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Rechnen mit molekularen Dominosteinen

Physik. - Manche Leute vertreiben sich die Zeit damit, möglichst viele Dominosteine in einer Reihe aufzustellen und dann in einer Art Kettenreaktion umfallen zu lassen. Der Rekord steht bei mehreren hunderttausend Steinen. Physiker des Computerkonzerns IBM haben dieses Spielchen nun auf die Nanowelt übertragen. Ihre Dominosteine sind Moleküle, und diese Moleküle können beim Umfallen sogar rechnen.

    Von Frank Grotelüschen

    Eine extrem feine Nadel, die so dicht über einer Oberfläche fährt, dass sie sie gleichsam abtastet. Das ist das Werkzeug, mit dem Andreas Heinrich und seine Kollegen vom IBM Almaden Forschungszentrum in Kalifornien in die Nanowelt vorstoßen. Rastertunnelmikroskop, so heißt das Gerät, und es funktioniert ganz ähnlich wie ein guter, alter Plattenspieler.

    Ein alter Plattenspieler bringt auch eine Spitze dicht an die Oberfläche, an die Schallplatte. Und die Information liegt darin, welche Strukturen in der Rille sind. Und diese Information wird direkt in elektrische Information umgesetzt. Und das ist die Musik die wir hören.

    Beim Tunnelmikroskop ist das alles millionenfach verkleinert, und die Nadel tastet kein Vinyl ab, sondern die Atome einer Oberfläche. Auf dem Bild, das das Mikroskop aufnimmt, sehen die Atome aus wie die Noppen einer Eierpappe. Obwohl die Abtastung beim Tunnelmikroskop genau genommen berührungslos verläuft, kann es trotzdem Atome hin- und herbewegen und mit ihnen quasi Lego spielen. Im Prinzip genauso, wie die Plattenspielernadel kleine Staubkörnchen vor sich herschiebt, kann das Tunnelmikroskop. Vor längerem schon haben die IBM-Physiker das Logo ihres Arbeitgebers zusammengelegt – wohlgemerkt aus einzelnen Atomen. Doch das war nur eine Kleinigkeit im Vergleich zu dem, was Andreas Heinrich jetzt gelungen ist:

    Eine Demonstration, dass wir nicht nur atomares Graffiti auf der Oberfläche schreiben können, sondern auch aktive Logikstrukturen bauen können. Dass wir eine Logikstruktur mit einzelnen Atomen aufbauen können und somit gezeigt haben, dass die Nanotechnologie in der Lage sein wird, Computer zu bauen auf ganz, ganz kleiner Skala.

    Heinrich und seine Leute arbeiten nicht mit Atomen, sondern mit Kohlenmonoxid-Molekülen, die aber nur unwesentlich größer sind. Auf einer Kupferoberfläche stellen die Forscher mit dem Tunnelmikroskop insgesamt 550 Moleküle auf, und zwar nach einem ganz bestimmten Schema.

    Die beste Analogie sind die Dominos auf dem Tisch, die umfallen oder aufrecht stehen.

    Beim Domino gibt es für den Stein zwei Möglichkeiten: Entweder steht er, oder er liegt. Ähnlich ist es beim Kohlenmonoxid-Molekül: Entweder es bleibt auf seinem Platz, oder es hüpft eine Position weiter.

    Der Abstand zwischen zwei Positionen, auf denen die Kohlenmonoxidmoleküle sitzen wollen, beträgt 0,25 Nanometer. Ein Molekül hüpft also von einem Ort zu dem nächsten Ort, vom Ausgangsort hüpft es 0,25 Nanometer zum Endort. Und damit stößt es das nächste an. Das hüpft auch wiederum.

    Ein Molekül stößt gegen seinen Nachbarn in der Kette, der wiederum gegen seinen nächsten Nachbarn, usw. Das Entscheidende: Heinrich hat die Molekülketten so aufgestellt, dass sie an bestimmten Stellen zusammenkommen und miteinander agieren. Diese Knotenpunkte dienen als Logikbausteine. Sie können einfache Rechenoperationen ausführen – zum Beispiel als sog. UND-Gatter.

    Ein logisches UND hat zwei Eingänge und einen Ausgang. Und der Ausgang ist nur dann angestoßen, wenn beide Eingänge angestoßen sind. D.h. wenn nur ein Eingang angestoßen ist, ist der Ausgang noch nicht angestoßen. Erst wenn der zweite Eingang angestoßen wird, wird der Ausgang angestoßen.

    Insgesamt haben die Physiker drei UND-Gatter aufgestellt, dazu drei ODER-Gatter. Sie sind so verknüpft, dass sie als eine Art Zählmaschine fungieren: Die Ausgänge zeigen an, wie viele Eingänge umgestoßen werden. Das Ganze spielt sich auf einer Fläche von 12 mal 17 Nanometern ab. Zum Vergleich: Auf einem heutigen Computerchip nimmt ein Transistor eine Fläche von 2000 mal 2000 Nanometern ein. Rechnen im Nanoformat also – doch die Sache hat einen Haken:

    Genau wie die Dominos auf dem Tisch, die man nur einmal umstoßen kann, müssen wir unser Struktur Molekül für Molekül wieder aufbauen. D.h. mit dem Rastertunnelmikroskop jedes Molekül vom Endzustand wieder in den Ausgangszustand zurück bewegen.

    Und das dauert eine ganze Stunde – genauso lange wie der eigentliche Rechenprozess. Mit einem Pentiumchip kann das Nano-Domino da natürlich nicht mithalten. Das weiß auch Andreas Heinrich.

    Hier muss man dazu sagen, dass der wichtigste Schritt nicht darin besteht, eine Technologie vorzustellen, die wirklich in einem Computer auftauchen wird. Es ist wichtig in diesem Fall, dass man zeigt, dass Computer auf der atomaren Skala tatsächlich machbar sind.

    Für die Zukunft hat Heinrich schon eine andere Idee: Statt die Moleküle umfallen zu lassen, könnte man vielleicht ihren sog. Spin zur Informationsübertragung nutzen, und zwar als eine Art magnetisches Staffelholz, das in Windeseile von Atom zu Atom weitergegeben würde. Und damit könnte er dann womöglich superschnell rechnen – der Nanoschaltkreis der Zukunft.