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Raus mit den Gefühlen
Radikale Sanftheit in der Musik

Selbstbewusst mit den eigenen Gefühlen und Überwältigungen umzugehen - der DJ Adam Bainbridge, alias Kindness, setzt das Konzept der "Radical Softness" in seiner Musik um. "Eine feministische Botschaft", sagte Kulturjournalist Kolja Unger im Dlf.

Kolja Unger im Gespräch mit Sören Brinkmann |
Ein Mann verschwimmt zwischen einer gelben und roten Farbfläche.
Schwankende Gefühle zwischen Gelb und Rot - Seelische Gesundheit ist Thema in Mode, Games und Musik (Nicolas Ladino Silva/ Unsplash)
Seelische Gemütszustände sind Themen in Mode, Games und Musik. Die Corso-Reihe "Graue Wolken" liefert Beispiele. Kulturjournalist Kolja Unger stellte das 2019 erschienene Album "Something Like a War" von Kindness vor. Für Julian Dörr von der "Süddeutschen Zeitung" eine Vertonung des Konzepts der "Radical Softness".

Selbstbewusster Umgang mit Emotionen

Das Konzept der "Radical Softness", also selbstbewusst mit den eigenen Gefühlen und Überwältigungen umzugehen, stamme von der US-Amerikanischen Künstlerin Lora Matthis, so Unger. In ihrer gleichnamigen Foto-Reihe von 2015 steche besonders ein Werk hervor, das zum Sinnbild für die Macht des ungebremsten Umgangs mit den eigenen Gefühlen wurde: Drei Messer und Herzchenanhänger liegen auf einem rosa Tuch. In der Mitte eine Buchstabenkette, die sage: "Radical Softness as a weapon" – Radikale Verletzlichkeit als Waffe". "Radical Softness" - so Kolja Unger - leite sich aus der Psychiatrie-Kritik der 70er-Jahre ab. "Sie wurde auch häufig schon insbesondere im queer-feministischen Kontext weitergedacht. Als Gegenbewegung zu einer Kultur, die auch heute noch starke Emotionen als weiblich konnotiert und als 'hysterisch' pathologisiert."

Der Bruch mit Tabus

"Die Arangements sind zart, wie ein Lufthauch", so Kulturjournalist Kolja Unger über das Album "Something Like a War" von Kindness. "Die Stimmen - mit einem elektronischen Rauschen unterlegt – wirken zerbrechlich und dennoch – und das ist die große Kunst an diesem Album von 2019 - bauen sie ein solides Fundament, das trägt und einen mitnimmt in eine Welt der Akzeptanz." Die Gefühle einfach einmal rauslassen - das offene Zeigen von Gefühlen stelle häufig ein Tabu dar. "Genau damit bricht die "Radical Softness"-Bewegung und auch Adam Bainbridge."
Bainridge ist der bürgerliche Name des Londoner DJ Kindness. Aufgewachsen ist Bainbridge in der kleinen britischen Stadt Petersborough. Eine Stadt, wie er 2015 in einem Interview den New Yorker Fotografen Robert Mappleforth zitierte, zum Davonlaufen und voller übler Mobbingerfahrungen. "Bainbridge hat es aber geschafft, diese Erfahrungen in Kunst zu verwandeln. Kunst, ganz im Sinne der "Radical Softness", erklärte Kolja Unger. Mit seinem jüngsten Album habe er ein musikalisches Denkmal gesetzt.

Radikale Verletzlichkeit

Radikale Sanftheit, da Verletzlichkeit in einer rationalen, kapitalistisch und patriarchal geprägten Welt ziemlich radikal sein könne: "Gegen alle anerzogene Scham, die eigenen Gefühle zeigen und auf sie vertrauen. Das ist – so die Message der Radical Softness - die wahre Stärke und nicht diese traditionell männlich konnotierte harte Schale." Radikale Verletzlichkeit solle uns helfen, den Dialogkanal von innen nach außen zu öffnen und dadurch in einen gesünderen Austausch mit unserer Umwelt zu treten. "Eine feministische Botschaft", findet Kolja Unger. Das Album ist auf dem Label Female Energy erschienen und sei voller Featuretracks mit feministischen Pop-Ikonen wie der Sängerin Robyn oder der Rapperin Bahamadia. Die Alben tragen Titel wie "Something like a War" und "Softness as a weapon".

Kontrollverlust als Befreiung

Die sprichwörtliche "Waffe" in "Softness as a weapon" oder der "Krieg" in "Something like a War" sei ist hier nicht im aggressiven Sinne zu verstehen, sondern als Rückgewinnung einer Handlungsmacht, die uns durch eine Kultur des "Sowas macht man nicht!" genommen wird. "Der Kontrollverlust wird zur Befreiung, viel zu fühlen zur Selbstbestimmung", erklärte Kolja Unger.