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Raumschiff Europa

Fast jeder, der morgens an der Brüsseler Metrostation im Europaviertel aussteigt, arbeitet für die EU. Viele erkennt man am Business-Look. An den gestreiften Krawatten oder den hellen Blusen unter dem Sakko. Zielstrebig gehen sie auf die Rolltreppen zu, die nach draußen führen. Für die Kommission mit Präsident Barroso an der Spitze arbeiten rund 22.500 Menschen. Das sind weniger Beamte, als beispielsweise die Stadt Köln hat. Dennoch: Was in den EU-Büros gedacht und beraten wird, hat Auswirkungen auf 455 Millionen Menschen.

Von Christian Schütte | 04.01.2007
    Zum Beispiel auf Robin Bowland. Der 26-jährige gebürtige Brüsseler wohnt ein paar Hundert Meter entfernt in einem Appartement. Vom Wohnzimmerfenster aus kann er beobachten, wie das Heer der EU-Beschäftigten täglich zur Arbeit kommt.

    "Ich sehe das Kommissionsgebäude. Und noch andere Gebäude der EU. Zumindest nehme ich an, dass sie dazugehören, weil die Häuser ganz neu sind, mit viel Glas, das ist neu für Brüssel."

    Mit neuen Gebäuden kennt er sich aus, beruflich. Am Handy meldet sich ein Geschäftspartner. Bowland verkauft Immobilien. Über das Innenleben der EU-Komplexe, die er von seiner Wohnung aus sieht, weiß er allerdings kaum etwas. Wer genau da sitzt, mit welchen konkreten Aufgaben?

    "Darüber muss ich erstmal nachdenken, weil ich das gar nicht weiß. Uns hat niemand was darüber beigebracht, nicht in der Schule, nicht im Beruf. Tja, was passiert da. Ich nehme an, die Leute machen da Verwaltungsarbeit für die EU. Ich habe absolut keine Ahnung. - Wenn es Verbindungen gibt zwischen uns Einheimischen und denen von der EU, dann habe ich sie nie bemerkt. Zwei verschiedene Welten. Die Europa-Leute kommen nicht zu uns, und wir gehen nicht ins Europa-Viertel. Weil wir da gar nichts mit zu tun haben."

    Für viele Einheimische sind die europäischen Institutionen in der Stadt ein Fremdkörper geblieben. Und im übrigen EU-Land, in den einzelnen Mitgliedsstaaten, gilt vor allem die Kommission als ein Raumschiff, das abgehoben ist und hoch oben über den Köpfen schwebt.
    Die Entfremdung zwischen der EU und ihren Bürgern lässt sich in Zahlen ausdrücken. Halbjährlich fragt das so genannte Eurobarometer die Europa-Akzeptanz ab. Zu Beginn der Neunziger Jahre herrschte ein deutlich positives Stimmungsbild in den damaligen Mitgliedsstaaten. Mehr als 70 Prozent der EU-Bürger hatten die Zugehörigkeit ihres Landes zur Union befürwortet, die Zahl der Skeptiker war gering.
    Traumwerte, verglichen mit heute. Denn die EU sackte Mitte der Neunziger Jahre in der Gunst ihrer Bürger rapide ab und pendelt seitdem um die 50 Prozent-Marke. Auch in diesem Jahr war nur knapp die Hälfte der Befragten für die Mitgliedschaft ihres Landes in der Union. Zwölf Prozent hielten die Beitragszahlungen an die EU für schlecht investiertes Geld.
    Eher gering fällt auch das Interesse an den Europawahlen aus; 2004 gaben 43 Prozent der Wähler ihre Stimme ab - so wenig wie nie zuvor. Das einst gefeierte Projekt Europa hat - seit längerem schon - ein Imageproblem. Der sozialdemokratische EU-Parlamentarier Jo Leinen nennt einen der Gründe:
    "Der Sinn der europäischen Union ist im Laufe der Jahre verloren gegangen. In der Nachkriegszeit hat man genau gewusst, das steht für Frieden, nie mehr Krieg, das wurde allgemein akzeptiert, in den Ländern mit Diktaturen stand die EU für Freiheit. Aber heute ist das alles da, und die Menschen können nicht genau erkennen, was machen die denn da in Brüssel und für wen und für was? Und das ist jetzt die Aufgabe der politischen Klasse, die Vision von Europa neu zu erarbeiten und neu zu begründen."

    Vor allem den Jüngeren müsse die Bedeutung eines vereinten Europas verdeutlicht werden; bei ihnen, sagen Politologen, sei das Desinteresse besonders verbreitet. Sie hätten das Gefühl, Brüssel helfe ihnen kaum bei den Fragen, die für sie wichtig sind, zum Beispiel: Wie schütze ich mich vor Arbeitslosigkeit? Kein Wunder also, wenn die Europäer mit ihrer Union haderten, sagt Peter Weilemann von der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung.

    "Viele erwarten von der Europäischen Union, dass sie hilft bei der Bewältigung auch der negativen Konsequenzen, die ja nicht zu leugnen sind, der Globalisierung; und in dieser Frage produziert Brüssel noch nicht die richtigen Antworten. Und ich glaube, das ist mit ein Grund, warum wir mit einer Entfremdung von der Politik in Brüssel zu tun haben."

    Dem Präsidenten Barroso wird gelegentlich ein allzu wirtschaftsfreundlicher Kurs vorgeworfen. Das habe bei Arbeitnehmern die Angst vor der Globalisierung noch verstärkt, konstatierte der in Brüssel ansässige Politologe Sebastian Kurpas.

    "Da ist so ein ungesundes Bild entstanden, das setzt Europa mit Globalisierung gleich, anstatt eigentlich zu sagen, die EU ist ein Mittel, die Globalisierung zu managen und Antworten darauf zu finden."

    Allerdings: auch wenn sich viele vor Arbeitslosigkeit fürchten oder davor, durch das soziale Netz zu fallen - gegen solche Ängste können die EU-Institutionen nur wenig ausrichten. Selbst, wenn Barroso und sein Team wollten - im Bereich Sozialpolitik haben sie nur wenig zu sagen und dürfen den Ländern kaum Vorgaben machen.

    "Die Kompetenzen der EU, was das angeht, sind sehr beschränkt. Und das ist potentiell eine Quelle der Frustration, weil man immer sagt, da müssen wir eine europäische Lösung schaffen, gleichzeitig aber nicht die Mittel hat, dann auch eine Lösung zu präsentieren. Da müssen in der Tat andere Verantwortungsstrukturen geschaffen werden, auf die sich die Mitgliedsstaaten dann auch einigen, und wo man auch in Zukunft verstärkt vom Veto der einzelnen Länder abrücken müsste."

    Doch das ist bestenfalls Zukunftsmusik. Vorerst wird kaum jemand, der sich um seine berufliche oder soziale Perspektive sorgt, eine Antwort aus Brüssel erwarten können.

    In anderen Bereichen hat die EU Kompetenzen und damit den Alltag vieler Menschen massiv verändert - ohne, dass die Betroffenen vorher gefragt worden sind. Beispiel Währungsunion. Die Regierungen haben sie Anfang der 90er Jahre mit dem Maastrichter Vertrag auf den Weg gebracht. Beispiel Abgasnormen für PKW. Beispiel: Die Dienstleistungsrichtlinie, die festlegt, welcher Tarif für Mitarbeiter aus dem EU-Ausland gezahlt wird. Bei vielen ist dabei der Eindruck entstanden, die EU-Gremien agierten nach eigenem Belieben über die Köpfe von Millionen hinweg. Zudem leiste Brüssel oftmals zuviel des Guten, so jedenfalls die landläufige Meinung. Es ist das Bild von realitätsfernen Bürokraten entstanden, die am Schreibtisch der Kommission ihre Regulierungswut ausleben. All das hat das Verhältnis zwischen Institution und Bürgern getrübt. Sebastian Kurpas:

    "Die EU und die gesamte europäische Integration war über viele Jahrzehnte in erster Linie ein Projekt der Eliten und hatte den stillschweigenden d'accord von weiten Teilen der Bevölkerung, die einfach gesagt haben, was da auf EU-Ebene geschieht, ist in Ordnung. Und das hat sich über die letzten 15 Jahre geändert, weil eben immer mehr auf EU-Ebene entschieden wird und immer mehr Bürger sagten, das betrifft uns direkt, da wollen wir teilhaben." (0'22'') "

    Das wirft ein Licht auf den Vorwurf, das Raumschiff Brüssel habe den Kontakt zu seinen Bürgern zunehmend verloren; im Grunde, so Kurpas, sei es schon immer abgehoben gewesen. Nur sei das in den ersten Jahren bzw. Jahrzehnten, in der die Union eher eine reine Wirtschaftsgemeinschaft war, nicht so deutlich aufgefallen. Erst jetzt, wo immer mehr auf europäischer Ebene entschieden werde, trete die Kluft deutlicher zutage. Auf die Frage, wie man auf die Bürger stärker eingehen kann, gebe es keine alten, besseren Antworten, sagt Kurpas. Es müssten überhaupt erst welche gefunden werden.

    Dass die Kommunikation zwischen EU und den Menschen nicht so funktioniert, wie sie sollte, dass beispielsweise Inhalte der europäischen Politik den Bürgern oft schlecht vermittelt würden - dies gehe allerdings nicht unbedingt auf Versäumnisse der Kommission selbst zurück oder auf unzureichende Berichterstattung in den Medien.
    Den Abgeordnete Leinen ärgert, dass viele Politiker in den Mitgliedsstaaten die EU zu unrecht schlecht machten.

    " "Es ist sehr leicht, Europa zu beschimpfen, weil sich niemand wehrt. Es gibt jetzt keine Regierung in Brüssel, die dann ein Presse- und Informationsamt hat und sich wehrt. Von daher haben viele nationale Politiker versucht, auf Kosten von Europa ihr Süppchen zu kochen."

    In Brüssel erinnert man sich noch gut an Wirtschaftsminister Glos, der vor Monaten der Kommission vorhielt, sie unterstütze Firmen finanziell bei der Verlagerung von Jobs aus Deutschland nach Osteuropa. Das stellte sich sogleich als falsch heraus, doch die Schelte des deutschen Ministers war verbreitet worden und dürfte das Vertrauen der Bürger in Europa nicht unbedingt gestärkt haben.
    Dem Parlamentarier Leinen fallen noch mehr Beispiele ein:

    "Ich habe mich öfters über den deutschen Bundesrat geärgert, die Bundesländer, die eifersüchtig natürlich auch Kompetenzen wahren, und bei dem Versuch hier in Brüssel, erneuerbare Energien nach vorne zu schieben und Programme aufzulegen, kam aus Berlin oft ein Nein, das geht Brüssel nichts an. Das machen wir selber. Deren Beispiele gibt es leider viele, wo ganz eng auf die eigene Kompetenz geguckt wird und nicht auf das gemeinsame Ziel, ein Problem zu lösen. Das muss überwunden werden, weil wir die Menschen nur entfremden von der guten Idee der europäischen Einigung und die nationalen Politiker müssen ihren inneren Schweinehund überwinden und sich einfach auch positiv zu Europa bekennen."

    Das geschehe viel zu selten, sagt Leinen. Oft genug müsse die EU als Sündenbock herhalten - sogar für Entscheidungen, die nationale Vertreter im Ministerrat mitgetragen hätten. Üble Nachrede - auch das ist ein Grund für die Spannungen zwischen EU und Bürgern.
    Umso mehr freut sich der Vize-Präsident des Parlaments Ingo Friedrich, wenn er für Europa werben kann; zum Beispiel, wenn Besuchergruppen nach Brüssel kommen.


    Aus Nürnberg ist eine Gruppe Abiturienten angereist. Die Schülerinnen und Schüler lassen sich die EU erklären, hören interessiert zu - auch wenn ihnen das Bekenntnis zu Europa noch nicht so selbstverständlich über die Lippen kommt.

    "Wie fühlt ihr euch?"

    Vize-Präsident Friedrich fragt, wie sich die Schüler sehen.
    "Als Nürnberger? - Eher als Franke. - Als Franke oder Nürnberger. Fühlen wir uns als Deutsche? - Ja. Fühlen wir uns als Europäer? (verhalten) Ja. - Heute sind wir, wie ich meine, gleichzeitig Nürnberger, Franken, Bayern, Deutsche und? - Europäer."


    Während ihrer Studienfahrt nach Brüssel haben sie viel gelernt, meinen die Schüler. Vorher hätten sie kaum etwas gewusst über die EU.

    "Um ehrlich zu sein: Sehr, sehr wenig. Also bei uns kommt der Stoff noch in der Schule. Aber wir sind jetzt praktisch vorher schon hierher gefahren, um uns das wirklich auch live anzusehen, was hier passiert. - Vorher hat sich das alles gleich angehört, und man sieht jetzt erst diese Unterschiede, das Parlament, was das für Aufgaben hat, und der Rat. - Jetzt kann man was damit verbinden. Jetzt sieht man eben auch, dass hier Menschen arbeiten. Ich finde es schade, dass wenig Leute irgendwie eine Idee von Europa haben, vor allem von Brüssel, dass wenig Leute sich dafür interessieren."

    Die Kommission will im kommenden Jahr verstärkt die Nähe zu den Menschen suchen. Als Sofortmaßnahme hat Barroso ein Programm aufgelegt, "Europa für Bürgerinnen und Bürger" heißt es und soll 2007 anlaufen. 190 Millionen Euro sind für die Kampagne veranschlagt. Welche konkreten Aktionen davon finanziert werden, steht noch nicht fest, wohl aber das Ziel: durch eine Wertedebatte unter den Bürgern eine europäische Identität zu stiften. Andere bezweifeln, dass solche Diskussionen bei den Bürgern eine neue Lust an Europa wecken könnten. Sinnvoller sei da der Plan der EU, mit den nationalen Parlamenten besser ins Gespräch zu kommen. Daher wird zwischen Brüssel und den Hauptstädten ein neues Netzwerk geknüpft, auf Initiative der Kommissarin Margot Wallström. Sie ist in der EU für Kommunikation zuständig und informiert die einzelnen Parlamente künftig per Email über die geplanten politischen Initiativen. Ihre Hoffnung: dass sich die Länder früher als bisher mit dem auseinandersetzen, was in Brüssel vorbereitet wird.
    Selbst Broschüren verteilen über geplante Gesetze oder Plakate kleben, wie es nationale Regierungen tun - das hält der Politologe Kurpas dagegen für riskant. Die EU müsse sich mit PR in eigener Sache zurückhalten. Denn die Kommission besitze nicht die gleiche demokratische Legitimation.

    "Sie muss bei ihrer Kommunikation, Information anders, vorsichtiger, oft passiver vorgehen, als das eine nationale Regierung kann. Groß-Britannien ist sicherlich das exponierteste Beispiel, aber auch in den skandinavischen Ländern muss man immer sehr aufpassen, dass man nicht sich dem Vorwurf aussetzt, man würde Propaganda betreiben. Weil es dann eben ganz schnell entwertet wird oder von bestimmten Akteuren aufgegriffen wird als, das ist ja hier Verschwendung von Steuergeldern."


    Doch selbst eine umsichtige Werbung in eigener Sache hat ihre Grenzen. Bis in diese Apotheke wird sie zum Beispiel nicht vordringen, und das, obwohl sie in Brüssel schräg gegenüber vom Kommissionsgebäude liegt. EU-Beschäftigte gehen hier ein und aus, doch Apothekerin Trudi van de Populiere hat kein Ohr für Europa-Politik.

    "Ich interessiere mich nicht für Politik, nicht für die Außenpolitik, nicht für die Kommission. Sie reden und reden, und egal, von welcher Seite sie sind, am Ende haben sie doch alle dieselben Vorstellungen."

    Auch diese Menschen gibt es: die nicht enttäuscht sind von der EU oder über sie verärgert, sondern schlichtweg gleichgültig. Mit Worten oder Debatten sind sie nicht zu überzeugen.
    Kommissionspräsident Barroso setzt bisweilen auf handfeste Gesetze. Beispiel: Die so genannten Roaming-Gebühren. Wer im Ausland auf dem Handy angerufen wird, zahlt bisher kräftig drauf, für viele ein Ärgernis. Die Kommission hat deshalb die Mobilfunkbetreiber angehalten, damit Schluss zu machen.
    Auch Umweltthemen sind in der Planung: Die EU will Automobilhersteller ermuntern, spritsparendere Wagen zu bauen. Intelligente Navigationssysteme sollen Staus verhindern. Der Klimawandel soll verlangsamt, weniger Kohlendioxid in die Luft geblasen werden.
    Mit solchen populären Projekten könne Barroso durchaus punkten, sagt Peter Weilemann von der Konrad-Adenauer-Stiftung. Das allein reiche aber nicht aus.

    "Wenn das Motto der jetzigen Kommission ist, wir müssen Resultate produzieren in den Bereichen, wo wir das können, dann ist das richtig. Aber es muss ergänzt werden." (0'09'') "

    Und damit meint er auch: Die EU brauche die neue Verfassung - die momentan auf Eis liegt, seit den negativen Entscheiden in Frankreich und den Niederlanden im Jahr 2005. Wie viele in Brüssel hofft Weilemann, dass die Verfassung nur aufgeschoben ist - und dass mit ihr später ein neuer Schwung durch Europa gehen wird.
    Denn die Bürger sollen sich dann stärker in die EU-Politik einmischen. Sie bekommen zwar kein unmittelbares Mitspracherecht bei Entscheidungen, aber sie dürfen Gesetzesvorhaben anregen - per Bürgerbegehren. Sofern eine Petition von mindestens einer Million Menschen aus mehreren Mitgliedstaaten unterschrieben ist, muss sich die Brüsseler Kommission damit auseinandersetzen. In einer Mitteilung der Barroso-Institution heißt es:

    " "Ein derartiges Instrument gibt den europäischen Bürgerinnen und Bürgern, die gerne das ‚Demokratiedefizit der Union' beklagen, die Möglichkeit, sich unmittelbar Gehör zu verschaffen."

    Damit hätten die EU-Bürger größeren Einfluss auf die Brüsseler Tagesordnung und könnten unmittelbar mehr bewegen als beispielsweise die Deutschen auf bundespolitischer Ebene. Eine Gruppe von liberalen EU-Parlamentariern hat das - offiziell noch gar nicht eingeführte - Volksbegehren bereits vorweggenommen. Sie hatten eine Kampagne gestartet - dafür, dass die EU-Abgeordneten immer in Brüssel tagen und nicht, wie bisher, hin- und herziehen zwischen Brüssel und dem eigentlich Parlamentssitz Straßburg. Das sei nicht nur umständlich, sondern koste die Steuerzahler monatlich viele Millionen Euro. Das Volksbegehren mit dem Ziel, Straßburg aufzugeben, haben binnen Monaten über eine Million EU-Bürger unterschrieben. Der erwünschte Erfolg blieb allerdings aus. Denn zuständig ist in dieser Frage nicht die Kommission, sondern der Ministerrat. Und dort blockiert Frankreich die Pläne der Parlamentarier gegen Straßburg mit einem Veto. Dass die Aktion ins Leere gelaufen sei, ändert für den Sozialdemokraten Leinen aber nichts an seiner Meinung: das Bürgerbegehren sei der richtige Weg, Europa in den Köpfen wieder zum Leben zu erwecken.

    "Von Tiertransporten über genveränderte Nahrungsmittel bis zu erneuerbaren Energien gibt es eine Fülle an Bürgerthemen, die ich schon sehe, dass sie bei uns auf den Tisch landen, und das, hoffe ich sind Elemente, dieses Europa den Menschen näher und den Menschen näher an Europa zu bringen."

    Die Kommission gibt sich ebenfalls optimistisch. Sie verspricht für die Zukunft:

    "Die Entscheidungen werden so offen und so bürgernah wie möglich getroffen."

    Nur: Das erwünschte Mehr an Volksnähe lässt noch auf sich warten. Denn die neue Verfassung wird, wenn überhaupt, laut EU-Experten frühestens 2009 kommen.
    Von heute auf morgen wird sich also kaum etwas ändern an der Unlust der Europäer auf ihre Union. Auch wenn es an Ideen oder guten Absichten nicht unbedingt mangelt - eine einfache Lösung hat niemand parat. Blinder Aktionismus allerdings, darin stimmen die meisten in Brüssel überein, werde kaum helfen. Pöttering, einer der dienstältesten Parlamentarier, nimmt es gelassen:

    "Europa ist eben etwas komplizierter und schwieriger."

    Wieder geht ein Brüsseler Arbeitstag zu Ende. Die Ausfallstraßen im Europaviertel sind wie gewohnt verstopft, der Eingang zur Metro-Haltestelle füllt sich. Morgen ist auch noch ein Tag im politischen Business. Dennoch - die Angst vor der Europamüdigkeit nähmen viele EU-Mitarbeiter im Kopf mit nach Hause, meint Politologe Kurpas

    "Wenn man so will: die Maschine läuft. Es ist bisher zu keiner großen Abstimmungskrise gekommen, es sind keine großen Blockaden da. Aber man guckt mit Sorge in die Zukunft. Denn es kommt darauf an, welche Ambitionen man für die EU hat."

    Niemandem hier ist daran gelegen, dass sich der provokante Satz bewahrheitet, den der ehemalige EU-Kommissar Franz Fischler als Titel für sein aktuelles Buch gewählt hat: ‚Europa - der Staat, den keiner will'.