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Rausch der Bilder

Wissenschaftspolitik. - Die Naturwissenschaften sind seit einigen Jahren in einem Rausch der Bilder. Die Nanotechnologen präsentieren wunderbar eingefärbte Moleküllandschaften, die Mathematiker verblüffen mit fraktalen Strukturen, die Genetiker lassen Erbanlagen leuchten und die Hirnforscher scheinen mit ihren Scannern schon fast Gedanken abbilden zu können. Zeit einmal inne zu halten fand die Volkswagenstiftung und lud Naturwissenschaftler und Kunstgeschichtler zu einer gemeinsamen Tagung nach Berlin.

Von Volkart Wildermuth |
    Ein leuchtend blauer Balken drängt von links oben ins Bild, daneben und darunter Rechtecke in gelb, rosa und blau, sie alle mit bunten Streifen, fein strukturiert. Das abstrakte Kunstwerk ziert das Titelblatt des Kalenders der Max-Planck-Gesellschaft und zeigt einen Supraleiter. Ebenso gut könnte es aber auch in der Flick Collection im Hamburger Bahnhof in Berlin hängen. In diesem Museum debattierten Naturforscher und Kunstgeschichtler über die Schaulust in der Wissenschaft.

    Da ist ganz offensichtlich ein Punkt erreicht, wo Naturwissenschaftler ihren zum Teil ja frivolen Umgang mit den Bilder reflektieren müssen.

    Meint Werner Busch, Professor für Kunstgeschichte an der Freien Universität Berlin. So wie der Playboy all monatlich sein Playmate präsentiert, so kürt "Nature Cellbiology" die Zelle des Monats und das nach rein ästhetischen Kriterien.

    Die großen Zeitschriften "Nature" und "Science" leben inzwischen von den Bildern, die Artikel setzen sich durch und generieren damit auch Forschung, die mit einem perfekten Abbildung auftritt, während wir dann einfach fragen müssen, welche Rolle spielt das Bild in der Durchsetzung von neuen naturwissenschaftlichen Ergebnissen.

    Die anwesenden Hirnforscher und Nanotechnologen bestritten vehement, dass ihre schönen Bilder nur schöner Schein seien. Denn ohne Bilder ist moderne Forschung gar nicht denkbar. Die Naturwissenschaften produzieren inzwischen Datenmengen, die sich anders als im Bild, gar nicht mehr verstehen lassen. Der Sehsinn ist das klarste Fenster zur Welt. Ihm sind erstaunliche 30 Prozent der Großhirnrinde gewidmet. Mit den Augen können wir große Informationsmengen parallel verarbeiten und schnell verborgene Strukturen erkennen. Und das ist Voraussetzung für Kreativität meint Neurowissenschaftler David Poeppel.

    Man sieht sich Bilder an und sagt, was für ein Experiment muss ich machen um diesen Klecks zu verändern um diesen Klecks noch roter zu machen oder ins grünliche zu bringen, das ist ein enormer neuer Vorteil, den wir vorher nicht hatten. Es kann eben als Plattform für neue kreative Prozesse die Basis sein.

    An der Universität von Maryland beschäftigt er sich mit der Sprachverarbeitung. Bilder aus dem Gehirn sind sein Handwerkszeug. Sie bilden aber nicht einfach Denkvorgänge ab, so wie ein Foto einen Apfel abbilden kann. Sie sind das Ergebnis komplizierter Rechenvorgänge. Hinter einem klar umschriebenen roten Fleck in einem Schnittbild des Gehirns stehen oft Aktivitätsunterschiede der Nervenzellen im Bereich von nur Bruchteilen eines%es. Doch wer einen solchen Fleck erblickt, glaubt sofort, etwas Konkretes zu sehen, etwa das Sprachzentrum des Gehirns - und geht damit in die Irre. Poeppel:

    Eine Interpretation darauf einzuschränken, dass man letztendlich nur sagt, Lokalisation ist eine Erklärung für Sprachfunktion ist natürlich einfach peinlich falsch.

    Denn an jedem Denkvorgang sind immer eine Vielzahl von Hirnregionen beteiligt. Nicht alles was man sehen kann, existiert auch tatsächlich. Fast muss man sagen: Du sollst Dir kein Bildnis machen. Weil das aber nicht geht, müssen die Forscher lernen, der Verführung durch die Bilder zu widerstehen. Busch:

    Die Naturwissenschaftler scheinen hochgradig daran interessiert zu sein, herauszufinden, wie funktioniert ein Bild, was ist es? Was tut es, wie nehmen wir es wahr und wie kann man mit Bildern manipulieren und wie kann man auch die Manipulation kontrollieren? Was ja vielleicht wichtiger ist.

    Hier kann die Erfahrung von Kunsthistorikern wie Werner Busch weiterhelfen. Im Achtzehnten Jahrhundert war die Sepiamalerei modern. Konnten Künstler und Betrachter anfangs nur etwa fünf Brauntöne unterscheiden, lernten sie gemeinsam in wenigen Jahrzehnten eine Palette von über 15 Nuancen und zu nutzen. Ähnlich müssen auch die Forscher und Öffentlichkeit wissenschaftliche Bilder sehen lernen. Poeppel:

    Es geht nicht nur darum, die Bilder zu machen und zu zeigen, sondern auch die Bilder zu interpretieren. Ein Bild machen ist noch nicht genug.

    Auch wenn es noch so schön ist.