Samstag, 04. Mai 2024

Archiv


Rebellischer Celentano

Adriano Celentano ist im In- und Ausland bislang nur als Schlagersänger und Schauspieler bekannt. Ausgerechnet dieser Celentano ist jetzt zu Italiens berühmtesten und umstrittensten Satiriker geworden. Der Barde erhielt durch einen Zufall eine eigene Fernsehshow namens "Rockpolitik" und stößt seitdem allen vor den Kopf: Politikern, der Kirche, den Linken wie den Rechten.

Von Thomas Migge | 29.10.2005
    Adriano Celentano singt viel in seiner neuen Sendung "Rockpolitik", die jeden Donnerstag abend im ersten Kanal RAI1 des italienischen Staatsfernsehens ausgestrahlt wird.

    Und wenn Celentano singt, wie hier mit dem Komiker Roberto Benigni, seinen musikalischen Senf zu Themen aus Politik und Gesellschaft gibt, dann hören viele genau hin. Vorgestern Abend waren es rund 15 Millionen Zuschauer. So viele wie sonst nur bei wichtigen Spielen der Fußballweltmeisterschaft. Auch Silvio Berlusconi saß wahrscheinlich vor seinem Fernsehen und wird vor Wut ganz rot geworden sein.

    Auch in der zweiten Ausgaben von "Rockpolitik", um deren Programmgestaltung es schon im Vorfeld heiße Debatten gab, die in den Medien lang und breit vorgestellt und diskutiert wurden, beschäftigte sich Celentano bestimmte Entscheidungen und Gesetze der Regierung des Medienzaren, erklärt der berühmte Schriftsteller- und Fernsehautor Andrea Camilleri:

    "Ich schreibe seit Jahren Romane weil man in kritischer Weise nicht mehr für das Fernsehen schreiben und arbeiten kann. Seit Berlusconi die Regierung übernahm sind alle staatlichen Sender gleichgeschaltet. Regierungskritische Journalisten wie Enzo Biagi und linke Politisatire, die gibt es nicht mehr. Das war alles nur noch öde bis Celentano kam."

    Wie ein rauer Fels in der öden Brandung der seichten Programmgestaltung der drei Kanäle der RAI wirkt "Rockpolitik". Celentano singt, vorgestern zusammen mit Eros Ramazzotti, und unterhält sich mit Künstlern, Sportlern, am Donnerstag war das Motorradprofi Valentino Rossi. Mit Ramazzotti sprach er auch über die traurigen und von den Bürgermeistern vernachlässigten Vorstädte Roms, Neapels und Mailands. Da kam viel Kritik auf den Tisch und Lokalpolitiker - links und rechts - erhielten ganz schlechte Noten.

    Celentano sang "Lasst mich singen und zensiert mich nicht" und das Publikum jubelte. Der rebellische Barde sprach über die Rechte gleichgeschlechtlicher Paare, über die Schwulenehe und die künstliche Befruchtung. Er ließ kein gutes Haar an der Regierung, an Berlusconi, am Vatikan, am Papst und so weiter und so fort. Alle wurden aufs Korn genommen und alle gehen auf die Palme. Ministerpräsident Berlusconi sprach bereits von "kommunistisch unterwandertem Staatsfernsehen, dass", so seine Worte, "eine Gefahr für die Demokratie" darstelle.

    Auch Fabrizio del Noce, Programmdirektor bei RAI1, gefiel die Sendung gar nicht. Er hatte sie von seinem Vorgänger geerbt und alle Versuche, Celentano zu zähmen, misslangen. Nach eigenem Bekunden schaute Del Noce Donnerstag Abend gar nicht fern, weil er sich für "Rockpolitik" schäme - seinem Dienstherrn Berlusconi gegenüber.

    "Rockpolitik" hat eine Debatte ausgelöst - über das Recht auf Satire, über die Möglichkeit, Politik und Kirche als Institutionen in den öffentlich-rechtlichen Medien zu kritisieren. Dazu Piero Fassino, Sekretär der oppositionellen Linksdemokraten:

    "Berlusconis großer Fehler ist es nicht zu begreifen, dass öffentliche Medien alle Seiten der Gesellschaft widerspiegeln sollen, auch die regierungskritischen. Celentano lud letzten Donnerstag den Regisseur und Komiker Roberto Benigni ein, der in diesen Tagen seinen satirischen Film über die Eroberung des Irak in die Kinos bringt. Benigni wetterte gegen das italienische Engagement im Irak und Berlusconi ist nun total sauer."

    Schon ist die Rede davon, die Sendung von Celentano zu verbieten. Von Rufmord und Beleidigung gegen Regierungsmitglieder ist die Rede, doch Millionen von Italienern, die am Donnerstag "Rockpolitik" sahen, denken anders. Umfragen zufolge finden 85 Prozent aller Zuschauer die Sendung ausgezeichnet. 55 Prozent der Befragten freuen sich, dass es endlich wieder eine - eine einzige - Sendung gibt, die kritisch bestimmte politische Themen behandelt.