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REACH und der Verbraucherschutz

Mehr Verbraucherschutz – das war einer der Schlagworte, mit der die Europäische Kommission schon 2001 für ihre neue Chemikalienpolitik warb. Im aktuellen Verordnungsentwurf taucht der Begriff aber nur selten auf. Was erfahren Verbraucher eigentlich heute schon über Chemikalien in den Produkten, die sie täglich einkaufen?

Von Ralph Ahrens |
    Ein Kaufhaus in einer deutschen Stadt. Leise Musik im Hintergrund. In den Regalen warten T-Shirts, Waschmittel, Spielzeuge und unzählige weitere Waren darauf, gekauft zu werden. Die allermeisten dieser Artikel bestehen aus synthetisch hergestellten Chemikalien. Aber aus welchen sie bestehen, das erfahren Verbraucher mal mehr, mal weniger. Recht gut würden sie über Wasch- und Reinigungsmittel informiert, meint Gabriela Fleischer, Chemiefachfrau beim Bundesverband der Verbraucherzentralen:

    "Wir finden auf den Produkten Wirkstoffgruppen und die Inhaltsstoffe gekennzeichnet und Dosierempfehlungen. Und wenn in diesem Waschmittel Gefahrstoffe drin sind, dann muss der Hersteller diese auch kennzeichnen. Der Verbraucher erkennt dann zum Beispiel eine kleine Flamme. Das heißt, dieser Stoff ist leicht entzündlich."

    Solche schwarzen Gefahrensymbole vor orangenem Hintergrund warnen auch in so genannten Zubereitungen vor gefährlichen Stoffen. Als Zubereitung bezeichnen Fachleute Mischungen von Chemikalien – wie etwa Farben, Lacke oder Klebstoffe. Bei solchen Mixturen von Chemikalien sind solche Hinweise gesetzlich vorgeschrieben – nicht jedoch bei Fertigprodukten wie Handys, Babywindeln oder Spielzeug. Gabriela Fleischer gibt ein Beispiel:

    "Wenn Sie einen kleinen Spielzeugball kaufen wollen, dann haben Sie, wenn Sie Glück haben, haben Sie noch eine Materialkennzeichnung. Da steht dann drauf, der Ball ist zu 100 Prozent aus PVC, was Sie aber nicht finden, ist, welche Weichmacher zum Beispiel in diesem Ball sind. "

    Und Bälle, Bodenbeläge oder Duschvorhänge aus PVC enthalten oft Phthalateals Weichmacher – manchmal eines, das DEHP genannt wird. Diese Chemikalie ist nicht ohne: Sie kann – zumindest im Tierversuch – Leber und Nieren schädigen und die Fortpflanzung beeinflussen. Auf diesen Inhaltsstoff werden Käufer etwa von Bodenbelägen aus PVC jedoch nicht hingewiesen. Würde aber eine Zubereitung – also eine Farbe oder ein Klebstoff – solch eine giftige Chemikalie enthalten, müsste auf Dose oder Tube der Totenkopf prangen.

    Dass auf Spielzeug und anderen Fertigprodukten nicht vor gefährlichen Inhaltsstoffen gewarnt wird, hält Gabriela Fleischer für einen Wettbewerbsnachteil für jene Produkte, die ohne solche Stoffe auskommen. Ihr geht es um die Wahlfreiheit für Verbraucher und deren Marktmacht, ...

    "Genau, da hat der Verbraucher noch gar keine Chance, sich zu orientieren. Also, wenn er keine Erzeugnisse mit Gefahrstoffen kaufen möchte, hat er gar keine Chance. Das kann er nicht erkennen. "

    Dabei gibt es Wegweiser für die kritische Verbraucher – so untersuchen die Stiftung Warentest oder Öko-Test immer wieder einzelne Produkte auf ihre Inhaltsstoffe. Auch das Label Blauer Engel bietet Orientierungshilfe, erklärt Hans-Herrman Eggers vom Umweltbundesamt.

    "Produkte, die den Blauen Engel haben, sollen im Hinblick auf ihre Umwelt- und auch auf ihre Gesundheitseigenschaften wesentlich besser sein als vergleichbare Produkte mit den gleichen technischen Eigenschaften."

    Und die Jury, die dieses Label vergibt, achtet auch darauf, ob gewisse gefährliche Chemikalien verwendet werden.

    Zum Beispiel bei IT-Produkten, Computern oder Druckern, werden die Flammschutzmittel in den Kunststoffteilen geregelt – wir schließen zum Beispiel bestimmte bromierte Flammschutzmittel aus, weil die im Hinblick auf ihr Umweltverhalten sehr kritisch sind – auch für die Gesundheit.

    Die Jury kann jedoch nur über das urteilen, was ihr bekannt ist. Und das zur Verfügung stehende Wissen über die Inhaltsstoffe und ihre Eigenschaften sei halt sehr begrenzt, meint Hans-Hermann Eggers. Dies sollte sich durch REACH bessern, denn ...

    "….REACH ist gegenwärtig ein sehr schönes Instrument, um zukünftig viel besser über die Stoffe Bescheid zu wissen. Denn es sind ja nur sehr wenige Stoffe, – nicht mal fünf Prozent – die gegenwärtig ausreichend bewertet sind."

    Um Wirkungen auf die Gesundheit wirklich abschätzen zu können, werden viele Daten gebraucht. Hans-Hermann Eggers nennt Beispiele, um dem Kriterium der Giftigkeit auf die Spur zu kommen:

    "Wir brauchen letztlich Aussagen zur Toxizität der Stoffe. Toxizität, einmal akut und zweitens chronisch. Wir brauchen Aussagen zu sehr weitreichenden Auswirkungen der Stoffe, zum Beispiel ob sie krebserregend sind, ob sie das Erbgut, ob sie die Frucht im Mutterleib schädigen. Das sind wichtige Informationen, die wir einfach brauchen, die notwendig sind."

    Doch solche Tests kosten Geld. Die Europäische Kommission hat daher bereits entschieden, dass viele Stoffe nicht auf ihre akute Giftigkeit untersucht werden müssen – und das, obwohl ein entsprechender Test weniger als 2.000 Euro kostet. Und zurzeit wird in den Ausschüssen des Europäischen Parlaments darüber gestritten, wie einfach es für Unternehmen sein soll, auf Tests zu chronischen Wirkungen, also zu Langzeitwirkungen zu verzichten. Für diese Firmen könnte es so billiger werden, ihre Chemikalien zu registrieren und als "REACH-erfasst in den Umlauf zu bringen – der Verbraucherschutz droht dabei allerdings auf der Strecke zu bleiben.