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Raumreise Mengenlehre

Mathematik. - Die Mengenlehre bereitet nicht nur Kindern Kopfschmerzen, obwohl sie als die Basis der Mathematik gilt. Auch die Großen hatten und haben ihre Schwierigkeiten - dies belegt auch das Beispiel der Mengenlehreuhr, die eigentlich gar keine ist.

Von Mathias Schulenburg |
    Ein besonders anrührendes Detail der Berliner Mengenlehreuhr - so wird sie durchgehend genannt - ist der Umstand, dass die Uhr mit Mengenlehre überhaupt nichts zu tun hat. Die Farbfelder der Uhr stehen lediglich für fixe Zeiteinheiten. In der obersten Reihe bedeutet jedes leuchtende Feld fünf Stunden. Leuchten drei Felder auf, dann sind - drei mal fünf - 15 Stunden gemeint. In der Reihe darunter steht jedes Feld für eine Stunde. Leuchten etwa zwei auf, sind zwei Stunden gemeint, insgesamt also 15 plus zwei gleich 17:00 Uhr. Mit den Minuten geht es ähnlich weiter. Ein nettes, witziges Prinzip, dass man erst und dann sofort versteht, wenn man den Begriff Mengenlehre über Bord geworfen hat.

    Missverständnisse sind überhaupt ständige Begleiter dieser Kunst. Als 1957 der Sputnik-Schock den Kapitalismus erbeben ließ - die Sowjetunion hatte mit einer Rakete den ersten Satelliten in eine Umlaufbahn gebracht, was bedeutete, dass sie auch eine Atombombe Kontinent weit befördern konnte - reagierten die USA unter anderem mit einer Modernisierung ihres Bildungssystems, in dem fortan "New Maths" dominieren sollte: Neue Mathematik, darunter die Mengenlehre, die im wesentlichen von Friedrich Georg Kantor in Halle an der Saale Ende des 19. Jahrhunderts in die Welt gesetzt worden war. Mit Mengenlehre freilich kann man keinen Fahrstuhl in Bewegung setzen, geschweige denn eine Rakete.

    Eigentlich ist Mengenlehre die Kunst, das Unendliche zu handhaben und so eine philosophische Notwendigkeit, aber nicht ungefährlich. Als sich Galileo Galilei mit etwas ähnlichem beschäftigte und ein giftgelbes Paradoxon entdeckte, klappte er seine Kladde zu und blieb gesund. Georg Kantor hingegen endete in einem Sanatorium.