Donnerstag, 18. April 2024

Razzia und Festnahmen
Mutmaßliches Terrornetz-Werk aus dem Reichsbürger-Milieu

Eine mutmaßliche terroristische Vereinigung aus dem Reichsbürger-Milieu soll einen Staatsstreich geplant haben. Bei einer bundesweiten Razzia wurden 25 Menschen festgenommen. Was bislang bekannt ist.

07.12.2022
    Frankfurt/Main: Bei einer Razzia gegen sogenannte "Reichsbürger" stehen Polizisten an einem durchsuchten Objekt in Frankfurt.
    Razzia gegen Reichsbürger-Szene - Frankfurt (Boris Roessler / dpa / Boris Roessler)
    Die Vereinigung besteht nach Erkenntnissen der Bundesanwaltschaft aus einem Netzwerk aus Verschwörungsideologen und sogenannten Reichsbürgern. Ein Name der Gruppierung ist nicht bekannt.

    Wo fanden die Razzien statt?

    Die Polizei rückte mit einem Großaufgebot von 3.000 Beamten in elf Bundesländern an. Ein Schwerpunkt war Bad Lobenstein in Ostthüringen. Die Festnahmen erfolgten an verschiedenen Orten in Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Hessen, Niedersachsen, Sachsen, Thüringen sowie in Österreich (Kitzbühel) und in Italien (Perugia).  Dort und in Brandenburg, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland wurden mehr als 130 Häuser und Wohnungen durchsucht.

    Was soll die Gruppe genau geplant haben?

    Die Vereinigung soll den Umsturz in Deutschland geplant haben. Zentrales Gremium der Gruppierung soll ein "Rat" sein, dessen Mitglieder sich regelmäßig getroffen hätten, um die angestrebte Machtübernahme in Deutschland und den Aufbau eigener Staatsstrukturen zu planen. Hierzu sollte von der Vereinigung eine Übergangsregierung gebildet werden, die die neue staatliche Ordnung in Deutschland mit den alliierten Siegermächten des 2. Weltkriegs verhandeln sollte. Ansprechpartner für diese Verhandlungen sei aus Sicht der Vereinigung derzeit ausschließlich die Russische Föderation. Mitglieder der Gruppe sollen nach Kenntnis der Bundesanwaltschaft bereits Kontakt mit Vertretern der der Russischen Förderation Föderation in Deutschland aufgenommen haben. "Nach den bisherigen Ermittlungen gibt es allerdings keine Anhaltspunkte dafür, dass die Ansprechpartner auf sein Ansinnen positiv reagiert haben."
    Die Gruppierung hatte auch bereits Mitglieder vorgesehen, die nach der Machtübernahme Funktionen in einer neuen Regierung übernehmen sollte. Einige von ihnen wurden festgenommen.

    Wer wurde festgenommen?

    Von den 25 Festgenommenen sollen 22 Mitglieder der terroristischen Vereinigung sein. Die drei Weiteren seien Unterstützer der Gruppe. Zentrale Figur der Gruppe soll der adlige Immobilienunternehmer Heinrich Prinz Reuß aus Thüringen sein. Der 71-Jährige vertritt seit einigen Jahren öffentlich Reichsbürger-Thesen. Auf seinem Jagdschloss in Thüringen soll sich die Gruppe getroffen haben. Er habe die Regierung bei einer Machtübernahme führen wollen.
    Festgenommen wurde auch die ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkemann. Sie ist Richterin in Berlin und sollte in dem "Reichsbürger-Kabinett" Justizministerin werden.
    Die Festgenommenen werden heute und morgen dem Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs vorgeführt. Der entscheidet ob die Beschuldigten in Untersuchungshaft kommen.

    Was macht die Gruppe so gefährlich?

    Die Vereinigung bemühte sich, der Bundesanwaltschaft zufolge, vor allem, ehemalige und aktive Angehörige der Bundeswehr und der Polizei zu rekrutieren. Ein erheblicher Teil der Gruppe besteht nach Medienberichten aus ehemaligen Soldaten der Bundeswehr und der NVA (Nationale Volksarmee der DDR). Darunter sollen Männer mit militärischer Spezialausbildung sein, zum Beispiel ein ehemaliger Kommandeur eines Fallschirmjägerbataillons, das später zum "Kommando Spezialkräfte" (KSK) gehörte.

    Was sind "Reichsbürger" und "Selbstverwalter"?

    Die Grenze zwischen diesen Gruppen verläuft fließend. „Reichsbürger“ lehnen die Bundesrepublik Deutschland unter Berufung auf ein wie auch immer geartetes „Deutsches Reich“ ab. Etliche von ihnen sind der Ansicht, dass es sich bei der Bundesrepublik Deutschland nicht um einen legitimen und souveränen Staat handelt. Teile des Spektrums behaupten, dass das Deutsche Kaiserreich fortbestehe und dessen Verfassung weiterhin Gültigkeit besitze. „Selbstverwalter“ hingegen fühlen sich dem Staat gänzlich nicht zugehörig. Sie behaupten, sie könnten durch eine Erklärung aus dem Staat austreten und seien deshalb nicht an dessen Gesetze gebunden.
    Der Verfassungsschutzbericht des Bundes rechnete im vergangenen Jahr rund 21.000 Menschen der Szene der „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ zu, darunter seien rund 2.100 gewaltbereit.