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re:publica 2019
Wie Digitalisierung die Welt verbessern kann

Auf dem Digitalkongress re:publica in Berlin fanden rund 500 Vorträge zu aktuellen Themen der Onlinewelt statt. Diskutiert wurden internetbasierte Lösungen zum globalen und lokalen Einsatz, digitale Demokratie und vor allem die Frage: Wie kann Digitalisierung die Welt verbessern?

Am Mikrofon: Manfred Kloiber | 11.05.2019
06.05.2019, Berlin: Eine junge Frau sitzt an ihrem Laptop im Community Garden auf dem Gelände Internetkonferenz "re:publica".
Den 20.000 Besuchern wurden etwa 500 Sessions von 1.000 Vortragenden geboten (picture alliance/Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/dpa)
Manfred Kloiber: Willkommen zu Computer und Kommunikation. Die heutige Sendung haben wir am Mittwoch dieser Woche in Berlin auf der re:publica 2019 aufgezeichnet - auf dem Deutschlandfunk-Stand. Und viel wurde ja in unserem Programm bereits von diesem mittlerweile wohl größten Digital-Kongress in Europa berichtet. Ich finde, das ist auch angemessen, denn das überaus interessierte und wirklich zahlreiche Publikum zeigt ja wie groß der Hunger nach Informationen aus der Netzwelt ist. Carina Fron und Jan Rähm sind hier über die re:publica gelaufen und haben sich einige der rund 500 Talks mit schätzungsweise tausend Rednerinnen und Rednern angehört. Carina, die re:publica wartet dieses Jahr mit einem sehr ungewöhnlichen Motto auf, das heißt "tl;dr". Was bitteschön soll das bedeuten?
Carina Fron: Es ist ein Akronym: "tl;dr" ist die Abkürzung für too long; did't read. Zu Deutsch: war zu lang, deswegen nicht gelesen. Das bezieht sich zum Beispiel auf die Nutzungsbedingungen einiger unserer Lieblings-Plattformen. Die sind sehr, sehr technisch und meistens sehr, sehr lang. Und deswegen drücken wir eigentlich immer den "ja"-Button, ohne das wirklich durchzulesen. Aber das bezieht sich natürlich auch auf diese Artikel, die wir in den sozialen Netzwerken teilen, die wir kommentieren, ohne immer alles gelesen zu haben, weil die Überschrift zum Beispiel "catchy" ist, insgesamt einfach viel zu viel Information. Es ist immer alles viel zu viel und deswegen wendet man sich dem Ganzen so ein bisschen ab. Man hat das optisch auch dargestellt durch Herman Melvilles "Moby Dick", das wurde ausgedruckt, ist 450 Meter lang und wird hier wie so ein Leitfaden durch die ganze Station Berlin aufgehängt.
Jan Rähm: Ja, zu lang, nicht gelesen, das ist ja auch ein Motto, das man getrost ummünzen kann auf die re:publica selbst: zu groß; nicht gesehen. Die Besucher hatten meiner Meinung nach also wirklich die Qual der Wahl bei den Sessions. Es waren ja, wie Carina gesagt hat, 500 Sessions mit 1.000 Vortragenden ungefähr. Und die Sessions waren zum Teil auch richtig voll, was nicht verwundert. Insgesamt über die drei Tage re:publica waren es deutlich über 20.000 Menschen, die hier auf diesem riesigen Kongress-Gelände hin und her gelaufen sind.
Mit Digitalisierung die Welt verbessern
Kloiber: Und ein ganz wichtiger Bestandteil dieser re:publica sind ja die ganz vielen Talks, in denen oft ganz leidenschaftlich diskutiert wird, wie man mit den Möglichkeiten der Digitalisierung und digitalen Lösungen die Welt ein klein wenig besser machen könnte. Also sehr positive Talks. Jan, welche Ansätze haben Sie denn hier auf der re:publica in dieser Richtung entdecken können?
Rähm: Also, zwei Ansätze sind mir ganz besonders aufgefallen. Einmal ein globaler und einmal ein lokaler. Global denkt beispielsweise Andrew Harper vom Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen UNHCR. Seinen Talk fass er wie folgt zusammen.
"Der Vortrag sollte die Menschen ermutigen, intensiver darüber nachzudenken, wie wir auf humanitäre Katastrophen reagieren. Angesichts der zunehmenden Komplexität der Welt, angesichts des Klimawandels, angesichts des Wettbewerbs um Ressourcen, angesichts des zunehmenden fremdenfeindlichen Nationalismus und vielen anderen erschwerenden Faktoren müssen wir neue Wege finden, wie wir Flüchtlinge versorgen. Heute können wir auf Daten schauen und aus den Trends und Mustern lernen, um uns besser über die Zukunft zu informieren."
Harper plädiert dafür, die Daten, die wir heute haben, also Wetterdaten, Informationen über schwelende Konflikte, politische Probleme in den Regionen, drohende Naturereignisse wie Dürren und so weiter und so fort, das alles zu sammeln, auszuwerten und daraus Vorhersagen abzuleiten.
Kloiber: Um sich damit dann rechtzeitig vorbereiten zu können, richtig?
Rähm: Ganz genau, darum geht es. Also, um einfach nicht von Migrationsbewegungen auch überrascht zu werden.
Einfache Lösungen dank digitaler Unterstützung
Kloiber: Ja, das war der globale Einsatz zur Nutzung digitaler Werkzeuge. Aber auch die lokalen Ideen gibt es ja, um die Digitalisierung zur Verbesserung des Lebens einzusetzen.
Rähm: Die Idee, was zu verbessern wäre, fanden Daniel Geiger und Jonas Wagner sozusagen in der eigenen Biografie. Die beiden Masterstudenten stammen beide aus eher dörflichen Gegenden. Und sie sagen, dort gibt es genau ein Problem, das beide nur zu gut kennen, nämlich Mobilität oder fehlende Mobilität. In ihrem Vortrag erklärten sie, vor allem ältere Menschen seien betroffen und die Lösung für diese Menschen dürfe jedoch nicht einfach nur digital sein, sondern müsse dank digitaler Unterstützung einfach sein. Also, um es ganz kurz zu machen: Beide Studierenden entwickelten in einem Prozess, indem sie mit den Betroffenen sprachen, Workshops und Hackathons ausrichteten, einen einfach zu bedienenden Rufknopf für ein örtliches Bürgertaxi. Der Knopf kommt dann an den Rollator älterer Personen. Und die können beispielsweise, wenn es zum Arzt gehen soll oder zum Einkaufen, einfach auf den Knopf drücken und eine kurze Weile später ist dann das Bürgertaxi zur Stelle. Interessant an diesem Ansatz fand ich, dass die Studierenden herausfanden, alleine digitale Werkzeuge schrecken ältere Personen schon ab. Die Aussicht auf einfache Mittel dagegen, die habe dann überzeugt.
Kloiber: Jan, warum haben Sie eigentlich gerade diese beiden Ansätze herausgesucht?
Rähm: Ich habe sie mir ausgesucht, weil diese beiden doch sehr konstruktiv und nicht disruptiv sind. Sie verbessern und verändern nicht nur einfach. Der UNHCR-Mitarbeiter Andrew Harper will die Politik und die Gesellschaft sensibilisieren und mobilisieren. Daniel Geiger und Jonas Wagner werfen nicht einfach mit einer Idee nach einem Problem, sondern haben konkret nach einer Lösung geforscht, eine gefunden und diese dann auch wirklich in Echt umgesetzt. Beide betonen, sie wollen kein Startup damit gründen, sondern eine Plattform schaffen - also die finden Sie unter "meindigitalesdorf.de" - und dann mit Hilfe dieser Plattform Menschen in ländlichen Gebieten gemeinsam zu eigenen, passenden Lösungen führen.
Kloiber: Vielen Dank für diese zwei Beispiele wie die Digitalisierung für das Gemeinwohl eingesetzt werden kann und nicht nur unbedingt nur disruptiv wirkt, was ja oft vorkommt in der digitalen Wirtschaft bei digitalen Plattformen. Und eben diese Plattformen, die haben ja einen wahnsinnig breiten Raum eingenommen auf der re:publica. Sehr viele Talks drehen sich auch darum, wie vor allem die großen Plattformen in den sozialen Medien agieren. Und ob dies auch mit den rechtlichen und den gesellschaftlichen Ansprüchen in Europa, oder konkreter innerhalb der Europäischen Union, überhaupt vereinbar sind. Schließlich stehen ja meist nordamerikanische Großkonzerne hinter diesen Plattformen, die bislang ziemlich unbehelligt von Regulierung oder gesellschaftlichem Diskurs ihre Geschäfte betrieben haben. Das hat sich in letzter Zeit ja stark verändert, vor allem die Kartellwächter machen hier ziemlichen Druck. Eine von ihnen, nämlich die EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager, hat sich hier auf der re:publica dazu geäußert. Carina, Sie haben sich das angehört.
Digitalisierung als Mittel der Demokratie
Fron: Und ich muss sagen, das ist eine ziemlich beeindruckende Frau, sowohl die Vita als auch das ganze Auftreten. Und man kann zu recht sagen, sie ist der Schreck von allen Tech-Unternehmen. Sie wurde zuerst gefragt, ob die Gesellschaft die Tech-Unternehmen vielleicht härter unter die Lupe nehmen sollte und sich damit mehr befassen sollte. Und sie sagt einfach nur "Ja" und alle lachen. Weil sie das mit so einer Deutlichkeit gesagt hat. Sie sagt, das nimmt ja Einfluss auf alles, auf soziale Kontakte, auf unsere Gesundheit, die Demokratie - das ist übrigens ein ganz wichtiges Thema. Sie sagt immer wieder, das hat alles auch mit unserer Demokratie zu tun und deswegen können wir das auch nicht übersehen. Und wenn wir sozusagen eine Zukunft haben wollen, die nicht von digitalen Plattformen bestimmt wird, dann müssen wir uns jetzt kümmern. Sie sagt außerdem, "If you protect yourself, you also protect the democracy", also wenn du dich selber verteidigst und schützt, dann schützt du auch die Demokratie. Sie plädiert dafür, dass man für seine Privatsphäre kämpfen soll. Das finde ich für die Politik schon ungewöhnlich, dass man wirklich auch mal gesagt kriegt, ihr habt das Recht nicht alles preisgeben zu müssen, ich dürft euch auch selbst verteidigen. Aber man kann ja den Bürgern alle Rechte der Welt an die Hand geben, Gesetze machen. Wenn die sich nicht selber engagieren, dann wird ja auch nichts passieren. Also ein klarer Appell an die Bürger.
Kloiber: Das ist natürlich auch etwas, was sich auf die privaten Unternehmen bezieht. Man muss da genauer hingucken, wenn es darum geht, welche Daten der Staat sammelt. Dann werden die Aussagen wahrscheinlich nicht mehr so euphorisch und positiv sein, eben alle Daten zu schützen.
Fron: Außerdem ein ganz interessanter Ansatz, finde ich, dass sie sagt, man müsse darüber nachdenken, ob man Kommunikationstechnologie nicht quasi dazu zwingt, kompatibel miteinander zu sein. Also, wenn ich jetzt zum Beispiel WhatsApp habe, oder Telegram oder diese ganzen anderen Messenger, dann kann ich natürlich nur auf diesem einen Messenger mit jemand anders kommunizieren. Wenn man das aber alles öffnen würde, und ich mit Telegram zum Beispiel Ihnen Manfred auch bei WhatsApp schreiben könnte, dann wäre nicht mehr dieses Kartell-Denken da, sondern man hätte das Ganze geöffnet.
Destruktive Nutzung digitaler Medien
Kloiber: Politiker haben sich hier auf der re:publica präsentiert, tun das in immer stärkerem Maße. Und Margrethe Vestager war eine, die EU-Wettbewerbskommissarin, die sich über Plattformen geäußert hat. Und parallel zur re:publica findet hier Berlin seit einigen Jahren schon auch die Media Convention Berlin statt, die quasi zusätzliche Talk bietet, allerdings mit einer starken Fokussierung auf die medienpolitische Themen. Und auch dort standen die großen Plattformen im Bereich der Sozialen Medien im Mittelpunkt. Zum Beispiel mit der Fragestellung, ob sie unter medienrechtlichen Aspekten reguliert werden müssen und wenn ja, wie. An einem Talk dazu war auch Prof. Jeanette Hofmann, die Forschungsdirektorin des Humboldt-Institutes für Internet und Gesellschaft beteiligt. Sie wies darauf hin, dass die Regulierungs-Diskussion noch vor 20 Jahren undenkbar gewesen wäre, weil die Netzwelt da noch von Brechts Radiotheorie geträumt habe:
Jeanette Hofmann: Wir kommen aus einer Zeit, wo wir die Agenda-Setting-Macht der Massenmedien kritisiert haben. Wir haben ja bis in die 90er Jahre lang in einer öffentlichen Sphäre gelebt, die von Zeitungen, TV und Radio dominiert war und somit diese Anbieter bestimmt haben, was wir zu sehen und zu hören bekommen. Und wir sind immer davon ausgegangen, dass wir mal - ich geh jetzt zurück zu Brechts Radiotheorie - dass, wenn wir ein multidirektionales Medium haben, das allen Menschen die Möglichkeit gibt, selbst zu sprechen, das als eine enorme Befreiung und Demokratisierung der öffentlichen Sphäre erlebt werden wird. Und was wir jetzt stattdessen erleben ist, dass es gar nicht zu einer Demokratie-Steigerung kommt, sondern sehr viele Menschen die digitalen Medien nutzen in einer recht destruktiven Art und Weise, nämlich Demokratie unterlaufend. Und das empfinde ich persönlich als eine große Erschütterung, dass diese Gleichung "Je mehr Meinungsfreiheit auch technischer Art und Weise, je mehr Demokratie desto besser ist der öffentliche Diskurs", dass diese Gleichung gar nicht aufgeht.
Kloiber: Da geht es oft um Fake News bei den sozialen Netzwerken. Es geht um Inhalte, die gesetzlich nicht erlaubt werden, die in irgendeiner Weise eingefangen werden müssen. Die Konzerne sind jetzt damit beschäftigt Strukturen aufzubauen wie man das einfangen kann. Was meinen Sie, ist von staatlicher oder von öffentlicher Seite aus es notwendig, dafür einen Regulierungs-Rahmen vorzugeben, an denen sich die Unternehmen dann strikt halten müssen?
Hofmann: Ich glaube, dass wir unbedingt einen gesetzlichen Rahmen brauchen auch im Interesse der Bürgerinnen und Bürger, nämlich der Wahrung von Meinungsfreiheit. Wir haben ja lange Zeit eher die umgekehrte Kritik gehabt. Ich erinnere daran: vor zehn Jahren haben wir immer darauf hingewiesen, dass Plattformen Meinungsfreiheit nicht garantieren, sondern stattdessen ihre eigenen AGBs, ihre Terms of Service haben, die sehr viel enger gefasst sind als das, was das Grundrecht auf Meinungsfreiheit uns garantiert. Dann kam sozusagen die umgekehrte Kritik, nämlich dass Plattformen nicht genug Inhalte herunternehmen, vor allen Dingen solche die gegen die Würde des Menschen gehen, die Nazi-Propaganda betreffen, Gewaltszenen, etc., etc. Heute wollen wir, dass Plattformen das in unserem Namen tun, also diese Inhalte runter zu nehmen. Aber was mir nach wie vor wichtig scheint ist, dass wir einen gesetzlichen Rahmen haben, der regelt, was Plattformen eigentlich tun dürfen und was nicht. Sie sind inzwischen so groß, dass man sie als öffentliche Infrastruktur wahrnehmen muss und damit tragen sie auch eine Verantwortung für den öffentlichen Diskurs, der unbedingten gesetzlichen Rahmen braucht.
Kloiber: Kann man auch von den Plattformen verlangen, dass sie in den Ländern, in denen sie erscheinen, eine Verantwortung haben für die Demokratisierung dieses Landes. Dass sie dafür tatsächlich sich auch aktiv einsetzen müssen?
Hofmann: Generell muss man sich fragen, ob man das von privaten Unternehmen erwarten kann, dass sie gleichzeitig demokratiefördernd wirken. In einem weiten Sinne könnte man sagen, auch solche Unternehmen sind auf eine demokratische Umgebung angewiesen, damit sie überhaupt operieren können. Insofern würde man sich wünschen, dass sie selber auf diese Idee kommen.
Kloiber: Man könnte sich aber auch fragen, ob es nicht notwendig ist eben halt in diesem Plattform-Bereich dann das zu tun was, man auch im Medienbereich gemacht hat, nämlich ein öffentlich-rechtliches Angebot zu kreieren, das genau das macht, nämlich Demokratie fördern zu wirken.
Hofmann: Ich finde, man muss schon bedenken, dass Rundfunk, Tageszeitungen, Fernsehen von professionellen Journalisten gestaltet wird, die auch einen gewissen Auftrag unterliegen und Plattformen, die überwiegend nutzergenerierte Inhalte hosten. Wir NutzerInnen unterliegen nicht den gleichen Regeln wie Journalisten. Und solange Plattformen andere Inhalte anbieten als die Massenmedien denke ich müssen sie auch regulatorisch unterschiedlich behandelt werden. Ich finde Vielfalt von Plattformen gut und würde mir wünschen, dass wir da mehr Varianz und damit mehr Wahlfreiheit bekommen. Die Idee, dass wir selber als Gesellschaft Plattformen schaffen mit den vielen Ressourcen, die wir haben, das finde ich eine großartige Idee.
Monopolstellung von Plattformen
Kloiber: Jeanette Hofmann war das, die Forschungsdirektorin des Humboldt Instituts für Internet und Gesellschaft. Und sie wünscht sich Alternativen aus der Gesellschaft heraus, die den privatwirtschaftlichen Plattform-Konzernen etwas entgegensetzen können. Carina, sie waren bei einem Talk, der für dieses Problem vielleicht einen Ausweg verspricht. Hat sie der Vortrag überzeugt?
Fron: "Beyond Platforms" war mein absolutes Highlight bisher. Das mag aber auch daran liegen, dass Bertram Gugel einfach ein toller "Vortrager" ist. Der Medienwissenschaftler und Blogger berät nicht nur das Fernsehen an sich, sondern er kennt sich auch mit diesem Internet und diesen Plattformen aus. Das hat er auch mit einem sehr witzigen Vortrag bewiesen. Das Problem mit Netflix, Spotify, Amazon, ich kann sie alle aufzählen, wissen wir ja, dass diese Monopolstellung haben. Das ist nicht nur blöd für die kleinen Unternehmen, sondern das ist eben auch blöd, weil wir jetzt sozusagen in der Position sind, diesen Unternehmen die Verantwortung für negative Inhalte zu übertragen. Also, Fake News und Hasskommentare und so, die müssen sich jetzt darum kümmern. Soll heißen, dass sie sozusagen selber ihre Inhalte zensieren müssen, klein machen müssen und das eigentlich kontraproduktiv zu dem ist, was die Nutzer eigentlich wollen: Und man muss ja auch sagen, wenn man zum Beispiel so ein Video von so einem Verschwörungstheoretiker hat: das bringt Klicks, ob die Leute das jetzt glauben oder nicht. Und da kann man natürlich wunderbar Werbung schalten. Das ist nur ein Beispiel, warum sollten die Plattform sich das eigentlich nehmen lassen. Das ist eines der großen Probleme.
Kloiber: Scheint also irgendwie auswegslos. Sollen wir jetzt den Kopf in den Sand stecken?
Fron: Gott sei Dank nicht, deswegen hat mir das Panel auch so gut gefallen, weil es endlich mal eine Lösung gibt und nicht nur die Diskussion über ein Problem. Bertram Gugel findet, es sollte so eine Art europaweite eigene Plattform mit Inhalten geben. Und das hat er dann so erklärt:
"Im Kern ist die Überlegung, wie können wir was schaffen, wo wir die Plattformen überflüssig machen. Und wenn wir es dann schaffen, die Inhalte zu bündeln von den relevanten Leuten, die was produzieren, und das verfügbar machen eben über verschiedene Zugänge, ob Apps, Web-Angebote und anderes, dann können wir in der Summe sehr, sehr viel Neues schaffen."
Das muss man sich so vorstellen: Also es soll finanziert werden mit einem sogenannten "Deutschlandpass 25", das ist ähnlich wie der Rundfunkbeitrag. Jeder zahlt in einen Topf und aus diesem Topf wird dann alles bezahlt, die Filmemacher, die App-gestalter, der Mensch, der die Lampe im Hintergrund hält, alles. Dadurch gibt es seiner Meinung nach keinen Konkurrenzdruck, denn alle kriegen alle Inhalte. Jede Plattform kann sich entscheiden, wollen wir das Video hochstellen, wollen wir das nicht und so weiter und so fort. Außerdem gilt nicht mehr das Argument, bei der Plattform ist der Player einfach besser. Also, Technik spielt keine Rolle mehr, alle haben das gleiche. Klingt so ein bisschen sozialistisch, aber das ist so ein bisschen die Idee. Wie sich das konkret umsetzen lässt, na ja, da hakt es noch ein bisschen. da hat nämlich der Herr Gugel gesagt, hier Publikum, denken Sie sich doch was mit mir aus und kontaktieren Sie mich. Und wenn wir Glück haben, vielleicht gibt es dann ja ein neues Google. Dazu muss ich aber auch sagen, ich war auch bei Cory Doctorow, dem kanadischen Science-Fiction-Autor, Journalist und Blogger. Und er hat sich natürlich auch mit diesem Thema beschäftigt, du hast es gesagt, Plattformen sind überall. Und der sagt, man soll sozusagen die bestehenden Plattformen kleiner machen. Weil, wenn man mehr Konkurrenz hat, dann belebt das auch das Geschäft, dann gibt es keine Monopolstellung mehr und dann würden vielleicht auch mehr zusammenarbeiten und es gäbe vielleicht eine glücklichere Welt. Das ist auch ein spannender Ansatz.
Kloiber: Die Plattform-Diskussion mäandert auch ein bisschen hier auf der re:publica. Viele Ideen von einzelnen Leuten, die am Ende irgendwie zusammengeführt werden müssen. Die Alternativen jedenfalls zu sozialen Plattformen scheinen dringender denn je. Das könnte auch ein Fazit sein aus einem Vortrag, den Frank Rieger gegeben hat, oder?
Internetuser zwischen Staaten und Konzernen
Rähm: Könnte sein. Aber Frank Rieger, Buchautor und Sprecher des Chaos Computer Clubs, zog ein anderes Fazit, als das, was wir bisher gehört haben. Aber ich will mal vorne beginnen. Im Vortrag von Frank Rieger ging es um Cyberwar, hybride Kriegsführung und Desinformation. Der Hacker stellte die These auf, normale Nutzer und das Internet selbst seien inzwischen zwischen die Fronten der Auseinandersetzung von Staaten und Konzernen geraten. Mit dem Effekt, dass das Netz zur menschlichen Kommunikation kaum mehr nutzbar sei, zumindest bezogen auf soziale Netzwerke und ähnliche Plattformen. Aber auch das Netz als Informationsquelle sei nur noch in Grenzen brauchbar.
Kloiber: Und worauf stützt Rieger seine These?
Rähm: Er beobachtet zum Beispiel, dass Akteure wie die russischen Medien, wie RT oder Redfish, aber auch andere Staaten sowie Unternehmen heute gezielt Verunsicherung erzeugen. Dafür genutzt werden eigentlich völlig unverfängliche Mittel, es werden zum Beispiel legitime echte Information auf Faktenbasis ausgesendet. Aber es wurden immer häufiger unwahre oder zumindest gezielt lenkende Infos in den Informationsfluss eingemischt. Im Ergebnis weiß der Nutzer nicht mehr, was ist jetzt eigentlich korrekt und was nicht. Was nachdenklich stimmen sollte: Frank Rieger zählt auch staatliche Stellen, auch aus Deutschland, zu den Aussendern von Falschinformation. Zitat: "Die Lügen ganz offen". Außerdem nutzen einige andere Akteure weitere Strategien. Zum Beispiel sie unterstützen oder fördern gezielt Gruppen mit abweichenden Meinungen. Zum Beispiel durch Sendezeit oder Aufmerksamkeit und überhöhen so deren Stellung innerhalb einer Diskussion, beziehungsweise innerhalb der Berichterstattung. Frank Rieger beschrieb auch Strategien, wie die Glaubwürdigkeit von Akteuren wie nichtstaatlichen Organisationen oder Bürgergruppen gezielt zerstört würde. Das alles, so Rieger, führe unter anderem dazu - und hier nannte er das Beispiel der Brexit-Diskussion in Großbritannien - dass die Akteure oft nicht mehr über die gleiche Realität sprechen würden und Falschinformation nicht mehr hinterfragt würden.
Kloiber: Welche Rolle spielen dabei die Netzwerke und die Plattform?
Rähm: Na, die sorgen durch Algorithmen unter anderem dafür, dass sie Aufmerksamkeit belohnen. Dafür, dass vermeintlich populäre Inhalte immer mehr gepusht werden. Das haben wir ja bei Carina gerade gehört. Aber, auch das ist jetzt nicht unbedingt besser, verlagere sich die Kommunikation immer mehr in Richtung geschlossener Plattformen wie WhatsApp oder Telegram. Ja, und ebenfalls gruselig: Frank Rieger meint, Akteure wie wahlkämpfende Präsidenten oder auch Parteien, die müssten hingegen gar nicht mehr überzeugen. Heutzutage gingen Wahlen so knapp aus, dass Verunsicherung des gegnerischen Lagers schon ausreiche, um zu gewinnen. Riegers Fazit: Individuelle und öffentliche Kommunikation verwischen zunehmend, aktuelle Entwicklungen sind nicht mit einer demokratischen Gesellschaft kompatibel. Aber, das wiederum fand ich sehr, sehr gut, er hat auch einen Lösungsvorschlag. Er plädiert dafür, Kommunikation in kleinere Netzwerke und Gruppen zu verlagern, in denen ein Grundkonsens besteht.
Digitale Überwachung von Pflanzen
Kloiber: Der Bericht zur Informationslage im Internet, einer der ganz großen Talks hier auf der re:publica. Viele Leute waren da und haben sich das angehört. Etwas bescheidener ginge es auch in ganz anderen Ecken dieses Digital-Kongresses zu, im sogenannten Maker Space, dort, wo ganz praktisch mit Digitaltechnik gearbeitet wird. Carina, sie waren bei einem Workshop, bei dem es um Pflanzen und IT ging.
Fron: Versprochen wurde mir eine technische Lösung, damit ich meine Pflanzen von der Arbeit oder vom Urlaub aus überwachen kann. Das klingt ja schon einmal cool. Und die soll ganz einfach nachzubauen sein, in einer Stunde. Der Workshop wurde von Kairo Hackerspace gegeben. Man braucht ungefähr zehn Euro und wirklich viel Probierlust. Es gibt so eine Art Mikrocontroller, das ist ein ganz kleiner Computer, der ist recht simpel. Der sammelt Daten und hat quasi ein eigenes Stromnetz. Außerdem braucht man dann noch so einen Sensor für die Feuchtigkeit, den man quasi in den Boden stecken kann. Und eine Messstation für die Temperatur der Pflanze. Und dann ist ja eigentlich recht klar, was wir schon von unserer Pflanze lernen können, nämlich wie feucht ist der Boden und wie warm ist es der Pflanze. Dann muss man den Minicomputer nur noch mit einer App verbinden, einfach per WLAN anschließen, dann werden sie synchronisiert. Und von da an kann ich quasi überall auf der Welt schauen, wie geht es denn heute meiner Pflanze, was macht sie so.
Kloiber: Hört sich ziemlich nett, irgendwie eine Spielerei, oder?
Fron: Ich glaube, das ist auch das Ergebnis, was ich da rausziehe. Das ist einfach eine nette Spielerei, um zu zeigen, so ein winziger kleiner Computer, ungefähr geldstückgroß, kann quasi schon dafür sorgen, dass ich meine Zimmerpflanze immer im Blick habe. Ich muss aber trotzdem sagen, ich habe das so einfach beschrieben. Aber da muss man sich schon ein bisschen reinfuchsen, da muss man ein bisschen was lernen. Und in dieser einen Stunde, das kann ich Ihnen aber sagen, da habe ich nicht alles gelernt, was man zu diesem Thema wissen kann.
Rähm: Auch ich war im Makerspace unterwegs, und ich bin auf einen Workshop gestoßen, der sich - Zufall - auch mit Pflanzen beschäftigt hat. Aber hier ging es nicht darum, zu sehen, was die Pflanzen machen, sondern wirklich zu hören, was die Pflanzen machen. Die Lösung hat mich durchaus interessiert und vor allem hat mich interessiert, wie die denn entsteht. Und da durfte ich einer Teilnehmerin über die Schulter schauen und da hören wir kurz rein:
Patricia Steinman: Ich bin Patricia Steinmann aus Berlin.
Rähm: Und Sie sitzen hier im Makerspace auf der re:publica und haben ein irgendwie geartetes Gebilde vor sich. Was ist das oder was wird das?
Steinmann: Also dieses Gebilde nennt man Platine. Habe ich gerade gelernt. Es ist die Form eines Gartenzwerges, weil das Ziel ist, dass wir in unseren Blumentöpfen messen können, wie viel Wasser die Pflanzen brauchen.
Rähm: Der Workshop heißt ja "Give Plants a voice". Wie kommt denn nachher aus der Platine eine Stimme raus?
Steinmann: Genau, da kommt eine Stimme raus, die man auch einstellen kann.
Rähm: Ernsthaft?
Steinmann: Handy-Gepiepse oder Geklingele. Also ein Ton käme. Da steckt natürlich noch ein bisschen Arbeit drin.
Rähm: Na dann will ich sie nicht aufhalten. Machen Sie einfach weiter und erzählen mal. was Sie da gerade tun.
Steinmann: Ich löte - übrigens das erste Mal in meinem Leben. Man hat uns das hier schön vorbereitet. Wir haben diese Platine, wir haben Lötkolben, wir haben Lötzinn und wir löten jetzt allerhand Teile, die komplizierte Namen haben wie "Status-LED" oder Mikrocontroller auf diese Platine.
Rähm: Wie weit sind Sie schon?
Steinmann: Ich habe jetzt schon die Status-LED und den Mikrocontroller aufgelötet. Allerdings habe ich noch nicht richtig raus: Es darf nicht tropfen, sondern muss fließen und da arbeite ich gerade dran.
Rähm: Und ganz ehrlich, die Reporterfragen haben das nicht besser gemacht, warum ich mich dann auch bei Patricia Steinmann verabschiedet habe. Ich konnte danach beobachten, wie der Workshopleiter ihr sehr geduldig und sie nachvollziehbar angeleitet hat. Und so viel kann ich verraten, das Lötzinn lief dann auch statt zu tropfen und es war erfolgreich.
Kloiber: Und bei uns läuft die Uhr unerbittlich - wir sind am Ende unserer Berichterstattung von der re:publica 2019 angekommen, herzlichen Dank an Carina Fron und Jan Rähm.