit überall neue Startplätze für die vielen neuen Raketen gesucht. Die existierenden Weltraumbahnhöfe reichen nicht mehr aus.

Besonders gefragt sind Standorte nahe des Äquators – und nicht immer können die Menschen, die es betrifft, Einfluss nehmen. Indonesiens Präsident Joko Widodo schlug Elon Musk 2020 vor, Raketen aus seinem Land zu starten, ohne Rücksicht auf die indigene Bevölkerung oder geschützte Wälder . Im Gespräch ist die Insel Neuguinea.

Auch in Europa sind vier neue Startanlagen geplant, im Norden Schwedens und Norwegens, in Schottland und - mithilfe eines Trägerschiffs - in den deutschen Hoheitsgewässern der Nordsee. An all diesen Orten äußern sich Umweltschützer kritisch. Ist die Rakete erstmal in der Luft, ist das Problem nicht mehr nur lokal. Es wird global.

Kapitel 2: Flug in den Orbit

„Die Veränderungen im Orbit schreiten voran. Als Astronom interessiert es mich, auf welche Art und Weise wir die Erforschung des Weltraums vorantreiben.“

Im Juli 2021 spreche ich mit Aaron Boley von der University of British Columbia in Kanada. Er sorgt sich vor allem wegen der vielen Satelliten, deren Lichtpunkte am Nachthimmel die Arbeit mit Teleskopen zunehmend erschweren. Er sieht aber auch die wachsende Zahl der Raketenstarts kritisch. Dass es Risiken gibt, weiß man spätestens seit den Space Shuttles. „Das Space Shuttle hat Anlass zur Sorge gegeben, weil es diese Feststoff-Booster hatte, die als Nebenprodukt auch eine Menge Aluminiumoxid in der Atmosphäre freigesetzt haben.“

Bis in die 1990er Jahre hielt es die NASA für möglich, das Shuttle im Wochenrhythmus zu starten. Aus diesem Grund hatten Atmosphärenforscher damals eine Messkampagne gestartet. Mit einem Kleinflugzeug flogen sie durch die Abgaswolke der Raumfähre mit ihren fünf Raketentriebwerken. Drei dieser Triebwerke haben nur Wasserdampf erzeugt. Das Problem waren die Abgase der Booster: zwei Zusatzraketen links und rechts der Fähre. Aaron Boley: „Man hat damals gezeigt, dass das Space Shuttle diese kleinen Ozonlöcher erzeugt. Die haben sich zwar schnell wieder geschlossen. Es war global betrachtet kein großer Effekt, aber da wurde ganz klar die Chemie der oberen Atmosphäre verändert.“

Auch viele neue Raketen verwenden Feststofftriebwerke

Das Problem: Der Treibstoff der Booster besteht unter anderem aus Ammoniumperchlorat und einem fein gemahlenen Aluminiumpulver. Bei der Verbrennung wird das Aluminium in Form feiner Partikel verteilt und beim Kreuzen der Stratosphäre wirken die Partikel als Katalysator für die Zersetzung von Ozon. Dann waren diese Studien aber auch schnell wieder vergessen. Das Shuttle flog pro Jahr nicht 50 mal, sondern höchstens neun mal. Die Höhenwinde verwehten die winzigen Ozonlöcher.

Das Space Shuttle ist Geschichte. Aber Starts in den Orbit im Wochentakt sind längst wieder im Gespräch – und das nicht nur in den USA. Aaron Boley:

„Einige der neuen Raketentypen verwenden Feststofftriebwerke. Und die werden ganz ähnlich wirken wie das Space Shuttle, jedenfalls im Bereich der chemischen Reaktionen in der Atmosphäre.“

Wenn eine Rakete die Stratosphäre mit der Ozonschicht durchflogen hat, wird die Luft immer dünner. Sie kreuzt die Mesosphäre und die Thermosphäre. Spätestens wenn der Satellit oder die Raumkapsel dann einige hundert Kilometer hoch kreist, scheint die Raumfahrt den irdischen Umweltproblemen enthoben zu sein. Aber auch das muss nicht stimmen.
China, Wenchang: Eine Rakete vom Typ «Langer Marsch 5», die das Raumschiff «Chang'e 5» auf den Weg zum Erdtrabanten bringen sollte, startet auf der Startrampe des Wenchang Space Launch Center.
China startet regelmäßig und erfolgreich Raketen und Module ins Weltall. (Mark Schiefenbein/AP/dpa)

Kapitel 3: Wohin mit dem Müll?

Am 5. Mai 2020 bringt China das erste Modul einer neuen Raumstation ins All. Die neue und schubstärkste Rakete des Landes vom Typ „Langer Marsch 5B“ liefert das Bauteil in den Orbit. Kurz zuvor trennt sich die Oberstufe der Rakete. Sie ist ausgebrannt, beginnt durch die Reibung an der dünnen oberen Atmosphäre immer tiefer zu sinken. Die Stufe ist nicht mehr steuerbar – und gleichzeitig so schwer, dass sie nicht vollständig verglühen wird.

„Westliche Raumfahrtexperten warnten in den vergangenen Tagen vor einem unkontrollierten Wiedereintritt der Hauptraketenstufe in die Atmosphäre. Auch das amerikanische Verteidigungsministerium äußerte sich besorgt.“
In den letzten Tagen vor dem Wiedereintritt verfolgen Experten gebannt die Daten. Auf ihrer letzten Umlaufbahn überfliegt die Stufe die meisten Ballungszentren, Indien, aber auch Spanien oder das südliche Italien. Die Raketenstufe lässt Neuseeland und Südwestaustralien hinter sich, der US- Sender CBS News berichtet. Nahe der Malediven stürzen die Überreste ins Meer. Knapp 20 Tonnen Metallschrott, ein Schaden entsteht nicht.

Verglühen heißt noch nicht verschwinden

Solche Risiken sind die Ausnahme. Seit Jahrzehnten wissen Ingenieure, dass Raketenstufen, ausgemusterte Raumstationen, Satelliten und anderer Weltraumschrott auf besiedeltem Gebiet einschlagen können. Deswegen werden Satelliten und Raketenstufen heute meist gezielt zum Absturz gebracht. Wenn sie allzu groß sind, werden sie in möglichst unbewohnte Ozeanregionen gelenkt. Kleinere Teile sollen dagegen gar nicht erst am Boden ankommen: Eine Internationale Industrienorm schreibt seit 2010 vor, dass Satelliten spätestens 25 Jahre nach ihrem Missionsende von selbst verglühen müssen. Nur, verschwunden ist ein solcher Satellit trotzdem nicht.
Aaron Boley: "Wenn er in die Atmosphäre eintritt, oxidiert das Aluminium mit Sauerstoff und reagiert zu Aluminiumoxid. Diese Aluminiumpartikel haben eine Reihe von Konsequenzen. Erstmal befinden sie sich in der Mesosphäre. Das ist die Schicht, die sich direkt über der Stratosphäre befindet. Und die Stratosphäre ist die Region mit dem Ozon, das uns vor UV-Strahlung schützt.“

Satelliten bestehen zu großen Teilen aus Aluminium und anderen Metallen. Aaron Boley hält es zumindest für denkbar, dass die feinen Tröpfchen eines verglühten Satelliten nicht einfach zu Boden sinken, sondern wie die Abgase der Feststoff-Booster des Space Shuttle chemische Reaktionen in der Ozonschicht anstoßen. Es ist eine Hypothese.
Europas ATV-Raumschiff beim kontrollierten Verglühen
Die Atmospäre als Müllverbrennungsanlage: Europas ATV-Raumschiff beim kontrollierten Verglühen (ESA)

Umweltauswirkungen verglühender Satelliten unklar

Ob es wirklich so ist, lässt sich aber gar nicht so leicht beantworten, sagt Luisa Innocenti von der ESA. „Um die Umweltfolgen eines Objekts zu untersuchen, nutzen Sie eine Datenbank. Da steht dann drin: Wenn Sie zehn Kilogramm Stahl verwenden, sind das die Folgen. Aber wir verwenden keinen Standardstahl. Meistens ist es ein ganz spezieller Stahl, der nur für die Raumfahrt hergestellt wird. Wir können also den Einfluss unserer eigenen Materialien häufig gar nicht ermitteln! Deshalb müssen wir erst einmal selbst eine Datenbank der Materialien und Prozesse aufbauen, um die Folgen für die Umwelt richtig bewerten zu können.“

Für Luisa Innocenti ist das Problem allerdings auch gar nicht drängend. Die Masse verglühenden Weltraumschrotts verteilt sich ja auf die gesamte Atmosphäre. „Die Menge an Material, die wir nach unten bringen, wird vermutlich nicht dramatisch ansteigen. Aber noch einmal: Wir wissen nicht, was die Zukunft bringt.“

Vielleicht sind die Effekte startender Raketen mit den winzigen Ozonlöchern und Metalltröpfchen verglühender Satelliten gar nicht der Rede wert? „Dissolution is a Solution for Pollution“ ist ein Leitspruch in der Umweltwissenschaft: Verdünnung ist eine Lösung für Verschmutzung. Vielleicht verkraftet die Atmosphäre ein paar Tonnen Material aus der Raumfahrt?

Unstrittig ist, dass die Menge zunimmt: Eine aktuelle Studie der Universität Braunschweig schätzt, dass die Masse verglühender Satelliten noch innerhalb dieses Jahrzehnts um 60 bis 400 Prozent zunehmen dürfte, auf 800 bis 2.500 Tonnen pro Jahr.

Wird die Ozonschicht geschädigt?

Die Schädigung der Ozonschicht wäre eine schwerwiegende Nebenwirkung der Raumfahrt – wenn sie denn real ist. Bisher habe ich nur mit Astronomen darüber gesprochen. Ich fahre deshalb nach Mainz ans Max-Planck-Institut für Chemie. Der langjährige Direktor des Instituts gehörte in den 1980er Jahren zu den Entdeckern des Ozonlochs. Paul Crutzen verstarb Anfang 2021 – aber seine Kollegen beschäftigen sich weiter mit der Ozonschicht.

Johannes Schneider ist Atmosphärenphysiker und Experte für Aerosole. Ich habe ihm meine Recherche geschickt. Zunächst hat er wie viele Vertreter der Raumfahrtbranche reagiert. „Eigentlich habe ich immer gedacht, das ist ein kleiner Effekt, weil man von kleinen Mengen ausgeht.“

Aber die Prognosen bringen ihn ins Grübeln. Schneider kennt die Studien über die Feststoff-Booster des Space Shuttle. Zwar gibt es noch immer Raketen mit Feststoff-Boostern, die Aluminiumpartikel absondern. Aber viele Raketen arbeiten mit Kerosin, das Starship von SpaceX mit verflüssigtem Methan. Ein Treibstoff, den man noch dazu aus erneuerbaren Energien herstellen kann. Was also heißen häufige Starts der Riesenrakete für die Atmosphäre?

Mitte Oktober, bei der Anhörung über den neuen Startplatz von SpaceX in Texas war es auch um die CO2-Emissionen eines neuen Gaskraftwerks auf dem Gelände gegangen und eine Anlage, die den Treibstoff Methan verflüssigt. Die Ozonschicht spielt in der Diskussion überraschenderweise keine Rolle. Dabei gibt es hierzu einen Absatz in der Stellungnahme des Unternehmens, der mir direkt ins Auge gesprungen war. „Die vorgeschlagenen Startaktivitäten erzeugen keine ozonabbauenden Substanzen.“
Dashcam-Aufnahme des Meteoriten-Eintritts über Russland im Jahr 2013 (Bild: RIA Novosti)
Jeden Tag verglühen 40 Tonnen Material von Meteoriten in der Atmosphäre - hier im Februar 2013 über Russland (RIA Novosti)

Wirkung auf Stratosphäre nicht ausgeschlossen

Johannes Schneider: „Ja, das würde ich sagen, ist irreführend, denn ich meine, zumindest Stickoxide werden produziert werden. Und Stickoxide sind nun mal ozonabbauend. Also nicht überall. Je nachdem, die Atmosphäre ist da chemisch sehr komplex. Aber in der mittleren und oberen Stratosphäre werden Stickoxide auf jeden Fall Ozon zerstören. Also das kann man so nicht behaupten.“

Raketen, sagt Johannes Schneider, haben immer einen gewissen Einfluss auf die obere Atmosphäre. Verbranntes Kerosin oder Methan hinterlassen Stickoxide und Rußpartikel, die den Ozonabbau anstoßen können. Selbst Wasserdampf, in großen Höhen freigesetzt, wirkt als potentes Treibhausgas. Und was ist mit den verglühenden Satelliten? Der Physiker verweist darauf, dass jeden Tag sehr viel Material in der Erdatmosphäre verglüht – und das ganz ohne Zutun des Menschen: Es sind Meteoriten.

„40 Tonnen pro Tag, das wären ungefähr 16.000 Tonnen pro Jahr. Also das sind gigantische Zahlen.“ Dagegen scheinen die prognostizierten 800 bis 2.500 Tonnen demnächst pro Jahr verglühender Satelliten vernachlässigbar – allerdings nur auf den ersten Blick. „Die Zusammensetzung ist etwas anders. Also Aluminium ist ein wichtiger Bestandteil von den Satelliten. Das kommt in Meteoriten auch vor, aber nur zu etwa einem Prozent. Meteoriten bestehen mehr aus Eisen, Magnesium und Silizium. Und es gibt auch einige Metalle, die nur in Satelliten vorkommen, die gar nicht in Meteoriten vorhanden sind.“

Für Johannes Schneider ist klar: Wenn immer mehr Raumfahrt betrieben wird, ist eine Wirkung auf die Stratosphäre mit der für uns wichtigen Ozonschicht nicht ausgeschlossen. "Die Prognosen, die man so sieht, sagen ja, dass sich die Aluminiummenge durch den menschlichen Eintrag ungefähr in der gleichen Größenordnung bewegen wird wie die durch Meteoriteneintrag. Und damit ist es auf jeden Fall eine signifikante Änderung. Und genauso sind da die zusätzlichen Stickoxid- oder Rußemissionen durch die vielen Raketenstarts, die einfach direkte Emissionen in die Stratosphäre sind. Und da sollte man vorsichtig sein.“

Verglühende Satelliten zu klein für Klimamodelle

Was wirklich passiert, liegt außerhalb der Expertise von Johannes Schneider. Wie sich die Aerosole aus der entfesselten Raumfahrt verbreiten, ist Gegenstand zweier laufender ESA-Studien. Und die sind nicht ohne methodische Schwierigkeiten, sagt Luisa Innocenti.

„Auf diese Frage haben wir noch keine endgültige Antwort. Die Wissenschaftler wissen es nicht. Und warum? Wenn beispielsweise Klimaforscher ihre Klimamodelle erstellen, dann haben die eine Art Gitternetz, das die Atmosphäre modelliert. Der Gitterabstand liegt im Bereich von Kilometern. Jetzt sprechen wir aber über einen Satelliten, der 10 bis 20 Meter groß ist. Der kommt zurück und verbrennt. Den kann ich nicht ins Gitternetz einführen. Er ist zu klein! Wir erforschen das weiter, aber das ist wissenschaftlich extrem schwierig.“

So lange keine Ergebnisse vorliegen, haben Luisa Innocenti von der ESA und alle anderen Mahner unter den Atmosphärenforschern keine Handhabe. Mit welchen Argumenten sollten Raketenstarts und damit die Zahl verglühender Satelliten begrenzt werden?

Was bleibt, ist eine fromme Hoffnung: Vielleicht bleibt die Wirkung der Raumfahrt auf die Ozonschicht auch weiterhin ein untergeordnetes Problem. Und der Weltraummüll, der eigentlich zum Verglühen gebracht werden müsste? Auch dafür gibt es eine Idee.
Ein Modell zeigt eine Iglu-förmige Mondstation.
Könnten recycelte Raketenstufen das Material für eine Mondstation liefern? (ESA/Foster und Partners)

Kapitel 4: Aus dem Orbit ins Recycling

Frank Koch ist Physiker. Er hat vor vielen Jahren ein Unternehmen aufgebaut, das chemische Kampfstoffe beseitigt, danach umweltschonende Informationstechnik entwickelt. Im Jahr 2018 wandte er sich der Raumfahrt zu. „Ja, man stieß anfangs auf mehr als gesunde Skepsis, ob diese Idee wirklich realisiert werden könnte. Aber ich bin da sehr hartnäckig. Steter Tropfen höhlt den Stein, sage ich da immer. Inzwischen ist es auf den Symposien, auf denen ich von der ESA eingeladen werde, durchaus normal. Und viele andere Firmen arbeiten inzwischen auch an diesen Ideen.“

Es ist eine Idee, die Koch aus der Müllbeseitigung auf der Erde mitgebracht hat. Hier werden Abfälle rigoros getrennt und Wertstoffe, wie etwa Metalle, wiederverwertet. Dieser Ansatz ließe sich auch im All verfolgen. „Da dachte ich mir, wenn man schon so viel Geld ausgegeben hat, das ganze Zeug ins All zu schießen, dann wäre es doch schade, wenn es einfach da oben bleibt und dann vielleicht am Ende in der Erdatmosphäre verglüht. Da müsste man doch was mit machen.“

Frank Koch gründete das Unternehmen „Orbit Recycling“. Im Visier hat er über 60 Raketenoberstufen, die alleine europäische Ariane-Raketen über die letzten Jahrzehnte in einem hohen Geotransferorbit zurückgelassen haben. Es sind Weltraum-Lastwagen ohne Treibstoff, die einmal tonnenschwere Satelliten in Richtung geostationärer Umlaufbahnen geschoben haben. Jede dieser Raketenstufen wiegt zweieinhalb Tonnen – und soll zukünftig von einem Spezialsatelliten eingefangen werden.

„Und wenn man sie dann gegriffen hat, dann kann man die Oberstufen mit speziellen Antrieben langsam weiter zum Mond zu schieben. Dafür braucht man gar nicht so viel Treibstoff.“ Es wäre eine Müllabfuhr für den Orbit, allerdings geht es anders als bei den meisten anderen Konzepten dieser Art nicht darum, den Schrott in der Atmosphäre verglühen zu lassen. Stattdessen soll er auf dem Mond landen, wo er später zum Aufbau einer Mondbasis genutzt werden kann.

„Unsere gesamte Mission schätzen wir so auf rund 250, maximal 280 Millionen Euro für zweieinhalb Tonnen Aluminium auf dem Mond. Das ist extrem kostengünstig und sehr, sehr konkurrenzfähig zu allem, was von der Erde gestartet wird.“

Kriterien für Recycling und Regulierungen fehlen

Die Ressourcen im All zu nutzen, anstatt damit die Erdatmosphäre zu belasten, kann nur unter einigen Voraussetzungen funktionieren. Es erfordert, dass Staaten wie die USA, China oder Russland wie angekündigt eine Mondbasis bauen werden – und für das Material bezahlen wollen. Es müssten Technologien entwickelt werden, um das auf dem Mond deponierte Metall aufzuschmelzen und vor Ort zu neuen Werkstoffen oder Gebäudeteilen zusammenzubauen. Koch selbst betreibt momentan ein Einmann-Unternehmen, das gemeinsam mit einigen Forschergruppen im Auftrag der ESA eine erste Studie zum Recycling erstellt hat.

„Die Recyclingindustrie auf der Erde ist um ein Vielfaches größer als die Weltraumindustrie. Die verdienen wirklich gutes Geld mit der Beseitigung von Schrott. Dieses Konzept kann auch im All funktionieren. Man kann mit Schrott auch im All Geld verdienen. Und eigentlich ist es dieses Umdenken, das ich erreichen möchte.“

Bis das Weltraum-Recycling eine Industrie wird, dürften noch viele Jahre vergehen. Die Raumfahrt denkt nicht um, im Gegenteil, sie boomt. Und niemand hält sie auf. Das liegt daran, wie sie organisiert ist. In keinem der großen Raumfahrtstaaten der Erde wird zum Beispiel die Zahl neuer Satelliten reguliert. Zwar existiert schon jetzt ein internationaler Vertrag, der gegen ozonabbauende Substanzen vorgebracht werden könnte: das Montreal-Protokoll von 1989. Aber auch dafür ist es aus Sicht von Luisa Innocenti von der ESA noch viel zu früh.

„Regulierungen für die globale Umwelt gibt es noch nicht. Sollte es sie geben? Nun, das wird leider nicht einfach. Denn wenn uns die wissenschaftlichen Erkenntnisse fehlen, wie soll man sie verfolgen? Zuerst brauchen wir das Wissen. Nicht, dass wir am Ende voreingenommen urteilen. Der eine sagt A, der andere B – aber wer hat recht?“
Elon Musk schaut mit hoch erhobene Augenbrauen zur Seite und gestikuliert mit seinen Händen.
Ob Elon Musk mit seiner Marsbesiedelungs-Agenda eine realistische oder eher exotische Agenda verfolgt, ist auch noch nicht ganz erwiesen (picture alliance / dpa-Zentralbild / Britta Pedersen)

Kapitel 5: Die Zukunft

„Wie bringen wir euch zum Mars? Wie bauen wir dort eine sich selbst erhaltende Stadt, die mehr ist als ein Außenposten - damit Mars ein eigenständiger Planet wird und wir eine wahre multiplanetare Spezies?“

Nicht alles, was die Menschheit, oder Milliardäre wie Elon Musk derzeit planen, muss wahr werden. Vielleicht wird auch der Weltraumtourismus eine Nische bleiben. Doch von den meisten Dienstleistungen im Orbit sind wir längst abhängig – und es kommen ständig neue dazu, sagt Johannes Schneider. Die Abwägung in einer Welt mit wachsenden Bedürfnissen dürfte schwerfallen.

„So Sachen wie den Weltraumtourismus sehe ich eher skeptisch, genauso wie die Marsbesiedelung. Schnelle Internetverbindung, selbstfahrende Autos wollen wir dagegen alle haben. Alle wollen Digitalisierung, möglichst schnell, möglichst umfassend. Und ja, es geht nie irgendetwas ohne irgendeinen Nebeneffekt. Ich denke, man sollte sorgfältig abwägen. Wenn die Auswirkungen auf die Ozonschicht zu schlimm sind, dann geht es halt nicht. Ansonsten glaube ich, würden wir alle gern von den Segnungen dieser zusätzlichen Satelliten profitieren, das ist klar.“