Peter Grottian: Einen schönen Guten Morgen.
Heuer: Die Gewerkschaften politisch in der Dauerdefensive. Wie sind die Gewerkschaften denn darein geraten?
Grottian: Sie sind einerseits darein geraten, da wir einen gesellschaftlichen Streit darüber haben über die Rolle der Gewerkschaften. Und dann gibt es einige Leute, die meinen, wir brauchen keine Gewerkschaften und die Gewerkschaften sollten sehr klein sein. Und die anderen meinen, ja, die Gewerkschaften sind in der Dauerkrise aber sie müssen sich auch daraus befreien. Und befreien heißt, sie müssen neu über ihre Rolle nachdenken, die sie tatsächlich spielen. In der Öffentlichkeit ist es eigentlich so, dass die Gewerkschaften eher an den Rand gedrückt werden und dass man sie mehr oder weniger als ewige Betonklötze darstellt. Das ist sicherlich zu einem kleinen Teil richtig aber es ist zum großen Teil auch falsch. Denn Gewerkschaften, das sehen wir aus Amerika und das sehen wir aus England, wir müssen eigentlich alle ein Interesse daran haben, dass Gewerkschaften stark sind. Aber die Leute fragen, natürlich mehr als früher: Für was sind Gewerkschaften eigentlich da? Welche Aufgaben haben sie denn eigentlich? Erfüllen sie die Aufgaben, die sie eigentlich haben sollten? Und da geht das Gutachten sehr allgemein mit um und ein bisschen radikal, aber da warten die Menschen einfach auf Lösungen und Neuantworten.
Heuer: Um konkreter zu werden, als es die Studie aus Ihrer Sicht ist, Herr Grottian, wie müssen sich denn die Gewerkschaften verändern, um Bestand und Einfluss zu behalten oder zurück zu gewinnen?
Grottian: Ich will mal ein Beispiel sagen, wir haben gerade einen Tarifabschluss im öffentlichen Dienst gehabt, wo eine sehr aufwendige Tarifreform mit den Tarifverhandlungen irgendwie vermischt worden sind und keine Sau in der Republik oder kaum einer eigentlich verstanden hat, um was es dabei geht. Das kann nicht passieren. Und ein zweites Beispiel, wenn man Tarifverhandlungen anguckt, dann wartet natürlich die ganze Republik darauf, dass die Gewerkschaften auch Vorschläge vorlegen darüber, wie durch Tarifverhandlungen auch ein bisschen dazu beigetragen werden kann, Arbeitslosigkeit zu reduzieren. Da legen die Gewerkschaften nichts vor, egal ob Teilzeit, Vereinbarkeit von Beruf und Familie, meinetwegen auch Arbeitszeitverkürzungen. Es geht mir zunächst mal darum, dass die Gewerkschaften das, was sie für wichtig halten, nämlich die Reduzierung von Arbeitslosigkeit, mit ihren Tarifverhandlungen verbinden. Und dritter Punkt, den ich kurz noch nennen will, sind die jungen Leute. Was ist denn damit um Gottes willen? Man wartet doch darauf, dass wenn so viele Menschen nicht mehr zu den Gewerkschaften gehen, als junge Leute sagen, ich bin doch nicht blöd, in die Gewerkschaften einzutreten, dass die Gewerkschaften gerade auf dem Feld der jüngeren Generation wirklich was vorlegen müssen. Und was vorlegen heißt dann auch, dass sie auf dem ureigensten Gebiet, wo sie stark sind, nämlich bei den Tarifverhandlungen, zumindest stärker dafür eintreten, dass für junge Leute Einstellungskorridore geschaffen werden, damit die zumindest Teilzeit, Zweidrittelarbeitsplätze und sonst etwas kriegen. Auch da ist nicht viel zu sehen. Und wenn die Jugend sieht, die Gewerkschaften tun doch gar nichts für mich, warum soll ich denn da eintreten, dann wird es zu einer lebensbedrohlichen Frage für die Gewerkschaften.
Heuer: Nun wird in der Studie, vielleicht nicht ausschließlich aber doch sicher auch mit Blick auf die Jugend, der Vorschlag gemacht, in wirtschaftsstärkeren Regionen bessere Serviceangebote zu machen. Ist das der Königsweg, Herr Grottian?
Grottian: Naja, dass die Gewerkschaften sich primär darauf konzentrieren, immer nur Tarifprozente zu verhandeln, das ist vielleicht ein bisschen zu eng. Die Gewerkschaften sollten schon ihre Rolle offensiver wählen, aber jetzt in Beratung das ganz große Heil zu sehen? In der Studie steht jetzt drin, dass man die Beratung Richtung Arbeitsmarkt erhöhen will. Also, ich weiß nicht, ob das wirklich der Weg ist, den man wählen sollte. Die Arbeitagenturen sind auch schlechte Berater, die wir im Moment haben. Aber ob die Gewerkschaften da einen großen Beratungsapparat aufbauen sollen, das weiß ich nicht. Ich glaube, mein Kollege Oskar Negt aus Hannover hat schon vor vielen Jahren zurecht angemahnt, die Menschen wollen bei den Gewerkschaften auch sehen, dass sie insgesamt doch auch für die arbeitenden Menschen und auch vor allen Dingen für die arbeitslosen Menschen wirklich etwas tun. Und da ist es wohl sinnvoller, durchaus für Steuerpolitik, für Gesundheitspolitik sich sehr viel offensiver zu Wort zu melden. Die Menschen haben eine Vorstellung darüber, dass Gewerkschaften auf verschiedenen Feldern kämpfen sollten aber sie sehen keine kämpfenden Gewerkschaften. Und beim Hartz IV ist die Rolle des DGB im Grunde genommen doch erbärmlich. Sie haben sehr radikal begonnen und jetzt sitzen sie mehr oder minder auf dem Schoß der SPD, um das geneigte Ohr der SPD nur zu erreichen. Ich glaube, dass die Basis das im Grunde genommen nicht gut findet.
Heuer: Also Ihr Rat, die Gewerkschaften sollen stärker wieder in die Offensive gehen. Glauben Sie, die Politik nimmt die Gewerkschaften dann wieder ernster?
Grottian: Ja, ich glaube, dass ist der einzige Punkt. Ich glaube, da ist ein Blick über die Grenzen ganz sinnvoll. Ob die Gewerkschaften sich sehr stark und ganz eng an den Herrschenden, also meinetwegen an der rot-grünen Bundesregierung oder auch meinetwegen an der schwarz-gelben, anliegen sollen. Und Italien und Frankreich belehren darüber, dass ein mehr an Distanz zur Macht, also bewusst distanzierter zur Macht zur sein, im Grunde die Gewerkschaften beweglicher macht und unabhängiger macht und damit eigentlich auch ganz andere Lösungspartner sucht. Natürlich soll sie ihre Beziehung zu den Parteien halten aber gleichzeitig müssen sie sich auch um soziale Protestbewegungen kümmern und müssen mit denen versuchen, sich neu zu arrangieren. Nur so gibt es beweglichere Gewerkschaften, spannendere Gewerkschaften und auch Gewerkschaften, die versuchen, ihren Kurs neu zu bestimmen.
Heuer: Peter Grottian, Politologe an der Freien Universität Berlin war das. Danke für das Gespräch.
